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Tür auf oder Tür zu? Angela Merkel bei der Internationalen Automobilausstellung 2015 in Frankfurt am Main an einem Hybridauto von VW.

© Uwe Anspach/dpa

Diesel-Gipfel: Zeit zum Umsteuern - auch für die Kanzlerin

Der Diesel-Gipfel muss den Weg zur Mobilität der Zukunft weisen. Kleine Beschlüsse reichen dafür nicht aus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Im Grunde reden wir, krass gesagt, bei der Diesel-Affäre über fünfmal Betrug. Warum? Also, erstens: Betrug am Fahrer, der in gutem Glauben sein Geld ausgegeben hat. Dann Betrug an den Menschen in den Städten, die an ihrer Gesundheit Schaden nehmen könnten. Drittens: am Kunden allgemein. Deswegen muss beim Diesel-Gipfel nach Lage der Dinge noch einiges geschehen, auf dass genügend Substanzielles herauskommt. Was auch, viertens, für die Elektromobilität gilt, von der immer so viel geredet wird, die aber bei Weitem nicht genügend vorankommt. Fünftens: Die Energiewende muss ihren Namen auch erst noch verdienen. Damit sie kein Betrug am Wähler wird.

Kurzum, die Diesel-Affäre muss Anlass für etwas ganz Neues sein, für einen Einstieg in die Mobilitätspolitik der Zukunft. Wie wollen wir uns von A nach B bewegen, mit welchen Mitteln, damit Wirtschaftlichkeit und Umwelt gewahrt werden? Das muss gerade mit denen erörtert werden, die die Autokonzerne lenken, einen mächtigen Industriezweig. Im Inland bietet er Millionen Jobs, im Ausland bestimmt er über das Qualitätssiegel „Made in Germany“ das Bild der Deutschen mit und erlöst Milliarden, viele Milliarden Gewinn. Die Diskussion muss geführt werden, weil es sonst noch ein Betrug wäre, nämlich keine Debatte.

Was ist zu tun? Zunächst einmal muss die Bundeskanzlerin etwas wagen, was noch keiner ihrer Amtsvorgänger gewagt hat: sich notfalls mit der Autoindustrie anzulegen. Denn eben wegen der Gewinne ist es schier unvorstellbar, dass jetzt zuallererst der Staat wieder Geld ausgibt, um den Schaden zu verringern, den die Konzerne selbst angerichtet haben. Das werden die Herren schon wollen. Aber es darf nicht so laufen, diejenigen dafür auch noch quasi zu honorieren, dass sie den Grund für weltweite Empörung liefern, vor Gerichte gestellt werden und dem Standort Deutschland schaden.

Der Diesel wird nicht so schnell vom Markt verschwinden

Stattdessen muss ihnen erst einmal abverlangt werden, etliche Milliarden für die nötigen Umrüstungen und für Schadenersatz bereitzustellen. Wohlgemerkt: Milliarden, nicht Millionen. 19 Millionen Pendler gibt es in der Bundesrepublik; viele haben, um Kosten zu sparen, Dieselfahrzeuge angeschafft. Die alle zu identifizieren, ihnen, wo nötig, schnell zu helfen, ist ein Weg. Und sei es wie in Amerika durch den Rückkauf von Modellen. Damit tun die Konzerne etwas für die enttäuschten, getäuschten Menschen, und für sich: Sie bauen neues Vertrauen auf in ihre mehrmals bekundete Bereitschaft, die Schäden zu beheben. Auch das gehört zur Marktwirtschaft.

Nun wird der Diesel, überhaupt der Verbrennungsmotor nicht so schnell vom Markt verschwinden. Damit es aber schneller geht, kann hier der Staat hilfsweise mitmachen: mit einer neuen, zeitlich begrenzten Abwrackprämie, die den Ablösungsprozess beschleunigt. Allerdings nur bei vorheriger Selbstverpflichtung der Konzerne, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Und zwar bevor die Gerichte sie dazu verurteilen.

Gemeinsame Verantwortung ist dann, mehr elektromobile Autos auf die Straßen zu bringen. Erinnern wir uns an den großen Plan, dass es bis 2020 eine Million sein sollten. Wo sind alle die kostengünstigen Hybrid-Fahrzeuge, die helfen, sich neu zu orientieren? Auch die Regierung ist hier in der Bringschuld, denn die Wirklichkeit ist eklatant anders.

Umsteuern ist möglich. Für eine Wende hin zu einer Welt, in der Klimaschutzvorgaben und Arbeitsplätze, Marktwirtschaft und Ökologie keine Gegensätze sind, sondern Motoren der Entwicklung. Dazu reichen schmalspurige Beschlüsse auf dem Gipfel nicht aus. So wie es ist, kann es nicht bleiben, das wissen zumal die Herren der Konzerne. Sie könnten die Entwicklung noch viel stärker vorantreiben. Wollen sie? Sie müssen. Immer mehr Politiker denken an Zwangsmaßnahmen wie Fahrverbote. Das spielt der Kanzlerin in die Hände. Aber Merkel muss es auch wollen. Sie muss das Umsteuern wagen, sie vorneweg. Bei der Entwicklung darf sich keiner selbst betrügen.

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