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Die Corona-App soll im Frühsommer startklar sein. Foto: Reuters

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Politik: „Diese ganze Diskussion führt ins Verderben“

Bonusleistungen sollen Corona-App attraktiv machen.

Berlin - Der Streit um die Ausgestaltung der Corona-App, mit der Infektionsketten zurückverfolgt werden sollen, geht weiter. Nach den Vorstellungen von Bund und Ländern soll die digitale Kontaktüberwachung auf dem Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“ aufbauen. Darauf hatten sich Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder am Rande der Telefonkonferenz am vergangenen Mittwoch geeinigt. Nicht nur der Einsatz der App soll freiwillig sein, „sondern auch eine mögliche Datenweitergabe an das Robert Koch-Institut zur Optimierung der App und für die epidemiologische Forschung“, heißt es in dem Beschluss. Offen ist aber weiter, welche Folgen es für den einzelnen Bürger hat, wenn er die App nicht nutzt.

Einige Unionspolitiker wollen nicht allein auf das Verantwortungsbewusstsein der Bürger vertrauen, wenn die App Mitte Juni startet. Am Freitag erklärte der CDU-Europapolitiker Axel Voss im Interview mit der „FAZ“, die App solle zwar freiwillig bleiben, doch auf europäischer Ebene brauche es Anreizsysteme, um eine Nutzung populär zu machen. „Wer eine solche App hat, sollte auch zuerst wieder ins Restaurant, ins Kino, ins Theater und ins Freibad dürfen“, sagte er. Auch bei Reisen innerhalb der EU sollten App-Nutzer bevorzugt werden, erklärte der Abgeordnete des EU-Parlaments.

Zuvor hatten bereits andere CDU-Politiker unterschiedliche Druckmittel und Anreize ins Gespräch gebracht. So schlug der CDU-Fraktionsvize Thorsten Frei vor, App-Nutzer über eine Steuergutschrift zu belohnen. Tilmann Kuban, Vorsitzender der Jungen Union, warb dagegen dafür, dass die App automatisch auf allen Smartphones installiert werde, und Digitalpolitiker Hansjörg Durz (CSU) erklärte bereits Anfang April, es müsse als letztes Mittel auch über Alternativen zur Freiwilligkeit nachgedacht werden, sofern der App-Erfolg ausbleibe.

SPD-Chefin Saskia Esken erteilte den Vorschlägen von Voss am Samstag im „Handelsblatt“ eine klare Absage: „Freiwillig meint wirklich freiwillig, ohne Zwang, ohne Diskriminierung oder Einschränkung der Teilhabe, ohne Anreize oder Nudging (Verhaltenslenkung).“ Auch Steuervorteile seien keine Option. Genauso kompromisslos hatten sich Mitte der Woche bereits die Grünen positioniert und darüber hinaus einen gesetzlichen Rahmen für die App gefordert.

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) hat die Forderung der Grünen nach einer Rahmengesetzgebung für die geplante Corona-App zurückgewiesen: „Wir haben in Europa und in Deutschland bereits eines der weltweit höchsten Datenschutzniveaus. Inwieweit dieses Niveau noch gesteigert werden soll, ist für mich nicht erkennbar“, sagte die CSU-Politikerin am Wochenende der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Mittlerweile dämmert es allerdings auch Teilen der Union, dass es nach dem Kommunikationsdebakel um zentrale oder dezentrale App-Lösungen nicht unbedingt eine gute Idee ist, mit der öffentlichen Debatte um Anreize und Freiwilligkeit erneut Unruhe in das Thema zu bringen. „Diese ganze Diskussion führt ins Verderben“, schreibt Thomas Jarzombek (CDU), Beauftragter des Bundeswirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups, am Samstag auf Twitter. Stattdessen solle man sich darauf konzentrieren, dass die App richtig gut programmiert sei und die Kampagne zur App-Nutzung gut funktioniere, erklärt er. „Wenn nicht, hilft ganz sicher auch kein Zwang.“

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber ist gegen einen Zwang zur App-Nutzung. Zumal dies in der Praxis kaum umsetzbar sei. „Wie sollte eine Verpflichtung geprüft werden?“, fragte Kelber bei einer Diskussionsrunde, die von der Stiftung Datenschutz organisiert worden war. Eine Verpflichtung müsste schließlich auch sanktionierbar sein. Doch in welchen Fällen sollten Polizei oder Ordnungsamt Strafen verhängen dürfen? Wenn man das aktuellste Betriebssystem-Update nicht habe? Bluetooth ausgeschaltet ist? Der Akku leer ist oder das Handy zu Hause liegt? „Ich kann mir das nicht vorstellen und deswegen sollte man die Finger davon lassen“, sagte Kelber.

Auch die Anreizsysteme waren bei der Diskussionsrunde Anfang Mai bereits Thema. „Das ist Erpressung“, sagt Sarah Spiekermann-Hoff. Die Leiterin des Instituts für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Universität Wien hat ein Vergleichstool entwickelt, mit dem überprüft werden kann, wie datenschutzfreundlich Corona-Apps sind. Paul Dalg

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