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Jemanden an die Hand nehmen, helfen, unterstützen - nicht die schlechteste Idee nach der Schule.

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Dienstpflicht-Debatte: Ein nützliches Jahr – aber wie?

Nach der Schule könnten Jugendliche mit ihrer Arbeit Staat und Allgemeinheit etwas zurückgeben. Gebraucht würden sie – doch was sollte der Anreiz sein?

Von Robert Birnbaum

Eins hat schon mal funktioniert: Die Debatte, die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp- Karrenbauer ihrer Partei über einen neuen Gemeinschaftsdienst für junge Menschen versprochen hat, ist in vollem Gange. Quer durch Parteien und Verbände geht das Für und Wider; kaum ist mehr nachzuvollziehen, wer genau welche Position vertritt – und wozu. Das liegt auch daran, dass Annegret Kramp-Karrenbauer sich ausdrücklich offengehalten hat, was sie als Ziel in ein neues CDU-Grundsatzprogramm schreiben will: Pflicht oder Anreiz, Vorschrift oder Freiwilligkeit? In jedem dieser Fälle lauern schwierige rechtliche, organisatorische und finanzielle Fragen.

Erstens: Zurück zur Wehrpflicht?

Der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht trauern Konservative in der CDU bis heute nach. Hier entzündeten sich denn auch die Diskussionen bei den Basisgesprächen über das neue Parteiprogramm, die Annegret Kramp-Karrenbauer geführt hat. Die Generalin selbst war allerdings von Anfang an skeptisch, dass sich der Weg zur Freiwilligen- und Berufsarmee rückgängig machen lässt. Die Skepsis teilt sie mit den Fachleuten fürs Militärische.

Rechtlich wäre die Reaktivierung der Wehrpflicht möglich, aber schwierig. Zwar steht sie weiterhin im Grundgesetz. Doch schon die Beschränkung des Zwangsdienstes auf „Männer“ über 18 Jahre wäre wohl kaum zu halten. Um die Pflicht auf Frauen auszuweiten, bräuchte es aber eine Grundgesetzänderung. Die wäre im Bundestag derzeit nur mit den Stimmen der AfD und im Bundesrat auf absehbare Zeit überhaupt nicht durchsetzbar.

Zudem wird heute gerne vergessen, dass die Wehrpflicht nach Auffassung vieler Verfassungsrechtler bereits zum Zeitpunkt ihrer Abschaffung auf wackligen Beinen stand. Nur ein Bruchteil jedes Jahrgangs musste noch einrücken, die meisten konnten sich dem Waffendienst entziehen. Jederzeit konnte das Verfassungsgericht dem faktisch gar nicht mehr bestehenden Restzwang auch formal ein Ende bereiten. Zudem räumten selbst viele Militärs seinerzeit ein, dass der zuletzt auf sechs Monate geschrumpfte Grundwehrdienst militärisch sinnlos geworden war.

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Er taugte allenfalls noch als Schnupperkurs zur Weiterverpflichtung. Dass eine Neuauflage die Personalprobleme der heutigen Armee lindern helfen könnte, wird in der Diskussion deshalb als Argument gern angeführt. Diese Probleme sind in der Tat enorm. Bis 2024 soll die Bundeswehr eigentlich auf fast 200.000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen. Aber die Zahlen stagnieren seit Längerem bei etwa 170.000. Die Konkurrenz auf dem Markt für Studierte und Facharbeiter ist groß, die Geburtsjahrgänge sind klein – ein Teufelskreis, der sich selbst in Gang hält. Kamen in den Babyboom-Generationen zeitweise fast 1,4 Millionen Babys pro Jahr zur Welt, sind es heute nur mehr etwa die Hälfte.

Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich die Idee schnell als Milchmädchenrechnung, dass Wehrpflichtige an der Personalmisere etwas ändern könnten. Sie würden mehr kosten als einbringen, und das in jeder Hinsicht. Denn unter den Ministern Karl-Theodor zu Guttenberg, Thomas de Maizière und Ursula von der Leyen ist die Armee konsequent zum Profi-Heer umgebaut worden. Für die Rückkehr zur Wehrpflicht fehlen Geld, Ausbilder, Material und längst sogar die Kasernengebäude für neue Rekrutenscharen. Selbst der Vorsitzende des Reservistenverbandes, Oswin Feith, plädiert deshalb für eine allgemeine Dienstpflicht, die junge Menschen dann unter anderem auch bei der Bundeswehr ableisten könnten.

Zweitens: Dienstpflicht für alle?

Das Problem ist nur: Eine allgemeine Pflicht zum Dienst für die Gemeinschaft verstieße höchstwahrscheinlich gegen das Zwangsarbeitsverbot, das sowohl im Grundgesetz wie auch im internationalen Recht verankert ist. Die deutsche Verfassung erteilt im Artikel 12 einer „allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“ nur mit einer folgenschweren Einschränkung ausnahmsweise die Erlaubnis: die Pflicht muss in einem „herkömmlichen“ Rahmen stehen. Gemeint sind damit traditionelle Gemeinschaftsaufgaben etwa zur Deichsicherung. Eine Anknüpfung an das „Pflichtjahr“, das junge Frauen in der NS-Zeit ableisten mussten, zählt ausdrücklich nicht als „herkömmlich“.

Auch das europäische Recht und internationale Übereinkommen wie der Vertrag zur Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder der UNO-Pakt für bürgerliche und politische Rechte erlauben Zwangsdienste nur ausnahmsweise zur Landesverteidigung. Der ebenfalls 2011 ausgesetzte zivile Ersatzdienst gilt in dieser Sicht nur als eine Art siamesischer Zwilling der Wehrpflicht, der ohne den militärischen Bruder nicht existieren kann. Selbst eine Grundgesetzänderung würde darum, wie etwa der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zuletzt 2016 festhielt, „wahrscheinlich“ ins Leere laufen und vom internationalen Recht neutralisiert.

Bleibt also: Freiwilliges Gemeinschaftsjahr?

Theoretisch existiert das längst. Jeder Deutsche, egal wie alt, kann einen Bundesfreiwilligendienst ableisten. Im Juli dieses Jahres verzeichnete das zuständige Bundesamt für Familien und zivilgesellschaftliche Aufgaben gut 39.000 „Bufdis“. Den Löwenanteil stellten Jugendliche, aber auch knapp 400 Männer und Frauen im Rentenalter engagierten sich auf diese Weise. Im Umweltschutz, in der Kultur und in anderen Bereichen sind ebenfalls Jugendliche als Freiwillige tätig.

Der Freiwilligendienst muss auf die Ausbildung angerechnet werden. So kann man gleich Leute dazu bringen sich in Pflegeberufen ausbilden zu lassen, wenn nach dem Dienst schon ein Teil davon geschafft ist. Ich denke dann würden sich einige Leute überlegen, noch ein wenig Zeit ranzuhängen, um die Ausbildung abzuschließen.

schreibt NutzerIn ohmanwiekannmansowasglauben

Im Vergleich zur Jahrgangsstärke der heutigen Schulabgänger von jeweils rund 700.000 sind die Zahlen freilich überschaubar. Überlegungen, wie sie sich steigern ließen, werden seit Langem angestellt. Die Motive sind unterschiedlich. Da ist das vage Gefühl der Älteren, dass es jungen Menschen jedenfalls nicht schaden könne, nach der für sie organisierten und finanzierten Ausbildung Staat und Gesellschaft etwas zurückzugeben. Hinzu kommt, dass Eltern und Ausbilder inzwischen häufig die Erfahrung machen, dass speziell der im G-8-Expresstempo zum Abitur getriebene Nachwuchs mit dem plötzlichen Markt der Berufsmöglichkeiten völlig überfordert ist. Ein Jahr, gefüllt mit nützlicher Arbeit und Erfahrungen mit dem wirklichen Leben, erscheint da als Bedenkzeit nicht die schlechteste Lösung.

Und schließlich besteht auch bei den Anbietern gerade sozialer Dienste durchaus Bedarf. Freiwillige können zwar, etwa in der Alten- und Krankenpflege, die besonders dringend gesuchten Fachkräfte nicht ersetzen. Aber für viele Aufgaben, für die wiederum diese raren Spezialisten gar keine Zeit mehr haben, kämen jugendliche Helfer wie gerufen.

Theoretisch ist auch allen klar, wie sich die Freiwilligenzahlen erhöhen ließen: Man müsste Anreize schaffen. Da allerdings fangen die Schwierigkeiten an. Finanziell lohnt sich der Freiwilligendienst nicht; das zu ändern, dürfte trotz voller öffentlicher Kassen schwer sein. Ohnehin widerspräche eine üppige Bezahlung dem Gemeinschaftssinn der Sache.

Immaterielle Vorteile zu schaffen ist aber auch nicht einfach. Denn dass sie so vergleichsweise wenige sind, versetzt die Jugendlichen von heute auf dem Lehr- und Ausbildungsmarkt auch so schon in eine privilegierte Situation. Nur in wenigen Berufs- und Studiengängen – nach wie vor etwa der Medizin – setzen die Ausbildungskapazitäten Grenzen. In vielen anderen Berufen übersteigt die Nachfrage das Angebot. Handwerker suchen bundesweit vergeblich Auszubildende, in Vollbeschäftigungsgebieten in Bayern oder Baden-Württemberg bleiben selbst hoch bezahlte Facharbeiterplätze leer.

Dass Urkunde und Stempel für ein abgeleistetes Freiwilligen-Jahr einen Bonus bei der Ausbildungs- oder Jobsuche bringen könnten, taugt unter solchen Umständen nicht recht als Motivation. Aber womöglich ist ohnehin der Ansatz falsch. Es gibt ja auch andere Formen der Anerkennung – ein Fest für die Freiwilligen, eine Reise für die Helfer, spezielle Unterstützung bei der Berufs- und Studiensuche, ein organisiertes und finanziertes Praktikum freier Wahl... da lässt sich vieles denken. Annegret Kramp-Karrenbauer jedenfalls warnt schon davor, sich früh auf eine Idee zu verengen. „Wir sollten in der Debatte keine von vornherein ausschließen“, warnte sie am Wochenende die Übereifrigen.

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