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Eins von vielen Gesichtern der Antiglobalisierungsstimmung: Die "Occupy Wall Street"-Kampagne beim Protestmarsch durch New York in 2011.

© REUTERS

Die Zukunft der Weltwirtschaft: Die Globalisierung muss fairer werden, sonst....

...wird sie ihre Gegner so stark machen, dass sie gefährlich werden. Eine Analyse und ein Appell anlässlich der "Global Solutions"-Konferenz in Berlin.

Ein Gespenst erobert die Welt: das Gespenst der Globalisierungsfeindschaft. Die hat viele Formen angenommen und Ziele: den internationalen Handel, globale Finanzen, multilaterale und supranationale Organisationen, Migranten und neue Technologien. Neu ist sie zwar nicht, gelangte aber inzwischen zu trauriger Berühmtheit.

Die Finanzkrise von 2008 wirkte als Katalysator. Bereits 2011 wurde bei Bewegungen wie Occupy Wall Street in den USA oder den Spanischen Indignados sichtbar, wie unzufrieden viele mit der Globalisierung sind. Diese Proteste hatten noch keine bedeutenden politischen Konsequenzen, aber das änderte sich dann: Der Wahlsieg der griechischen Linkspartei Syriza im Jahr 2015 beruhte auf einer aggressiven Rhetorik gegen die europäischen Institutionen und auf der verschleierten Drohung, die gemeinsame Währung aufzugeben.

2016 nahm die Antiglobalisierungsstimmung noch weiter zu. Der Brexit war wahrscheinlich die markanteste Wegmarke. Doch schon einige Monate zuvor hatte die „Freiheitliche Partei Österreichs“ ein politisches Erdbeben ausgelöst, als sie kurz vor dem Gewinn der Präsidentschaftswahl stand. Die Beliebtheit von populistischen Anführern, die in nationalistischen, euroskeptischen und einwanderungsfeindlichen Bewegungen verankert sind, zeigt sich auch in der französischen Marine Le Pen sowie in Alice Weidel und Alexander Gauland, die mit der AfD bei den Bundestagswahlen 2017 drittstärkte Kraft wurden. Und die jüngste Bestätigung für den besorgniserregenden Trend ist die neu formierte Regierung in Italien unter der Führung von Giuseppe Conte, die ebenfalls auf populistische und potenziell ausländerfeindliche Konzepte setzt.

Der Frust der Globalisierungsverlierer nährt die Populisten

Ähnlich sieht es auch auf der gegenüberliegenden Seite des Atlantischen Ozeans aus. Donald Trump gewann zuerst die republikanischen Vorwahlen und dann die nationalen Wahlen dank einer Rhetorik, die in der unteren amerikanischen Mittelschicht voll einschlug. Seine „America First“-Propaganda versprach eine Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko und protektionistische Maßnahmen, um die Arbeitsplätze zurückzugewinnen, die an mexikanische Einwanderer und Billigimporte aus China verloren gegangen waren. Dies war auch Grund für seine Entscheidung, die USA aus dem Pariser Klimaabkommen zurückzuziehen und die Zölle auf die Einfuhren von Stahl und Aluminium.

Diese Antiglobalisierungsstimmung, die in vielen politischen Parteien und sozialen Gruppen sowohl in Europa als auch in den USA immer spürbarer wird, zeigt eine klare Tatsache: Die Globalisierung von Handel und Finanzen schafft Gewinner und Verlierer. Die Frustration derer, die sich als Verlierer sehen, ist fruchtbarer Boden für nationalistische Parteien und populistische Politiker. Süd- und Lateinamerika haben diese negativen Nebenprodukte der Globalisierung einige Jahrzehnte früher als die Industrieländer erlebt. Es gab zwei Krisenwellen, die mit regionalen finanziellen Globalisierungsprozessen zusammenhingen. Die erste fand in den frühen 1980er Jahren statt und führte für die meisten Länder der Region zu einem verlorenen Jahrzehnt. Die Länder hatten Schuldenprobleme, eine hohe Inflation, hohe Arbeitslosenquoten und einen deutlichen Anstieg der Armutsraten und der Einkommensungleichheit. Die zweite Krisenwelle kam in den 1990er Jahren. Sie war nicht so weit verbreitet und hatte weniger verheerende Auswirkungen – mit Ausnahme der Entwicklung 2001 / 02 in Argentinien und Uruguay.

Die Umsetzung der Freihandelspolitik in der Region erfolgte Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre. Die negativen Auswirkungen waren in jedem Land unterschiedlich deutlich spürbar, aber insgesamt erlebte die gesamte Region eine starke Deindustrialisierung, einen deutlichen Rückgang der industriellen Beschäftigungsquote sowie eine Zunahme von informeller Beschäftigung, von Ungleichheit und Armut.

Wahrscheinlich war es Argentinien, das mit seinem Globalisierungsversuch schlechter fuhr als jedes andere lateinamerikanische Land. Das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr 2004, als sich das Land von der Krise 2001/02 erholte, war praktisch das gleiche wie 1974 – also vor dem ersten Versuch, es an den internationalen Finanzmärkten zu integrieren. Drei verlorene Jahrzehnte mit schwerwiegenden sozialen Folgen. Mitte der 2000er Jahre war die Arbeitslosenquote dreimal so hoch wie 30 Jahre zuvor, die Armutsrate war neunmal höher und die Einkommensverteilung hatte sich erheblich verschlechtert.

In Südamerika kam der Protest ohne Fremdenfeindlichkeit aus

Die Unzufriedenheit der südamerikanischen Bevölkerung mit der Globalisierung erreichte Anfang der 2000er Jahre ihren Höhepunkt. Sie führte nicht zu starken nationalistischen oder fremdenfeindlichen Bewegungen wie in den Industrieländern, sondern wurde vielmehr durch linksdemokratische – und in einigen Fällen populistische – Regierungen gesteuert und eingehegt. Die profitierten zunächst von einer Periode hoher Rohstoffpreise und Kapitalzuflüsse während der 2000er Jahre und nutzten ihre Dividenden für den Ausbau des Sozialstaats. Der wurde jedoch unbezahlbar, als die Rohstoffpreise Anfang der 2010er Jahre zurückgingen. Die Region musste sich auf ein schmaleres Budget einstellen, wobei Venezuela das dramatischste Beispiel war.

Dieses Jahr hat Argentinien die Präsidentschaft der G20 inne. Betrachtet man die aktuellen politischen und sozialen Trends in den USA und Europa und die bisherigen Erfahrungen in Südamerika, wird klar, dass die Globalisierung eine Reform benötigt. Die Globalisierung bietet den Bürgern der Welt zwar einerseits große Möglichkeiten, Güter, Dienstleistungen und Investitionen auszutauschen, und auch Ideen, Wissen, Kunst und Kultur. Sie kann jedoch auch erhebliche Belastungen mit sich bringen, die möglicherweise schlimme sozialen Folgen haben: extreme Formen des Protektionismus, Nationalismus, Autoritarismus und Fremdenfeindlichkeit. Die G-20-Führer stehen vor der Herausforderung, eine andere Form der Globalisierung zu gestalten. Eine, die die Vorteile der wirtschaftlichen und sozialen Integration maximiert und gleichzeitig ihre Risiken identifiziert und mildert und diejenigen entschädigt, die damit verlieren: eine Globalisierung, die wohlhabendere, gerechtere und nachhaltigere Gesellschaften fördert.

- Martín Rapetti ist Direktor Wirtschaftsförderung beim CIPPEC, einem unabhängigen Nonprofit-Thinktank aus Argentinen. Das CIPPEC ist Partner des Global Solutions Summit, der am 28. und 29. Mai in Berlin stattfindet. Politiker, Manager und Wissenschaftler diskutieren globale Probleme und erarbeiteten Empfehlungen für den G -20-Gipfel Ende November. Zu den Rednern zählen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Nobelpreisträger sowie Vertreter von Organisationen wie UN, OECD und Weltbank. Global Solutions ist eine Initiative, an der das Kieler Institut für Weltwirtschaft und der Tagesspiegel beteiligt sind.

Martín Rapetti

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