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Die versammelte Index-Redaktion hinter Veronika Munk, stellvertretende Chefredakteurin.

© Bernadett Szabo/Reuters

Die Zerstörung der freien Presse: Mit Index.hu ist „Ungarns Startseite“ dem System Orbán zum Opfer gefallen

Ungarns Rechtspopulisten scheren sich nicht um die Pressefreiheit, die EU tut nichts dagegen. Auch deutsche Unternehmen trugen ihren Teil bei.

Es war eine stumme Prozession, nur das Geschnatter der Kameras war zu hören. Angeführt von Veronika Munk, der stellvertretenden Chefredakteurin des großen ungarischen Nachrichtenportals index.hu, gingen Freitag vor einer Woche insgesamt 70 Beschäftigte durch den Flur ihres Arbeitsgebäudes und reichten ihre Kündigung ein.

Viele hatten es erwartet, aber noch können es wenige akzeptieren: Das reichweitenstarke Onlinemedium mit täglich über einer Million Lesern, ist nicht mehr. Nachdem Chefredakteur Szabolcs Dull von der Eigentümergesellschaft gefeuert wurde, war fast die komplette Belegschaft der Meinung, dass ein unabhängiger Journalismus so nicht mehr möglich sei.

Die Kündigung Dulls sei ein offener Versuch, Druck auf das Nachrichtenportals auszuüben und würde die Unabhängigkeit des Mediums gefährden, heißt es in einer Mitteilung der Belegschaft. Den Schock fühlten viele liberale Wähler und Orbán-Gegner im Land. Ein Demonstrationszug mit mehreren Tausend Menschen zog am Tag nach der Entlassung für die Pressefreiheit durch Budapest.

Index hatte sich in den letzten Jahrzehnten als informatives und unterhaltsames, aber gleichzeitig kritisches Nachrichtenportal etabliert. Wenn jemand sagte: Das habe ich auf Index gelesen, stand das für: Dem kannst du vertrauen, das ist keine Regierungspropaganda.

Die Webseite wurde zur „Startseite des Landes“, wie der Publizist András Jámbor kürzlich schrieb. Nicht nur die Gegner der Orbán-Regierung holten sich hier ihre Nachrichten, sondern auch viele Fidesz-Wähler. So konnte es sich trotz dem politischen und wirtschaftlichen Druck auch im letzten Jahrzehnt unter der Orbán-Regierung halten.

Demonstrationszug für die Pressefreiheit in Budapest Ende Juli.
Demonstrationszug für die Pressefreiheit in Budapest Ende Juli.

© picture alliance/Zsolt Szigetvary/MTI/AP/dpa

Ungarn steht im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 89 von 180, Tendenz fallend. Seit 2010 regiert Viktor Orbán das Land mit einer Zweidrittelmehrheit, was gut für die Durchsetzung seines rechtsnationalen „System der Nationalen Zusammenarbeit“ und schlecht für unabhängige und regierungskritische Medien ist.

Das bedeutet nicht, dass Medienschaffende weggesperrt oder offen zensiert werden. Theoretisch existieren in Ungarn noch immer freie Presseorgane. Nur ist es schwierig bis unmöglich, auch praktisch eine freie Berichterstattung zu machen.

Als würde die AfD Medienpolitik machen

Am einfachsten für Deutsche sei die Lage zu verstehen, wenn sie sich vorstellten, „dass die AfD ihr medienpolitisches Programm verwirklichen würde“. Das sagt Gábor Polyák, Professor an der Universität Pécs in Südungarn und Leiter der Denkfabrik Mérték Média Monitor, die die Medienpolitik und Pressefreiheit in Ungarn untersucht.

Viktor Orbán bei den Verhandlungen zum Europäischen Aufbaufonds Ende Juli.
Viktor Orbán bei den Verhandlungen zum Europäischen Aufbaufonds Ende Juli.

© picture alliance/Francois Lenoir/Reuters Pool/dpa

Die Kommunikation mit und über unabhängige Medien sei in Ungarn die Gleiche, wie sie Populisten von der AfD bis Trump gemein sei. „So leben wir seit zehn Jahren“, sagt Polyák.

Obwohl viele Sympathisanten hofften, dass es Index aufgrund seiner Größe nicht treffen würde, waren die Ereignisse der letzten Woche zu erwarten: In den letzten zehn Jahren waren unter anderem ein anderes großes Nachrichtenportal (Origo, 2014-2015), die größte Tageszeitung des Landes (Népszabadság, 2016), eine Wochenzeitung (Heti Válasz, 2018) und eine kritische konservative Tageszeitung (Magyar Nemzet, 2018) der homogenisierenden Medienpolitik Orbáns zum Opfer gefallen.

Die Einflussnahme ist effektiv. Medien werden verkauft und neue Geschäftsführer eingesetzt, die von einem Tag auf den nächsten die Produktion einstellen und das Archiv abschalten, oder die nur noch Regierungspropaganda auf der Webseite zulassen. Die gesamte regionale Presse ist seit Sommer 2017 in regierungsnahen Händen.

Verzerrter Wettbewerb

Der Staat wurde zum größten Akteur des Werbemarktes ausgebaut, regierungsnahe Medien werden über Werbung mit Steuergeldern großzügig unterstützt. „80 Prozent gehen an Fidesz-Medien, 20 Prozent bleiben für die unabhängig“, sagt Polyák. Ein „wahnsinnig verzerrter Markt“, der normalen Wettbewerb unmöglich macht.

Schließlich wird nicht-regierungsfreundlichen Medien der Zugang zur Politik verwehrt: „Fragen an Fidesz-Politiker werden seit vielen Jahren nicht beantwortet und Journalisten dieser Medien dürfen sich im Parlament nicht bewegen.“

Auch bei Index liefen seit einigen Jahren Vorbereitungen, damit sie trotz Eigentümerwechsels eine unabhängige Berichterstattung garantieren können. Der Slogan der Kampagne war: „Index - gibt es nicht noch einmal.“

Szabolcs Dull, der entlassene Chefredakteur von Index.hu.
Szabolcs Dull, der entlassene Chefredakteur von Index.hu.

© Bernadett Szabo/Reuters

Leser sollten für die Gefahr, der die unabhängige Presse im Land ausgesetzt ist, sensibilisiert werden, mit Spendenaufrufen und einem Barometer, das den Status des Mediums zwischen „unabhängig“, „gefährdet“ und „nicht unabhängig“ anzeigt. Jetzt steht der Zeiger des Barometers auf orange: „gefährdet“.

Wird es Index wieder geben?

Nach den Massenkündigungen letzter Woche gründeten die Ex-Mitarbeiter eine Facebook-Gruppe, der sich innerhalb weniger Tage über 260.000 Menschen anschlossen. Hier heißt der Slogan: „Index - wird es wieder geben.“

Aber in diesem System ein neues, reichweitenstarkes und unabhängiges Medium neu zu gründen, ist sehr schwer. Dafür sorgen nicht nur innenpolitische, sondern auch europäische Faktoren.

Polyáks NGO Mérték Média Monitor hat zwei Beschwerden vor der EU-Kommission eingereicht, da es eindeutig EU-Recht verletze, wenn die Regierung öffentliche Gelder sowohl für die „Finanzierung staatlicher Medien als auch für die Finanzierung von Fidesz-naher Privatmedien“ nutze.

Trotzdem mache die EU-Kommission nichts, sagt Polyák. Gleichzeitig sitzen die Vertreter der Fideszpartei weiterhin mit ihren CDU-Kolleginnen und -Kollegen in der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. „Was können wir in Ungarn noch machen, wenn die europäischen Institutionen nicht mitwirken?“, fragt er.

Verantwortung deutscher Unternehmen

Auch deutsche Unternehmen sind mit den Geschehnissen verflochten. Größen wie die Deutsche Telekom oder Axel Springer haben ihre Tochtergesellschaften, wie das Nachrichtenportal Origo oder regionale Tageszeitungen in den letzten zehn Jahren an Fidesz-nahe Unternehmer verkauft. Polyák sagt, dass sei den deutschen Unternehmen bewusst gewesen. Dadurch sind die wenig übrigen unabhängigen Medien, immer mehr der Politik ausgeliefert.

Es wird nicht einfach sein für die Index-Belegschaft, etwas neues aufzubauen. Noch können Veronika Munk und ihre Kollegen nicht sagen, was als nächstes kommt. Bis Ende ihrer Kündigungsfrist müssen sie weiterarbeiten und ihre Schweigepflicht einhalten.

Für die Pressefreiheit in ganz Europa aufgestanden

Aber vielleicht verstehen durch diese Ereignisse nicht nur die Menschen in Ungarn, wie wertvoll das Gut der Pressefreiheit ist – dass dafür nicht nur demonstriert sondern auch bezahlt werden muss. Schließlich sind die Kollegen von Index nicht nur für die Pressefreiheit in Ungarn, sondern in ganz Europa aufgestanden.

Denn, das sagt auch Medienwissenschaftler Polyák: „Mittlerweile hat ein so kleines Land wie Ungarn weitere Mitgliedstaaten und Kandidaten angesteckt, wie Polen, Slowenien, Tschechien, Serbien, Nord-Mazedonien.“ Überall dort werden die Methoden von Orbán kopiert. So lange die EU es erlaubt.

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