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Die Zerreißprobe: Spaltet das Klimapaket die große Koalition?

Das Thema Klima hilft nur den Grünen, die im Politbarometer erstmals führen. Die Maßnahmen von Union und SPD reichen den Befragten nicht aus.

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Manchmal ist die öffentliche Meinung einfach auszudeuten. Vorigen Freitag beschloss die große Koalition einen Klimaplan, den anschließend jeder Experte als unzureichend zerrissen hat. Eine Woche später kommt die Quittung. Im Politbarometer von ZDF und Tagesspiegel rasseln CDU/CSU und SPD auf historische Tiefststände – gerade 27 Prozent würden aktuell der Union ihre Stimme geben, nur noch 13 Prozent der SPD. Die Grünen klettern umgekehrt zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit der Union auf Augenhöhe.

Die Verluste der Volksparteien kommen dabei praktisch Eins zu Eins der originären Öko-Partei zugute. Aber wieder einmal trifft es die SPD doppelt so schlimm wie die Parteienfamilie der Bundeskanzlerin. Schon setzen sich die Ersten sachte von den eigenen Beschlüssen ab, schon werden Schuldzuweisungen hin- und hergeschoben. Was einmal als Leuchtturm-Projekt gedacht war, um die Handlungsfähigkeit der großen Koalition zu demonstrieren, droht zur neuen Belastung zu werden.

Wie geht die Union mit dem Absturz um?

Offiziell herrscht Schweigen. Hinter den Kulissen wiegt mancher bedenklich den Kopf: Das könne ja sein, dass das Grünen-Hoch sich der Tagesaktualität ihres Leib- und Magen-Themas verdanke. „Aber Haltungen können sich verfestigen“, warnt ein erfahrener CDU-Mann.

Auch in CDU und CSU schwant vielen schon seit Tagen, dass ihnen das Klimapaket erst einmal auf die eigenen Füße fällt. Allzu leicht lässt sich ausrechnen, dass sich ein CO2-Preis von zehn Euro pro Tonne weder an der Tankstelle noch im sonstigen Leben bemerkbar macht. Selbst in der eigenen Anhängerschaft finden das viele zu zaghaft in einer Woche, in der Bilder von schmelzenden Gletschern und steigenden Meeresspiegeln die Nachrichten bestimmen: Für 39 Prozent der Unionsanhänger, melden die Demoskopen, hätte es gerne mehr sein dürfen.

Manche geben offizielle Durchhalteparolen aus. CSU-Generalsekretär Markus Blume erklärte den Klimaplan zum „Kurs von Maß und Mitte“ und warnte die Grünen vor Blockaden im Bundesrat. Dass man dort verhandeln müsse – nun gut. Die Öko-Partei sitzt in neun Landesregierungen, demnächst kommen wahrscheinlich Brandenburg und Sachsen dazu.

Da werden Kompromisse nötig. Auch deshalb verteidigen die meisten in der Union die eigenen Beschlüsse recht halbherzig. Wie zur Entschuldigung verweisen sie auf den geplanten Kontrollmechanismus: Das Klimakabinett soll jährlich den Fortschritt begutachten und notfalls nachsteuern.

Selbst Kanzlerin Angela Merkel räumte bei einem Kongress ihrer Fraktion ein, man werde „zu lernen haben“. Fraktionschef Ralph Brinkhaus versprach, wo nötig, nachzubessern und erklärte das Klimapaket gar nur zum ersten, wenngleich „großen“ Schritt: „Nein, das reicht noch nicht, was jetzt auf den Weg gebracht worden ist.“

Dass Vertreter der SPD schon jetzt versuchen, das Paket aufzuschnüren, finden führende Unionsleute zu eilfertig – auch wenn sie unter dem Stichwort „nationaler Klimakonsens“ selbst Kompromisswillen signalisieren als Gegenleistung für politische Mithaftung. Andererseits ist den strategischen Köpfen in CDU und CSU klar: Die Sozialdemokraten – und namentlich ihr Vizekanzler Olaf Scholz – brauchen Erfolge, wenn das Regierungsbündnis bis 2021 halten soll.

Warum ist die Lage für die SPD besonders

dramatisch? 

Weil es sie noch mehr zerreißt. Olaf Scholz und die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer priesen den Kompromiss als großen Wurf – gut genug, um die Koalition fortzusetzen. Doch an der Basis ist die Stimmung vielerorts eine andere. Klar, es darf keine sozialen Verwerfungen geben. Daher gab es den Wunsch, dass die Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung von Benzin und Heizöl über eine Klimaprämie in Höhe von rund 100 Euro im Jahr gerade an einkommenschwache Haushalte zurückgezahlt werden. Das war nicht durchzusetzen. Dass die SPD-Führung dem wenig ambitionierten Paket zustimmte, hatte auch mit der Angst zu tun, dass die AfD in Ostdeutschland den Klimaschutz gegen Sorgen um Arbeitsplätze ausspielt.

Doch auch hier fiel die Quittung jetzt deutlich aus: Gerade einmal drei Prozent der fürs „Politbarometer“ Befragten fand, die SPD vertrete beim Klimaschutz eine Politik in ihrem Sinne. Als das verheerende Echo im Lauf der Woche immer lauter wurde, entschied sich Dreyer dazu, offensiv Nachverhandlungen anzubieten. Die kommissarische SPD-Chefin gab zugleich CDU und CSU die Schuld, dass die CO2-Bepreisung im Jahr 2021 nur mit zehn Euro losgehen soll. Der „Vater“ des schlappen Kompromisses sei CSU-Chef Markus Söder – die SPD habe 20 Euro angeboten.

Inzwischen ist führenden Sozialdemokraten auch klar, dass sie ihre Politik – zum wiederholten Mal – schlecht verkauft haben: Über den Prüfmechanismus zu wenig geredet, das Gesamtpaket nicht richtig herausgestellt, in dem ja auch eine höhere Kfz-Steuer für klimaschädliche Autos oder hohe Kaufprämien für E-Autos und Heizungen stecken. Selbst viele der Experten, die den niedrigen CO2-Preis kritisieren, halten das Paket für besser als seinen Ruf.

Und wie geht es nun weiter?

Der Klimakompromiss sollte Koalition und SPD befrieden. Zumindest bei der SPD droht sich das ins Gegenteil zu verkehren. Wie angespannt die Stimmung ist, zeigt Scholz’ Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt. Der verteidigt neuerdings auf allen Kanälen seinen Chef: Er sei der einzige, der das Format habe, um zusammen mit Klara Geywitz den Parteivorsitz zu übernehmen. Umgekehrt steht Friedrich Merz in der CDU bei Weitem nicht allein mit der Prognose, nur ein Erfolg des Vizekanzlers garantiere den Fortbestand der Koalition. Doch in der SPD wird die Fehleinschätzung des Klimapakets bereits mit der Affäre um den damaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen verglichen. Andrea Nahles erholte sich nie davon.

Ist Scholz wirklich schon so geschwächt?

Es ist im Kandidatenrennen nicht nur Nina Scheer, Tochter des SPD-Solarpioniers Hermann Scheer, die im Duett mit Karl Lauterbach den Kompromiss scharf kritisiert. Noch drastischer reagierte am Freitag das Bewerberduo Hilde Mattheis/Dierk Hirschel. In einem Gastbeitrag für Tagesspiegel Online fordern sie das sofortige Ende der Groko: „Die große Koalition ist unter inhaltlichen Gesichtspunkten für die SPD nicht weiter hinnehmbar, da sie in der Groko von Kompromiss zu Kompromiss zu Kompromiss getrieben wird und kein eigenes durchgängiges Profil sichtbar wird.“ Die Angst vor Neuwahlen führe nur dazu, „dass die SPD aus Angst vorm Tod Selbstmord begeht“.

Aber beim Stand von 13 Prozent erscheint die Angst vor dem Tod berechtigt. Außerdem denken Mitglieder oft anders als Funktionäre. In Umfragen führt Scholz das Bewerberfeld an. Groko-Befürworter hoffen, dass es so bleibt – und dass die Sturmwarnung auf dem Politbarometer sich wieder legt.

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