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Streiten tut sich niemand gerne - ist aber manchmal unvermeidbar.

© Elise Scheider

Die Virologen streiten - ist das schädlich?: Wieso eine Demokratie vom Streit lebt

Streit hinterlässt einen negativen Beigeschmack. Er kann eine Gesellschaft auf Abwege führen. Dabei ist Konflikt für eine Demokratie elementar. Ein Kommentar

Der „Streit der Virologen“ kann einen auf die Idee bringen: Streit ist schädlich, Streit lähmt, Streit führt eine ganze Gesellschaft auf Abwege. Weit gefehlt. Streit ist nur zu einer Art Unwort für alles das geworden, was nicht uniform daherkommt, nicht unisono ist. Viele unterschiedliche Stimmen sind schon zu viel?

Als wäre Streit das, was ein Millionenblatt mit großen Lettern daraus macht. Streit ist ein allzu populäres, ja populistisches Wort geworden. Dabei ist es so: Wir Menschen, die wir von Grund auf je unterschiedlich sind, bringen dementsprechend unterschiedliche Sichtweisen ein. Und das gilt logischerweise für den Menschen als Bürger der Zivilgesellschaft nicht anders.

Deshalb kommt es in der Demokratie darauf an, die Stimmen zu hören und sie, wo es um Problemlösung geht, zusammenzufügen. So kommen sie zur Geltung.

Was lehren Sokrates und seine Kritiker, Luther und Erasmus von Rotterdam und die Tage heute? Dass es der guten Sache dient, um Worte zu ringen, die zu vollbringende Taten beschreiben. In aller Zivilität, damit die Auswirkungen zivil bleiben. Im besten Fall ist Diskussion ein Gestaltungsprozess, damit sie am Ende fruchtbar ist und nicht das unverbundene Nebeneinander von Geräuschen, sprich Meinungen. Kakophonie ist noch keine demokratische Tugend.

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In dem Sinne war für Ralf Dahrendorf, den großen liberalen Vordenker, Demokratie „institutionalisierter Streit“. Weil gesellschaftlicher Fortschritt nur entstehen könne, wenn um die Lösung schwieriger Fragen konstruktiv gestritten wird. Und weil Konflikte in einer freien Gesellschaft nun einmal generell unvermeidbar sind, müssen wir - streiten. Wie gegenwärtig im Land und darüber hinaus zu sehen ist, will das aber gelernt sein und trainiert werden.

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Die Pädagogik sieht ja deshalb auch vor, Sprach- und Sprechfähigkeit zu stärken, das Gemeinschaftsgefühl verbunden der Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Das gilt für Kita, Schule, Politik. Damit es nicht heißt: „Bloß kein Streit“ und alles gleichsam wegmoderiert wird.

Gerade in diesen wilden Zeiten lernen wir schließlich zugleich, wie wichtig es ist, Streit münden zu lassen in Diskurs, der eine Verkettung von Aussagen ist. Damit am Ende etwas Gutes dabei herauskommt. Und sei es die Erkenntnis, dass es den Streit nicht lohnt.

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