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Donald Trump sprach in seiner Pressekonferenz im Weißen Haus von Wahlbetrug - ohne jeglichen Anhaltspunkt.

© Carlos Barria/Reuters

Die Vereinigten Staaten zählen ihre Stimmen: Ein Wahlkrimi in Echtzeit

Das Rennen bleibt eng, Trump spricht von Wahlbetrug – und sein Vorsprung schrumpft. Unser US-Newsletter.

Amerika zählt seine Stimmen und es ist extrem eng. Natürlich begleiten wir Sie auch heute mit unserem US-Newsletter „Twenty/Twenty“. Juliane Schäuble hätte heute gerne den Wahlsieger verkündet aber es sollte noch nicht sein. Stattdessen lässt sie Sie am Wahlkrimi in Echtzeit teilnehmen. Zum kostenlosen Abo geht es hier.

Selten war es schwerer, mich an diesen Newsletter zu setzen. Nicht, dass es an Tag drei der Wahlauszählung nichts zu erzählen gäbe, im Gegenteil. Sondern, weil die Auszählung in den sechs noch offenen Bundesstaaten (Alaska, Arizona, Georgia, North Carolina, Pennsylvania, Nevada) immer spannender wird – aber eben noch nicht beendet ist. Also eigentlich „too close to write“. Aber irgendwann muss ich ja mal anfangen, und ich schreibe jetzt einfach so lange weiter, bis Pennsylvania heute Nacht ausgezählt ist – oder meine Deadline mich zum Loslassen zwingt. Also immer weiterlesen!

Im Mittelpunkt steht der Moment, in dem Joe Biden Arizona zugesprochen wurde – von Fox News

Nie wussten wohl mehr Menschen weltweit, wo Allegheny, Delaware oder Maricopa County liegen. Gebannt hängen wir alle an den Lippen und Zeigefingern von John King (CNN) und seinem Magic Board und wechseln immer wieder zu Bill Hemmer und Fox News. Denn ein bisschen ist dieses Finish auch der Wettstreit, welcher Sender die perfektere Wahlberichterstattung hat (Außerordentliches leisten sie übrigens alle). Im Mittelpunkt steht jener Moment am Wahlabend selbst, als Fox News Arizona dem Demokraten Joe Biden zugeschlagen hat.

CNN hat das bis jetzt nicht getan, und in den letzten Stunden zeigt sich, dass der Sender guten Grund hatte, hier skeptischer zu sein. Denn Donald Trump holt hier im gleichen Maße auf, wie er in Pennsylvania und Georgia verliert. Fox News hat jetzt ein Problem – und nicht nur, dass der Präsident stinksauer über die Arizona-Meldung ist. Wenn als nächstes zum Beispiel Georgia (Nevada verzögert sich) an Biden gehen würde, müsste der einstige Lieblingssender von Trump den Demokraten eigentlich zum Sieger der Wahl ausrufen. CNN ist da auf der sicheren Seite – und wartet „in Ruhe“ auf Georgia und Pennsylvania, das in dieser Nacht noch fertig werden will. Mit diesen insgesamt 36 Wahlleutestimmen wäre auch bei CNN „game over“.Was für ein Krimi!

Biden hat so viele Stimmen bekommen, wir kein US-Präsident vor ihm

Was für ein Krimi! In Georgia wurde gerade (21.45 Uhr Ostküstenzeit) ein Patt erreicht: Trump und Biden liegen nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen jeweils bei 49,4 Prozent. Trumps Vorsprung ist auf 1902 Stimmen geschmolzen. Auch in Pennsylvania robbt sich Biden immer mehr an Trump heran, inzwischen trennen die beiden nur noch 46.257 Stimmen – nach rund 700.000 am Wahlabend! Und Biden haben Stand jetzt mehr als 73 Millionen Amerikaner gewählt. So viele Stimmen hat noch nie ein US-Präsident bekommen.

Das kann doch alles nicht mit rechten Dingen zugehen, denken da US-Wahl-Neulinge – und offenbar auch Donald Trump. Der US-Präsident rief am frühen Abend die Journalisten in den Presseraum des Weißen Hauses (Foto: Reuters), um sich noch einmal selbst zu übertreffen. Den Auftritt, bei dem er erneut von „Betrug“ sprach, abenteuerliche Theorien über „legale Stimmen“, nach denen er gewonnen habe, und andere gefährliche Lügen verbreitete, wertete der CNN-Faktenchecker Daniel Dale als „unehrlichste Rede“, die der Präsident seit Beginn seiner Amtszeit jemals gehalten habe. Dale hat sich jede Äußerung Trumps seit 2016 angeschaut.

Von den Republikanern hört man – nichts

Es war eine Rede, die nicht nur Gewalt enttäuschter Trump-Fans provozieren kann, sondern die auch die Demokratie in Amerika gefährdet. Der Auftritt wäre daher eine gute Gelegenheit für die Republikanische Partei gewesen, aufzustehen und sich diesem Wahnsinn ihres Noch-Präsidenten entgegenzustellen. Doch zu hören war wieder einmal – nichts. Außer von ehemaligen Parteigrößen wie Jeff Flake (Ex-Senator aus Arizona), der seine Parteifreunde dazu aufrief, nicht abzuwarten, bis die demokratischen Institutionen Schaden genommen hätten. „Die Zeit ist jetzt“, twitterte er.

Hintergrund zur US-Wahl:

Selbst Rick Santorum, ehemaliger Abgeordneter und Senator von Pennsylvania und inzwischen konservativer Kommentator bei CNN, nannte den Auftritt „schockierend“ und „gefährlich“ und prophezeite, dass „kein gewählter republikanischer Politiker“ sich hinter diese Äußerungen stellen werde. „Keiner wird das tun.“ Ob das heißt, dass sie diese verdammen werden? Da bin ich eher skeptisch. Der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, lehnte es schon mal ab, Trumps Auftritt zu kommentieren.

Auf der anderen Seite gibt es auch wenige Republikaner im Kongress, die das Vorgehen des Präsidenten öffentlich gutheißen. Das breite Schweigen ist so auffallend, dass Trumps Söhne und sein Helfershelfer Rudy Giuliani die Senatoren und Abgeordneten auf Twitter geradezu nötigen, sich hinter ihren Präsidenten zu stellen. Sonst werde das die Basis „nie vergessen“. Bei Lindsey Graham, der sogar persönlich angegangen wurde, zeigte dieses Trump-Shaming sofort Wirkung: Der Senator aus South Carolina bekräftigte bei Sean Hannity auf Fox News (neben dem Talker Tucker Carlson der lebende Beweis, dass nicht der ganze Sender geläutert ist) die falsche Behauptung, dass Philadelphia sogenannte „Poll Watcher“ davon abhalte, die Auszählung zu verfolgen. Auch der texanische Senator Ted Cruz schloss sich dem an.

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Zu besichtigen ist eine Vorausschau auf die Zeit nach Trump: Der außerparlamentarische Druck auf moderate Republikaner, die gerne wieder mehr mit den Demokraten zusammenarbeiten würden, um Ergebnisse zu erzielen, wird groß sein. Wie ein Präsident Joe Biden mit einem Senat regieren könnte, in dem möglicherweise (auch das ist noch offen) weiterhin die Republikaner die Mehrheit stellen, haben meine Kollegin Ruth Ciesinger und ich hier aufgeschrieben.

Was aber passiert, wenn Trump wirklich das Weiße Haus verlassen muss? Diese Frage löst diverse Spekulationen aus. Könnte er juristisch belangt werden – und letztlich sogar im Gefängnis landen? Hier kann mein Kollege Christoph von Marschall für Aufklärung sorgen (T+).

Diskutiert wird auch darüber, was eigentlich mit den Umfragen los ist. Warum wurden wir schon wieder davon überrascht, wie stark Donald Trump abgeschnitten hat? Anna Sauerbrey hat mit Umfrage-Experten gesprochen und kann weiterhelfen (T+).

Inzwischen ist es 23.30 Uhr, und der Vorsprung von Trump in Pennsylvania ist weiter geschrumpft: auf 24.484 Stimmen. In Georgia sind es nur noch 1805. Der demokratische Senator Bob Casey aus Pennsylvania erklärte gerade auf CNN, er gehe nicht davon aus, dass es heute Nacht noch ein Ergebnis gibt. Ohne mir da besonders sicher zu sein, muss ich hier jetzt einmal zum Ende kommen (der beste Newsletter der Welt ist ja keiner, wenn er nicht versendet wird). Alle weiteren Entwicklungen lesen Sie ja ohnehin bei uns auf der Homepage und besonders im US-Wahl-Blog und im Entscheidungs-Live-Blog. Morgen schreibt hier wieder Anna Sauerbrey aus Philadelphia. Bis übermorgen also – vielleicht gibt es dann ja schon einen „President elect“. Ich höre jetzt noch ein bisschen John King zu.

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