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Politik: Die USA bereiten erneut einen Krieg der Sterne vor - natürlich um ihn zu verhindern (Kommentar)

Sprich leise und trage einen dicken Knüppel". Seit den Tagen des US-Präsidenten Theodore Roosevelt ist ein ganzes Jahrhundert vergangen.

Sprich leise und trage einen dicken Knüppel". Seit den Tagen des US-Präsidenten Theodore Roosevelt ist ein ganzes Jahrhundert vergangen. Atomares Wettrüsten, Gleichgewicht des Schreckens - die Zeit ist genauso darüber hinweggegangen wie über sämtliche anderen Glaubensgrundsätze des Kalten Krieges. Ein Jahrhundert nach Theodore Roosevelt sind die USA als einzige Supermacht übrig geblieben, und im Kreml regiert ein Mann, der die Start-II-Vereinbarungen zur Abrüstung von Nuklearwaffen in die Tat umsetzen möchte. Eines ist aber geblieben: der Wunsch nach Unverwundbarkeit, der in den USA das Kürzel "NMD" trägt. "National Missile Defense" heißt das umstrittene Rüstungsprojekt, über das die US-Regierung im kommenden Juni entscheiden soll. Seit die Republikaner 1994 im US-Kongress die Mehrheit übernommen haben, drängen sie Präsident Clinton beharrlich, dem Raketen-Schutzschirm gegen "Schurkenstaaten" wie Nordkorea, Irak oder Iran zuzustimmen. So verständlich der generationenübergreifende Traum von der Unverwundbarkeit ist, so groß ist doch das Risiko, dass er an der Wirklichkeit scheitert - von der Gefahr eines neuen Wettrüstens, auch von der ist wieder zu reden.

Das Szenario, das im Wesentlichen auch von der Bundesregierung geteilt wird, geht von einer neuen Art der Bedrohung aus - nicht nur für die USA, sondern auch für Europa: Für Staaten wie Nordkorea, Irak oder Iran ist heute eine Raketentechnologie verfügbar oder zumindest erreichbar, die sie in die Lage versetzen könnte, Langstreckenraketen auf weltweite Ziele zu richten. Anders als noch in der Ära des US-Präsidenten Reagan, dessen weltraumgestütztes SDI-Programm als "Krieg der Sterne" firmierte, wollen sich die USA dank des technologischen Fortschritts nun mit land- und seegestützten Raketenabwehrsystemen gegen feindliche ballistische Flugkörper schützen.

Es ist allerdings höchst umstritten, ob ein nuklearer Schutzschirm rund um die USA die "Schurken" tatsächlich abschreckt. Dieselben Wissenschaftler, die seinerzeit gegen Reagans "Krieg der Sterne" Sturm liefen, äußern auch jetzt wieder ihre Bedenken. Sie verweisen auf den Einsatz der Patriot-Raketen gegen die irakischen Scuds während des Golfkrieges, der die Mängel der Raketenabwehr offenbarte.

Allerdings deutet diesmal einiges darauf hin, dass die "National Missile Defense" - anders als seinerzeit der "Krieg der Sterne" - auch zur Rüstungswirklichkeit werden könnte. Auch wenn Russlands Präsident Putin die Ratifizierung des Start-II-Abkommens prompt mit dem Hinweis versah, dass Moskau seine Zustimmung jederzeit wieder kassieren könne, so spricht Russlands Finanznot doch eine andere Sprache. Ob die US-Raketenabwehr jemals aufgebaut wird, hängt für Washington vor allem davon ab, ob sich die Pläne in den Verhandlungen mit Moskau auch buchstäblich "verkaufen" lassen - etwa in der Form von Rüstungs-Finanzhilfen.

Gerade die unübersichtliche Weltlage nach dem Ende des Kalten Krieges und die Zunahme vieler "kleinerer" Gefahrenherde rund um den Globus - sie liefern den Grund dafür, warum es Entspannungspolitiker in ihrer Argumentation gegen Amerikas Raketenabwehr-Pläne nicht ganz leicht haben. Schließlich ist Washington mit seiner Angst vor den vielen kleinen "Schurken", die mittlerweile zu echten Größen geworden sind, nicht allein. Die neue Militärdoktrin des Kreml etwa sieht einen atomaren Gegenschlag bereits für den Fall von konventionellen Angriffen vor.

Wie weit darf die atomare Schwelle aber sinken? Es spricht einiges dafür, dass Washingtons Pläne für eine nationale Raketenabwehr die USA nicht sicherer machen, aber die Aufteilung der Welt in Atomwaffenstaaten und "Habenichtse" weiter verwischen. Wenn am Ende jeder einen dicken Knüppel trägt, ohne darüber zu sprechen - was nützt dann die beste Raketenabwehr?

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