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Misst und misst: Die Staatsschuldenuhr des Bundes der Steuerzahler , hier im November 2020. Mittlerweile zeigt sie schon 2,3 Billionen Euro an.

© picture alliance/dpa

Die Union und die Schuldenbremse: "Nicht aussetzen, aber nachschärfen"

In der CDU/CSU-Fraktion hat das Nachdenken über die Schuldenbremse begonnen - auch mit Blick auf künftige Koalitionen

Der Druck kommt von allen Seiten. Erst recht, seit Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) die eigene Truppe mit seinem Vorstoß zu einer jahrelangen Aussetzung der Schuldenbremse in helle Aufregung versetzt hat. Viele Ökonomen sind allerdings dafür, auch in der Wirtschaft besteht keineswegs ungeteilte Sympathie für die Schuldenbremse. 

Die Koalitionspartnerin SPD hat auch wachsende Zweifel an der Begrenzungsregel, die Grünen wollen ohnehin eine gründliche Reform, die dauerhaft mehr Schulden ermöglicht. Die Linken wollen die Schuldenbremse ganz abschaffen.

Das Nein zu einer schuldenfinanzierten Politik und zu ausgeglichen Etats ohne neue Kredite gilt in der Unions-Fraktion jedoch als Markenkern von CDU und CSU. Seit 2009 die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben wurde, verstehen sie sich als die strengen Wächter – während die FDP und neuerdings die AfD darauf lauern, dass die Union Schwächen zeigt. 

Abschaffung nicht mit CDU und CSU

Doch angesichts der Folgen der Coronakrise, der eigenen Ausgabenpolitik nach acht Jahren Schwarz-Rot, künftiger Haushaltsrisiken und kommender Koalitionsverhandlungen setzt ein Umdenken ein. Allerdings gibt es eine klare Grenze. „Eine Abschaffung der Schuldenbremse ist mit der Unions-Fraktion nicht zu machen“, sagte die finanzpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion im Bundestag, Antje Tillmann, dem Tagesspiegel. Sie gehörte nach der Finanzkrise der Kommission von Bundestag und Bundesrat an, die die Schuldenbremse vereinbart hat.

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„Auch ein jahrelanges Aussetzen kommt nicht infrage“, stellt Tillmann klar. „Dann wäre die Schuldenbremse wohl passé.“ Aber sie ist für Offenheit bei Veränderungen. „Nach der erstmaligen Anwendung der Ausnahmeregelung der Schuldenbremse ist es sinnvoll zu prüfen, was funktioniert hat und was nicht so gut gelungen ist.“ Sie hält daher ein „Nachschärfen“ für angebracht, in zwei Richtungen. „Wir sollten uns überlegen, wo wir die bisherigen Regeln strenger machen können, um dann an anderer Stelle großzügiger zu sein.“

2022 nochmals die Notfallklausel?

Offenkundig denkt man in der Fraktion schon über die aktuelle Koalition hinaus – und auch über das kommende Jahr. Eine nochmalige hohe Kreditaufnahme im Haushalt für 2022, nochmals begründet mit der Notfallklausel der Schuldenregel, dürfte auch für die Unions-Fraktion als der Weg gelten, die Löcher zu stopfen, ohne die Rücklagen auf einen Schlag zu verbrauchen. Denn die coronabedingten Steuerausfälle und Folgekosten schwappen nicht nur ins kommende Jahr. Sie ziehen ihre Spur noch weiter in die Zukunft und belasten die Etats auf viele Jahre hinaus.

Laut Tillmann hat sich gezeigt, dass die Schuldenbremse in der akuten Phase eine adäquate Verschuldung ermöglicht. „Was wir bei der Einführung des Instruments nach der Finanzkrise zu wenig bedacht haben, ist die Zeit nach der Krise. Also die Phase eines beginnenden Aufschwungs nach dem Einbruch.“ 

Investitionen zum Vorbeugen

Hier könne man bei einer Reform ansetzen. „Es geht um die Folgewirkungen einer Krise.“ Und da komme es vor allem auf den Bereich der Investitionen an, um Kreditfinanzierung bei Ausgaben außerhalb des konsumtiven Bereichs. „Solche Investitionen können auch dem Vorbeugen für künftige Krisen dienen“, meint die CDU-Finanzpolitikerin aus Thüringen, die seit 2002 im Bundestag sitzt. „Denkbar wäre, bei solchen Investitionen Tilgung und Abschreibung mit der Schuldenregel zu verbinden.“

Tillmann betont, was den Haushaltspolitiker im Bundestag quer durch die Parteien Kopfzerbrechen bereitet. „Die Etats des kommenden Jahrzehnts sind eine Herausforderung. Neben den Rentenzuschüssen kommt ab 2028 auch die Tilgung der Kredite aus dem 750-Milliarden-Programm der EU auf uns zu. Darauf müssen wir uns heute vorbereiten.“

Reform in jeder Konstellation

Welche der denkbaren Koalitionen sich nach der Bundestagswahl im Herbst auch immer bildet, ob Schwarz-Grün, noch einmal Union und SPD, Jamaika oder die Ampel – eine mehr oder weniger moderate Reform der Schuldenbremse dürfte kommen. Doch wird diese, folgt man den Äußerungen und Plänen der Parteien, auch begleitet sein von einem Revirement in der Haushaltspolitik. 

Eine schwarz-grüne Koalition etwa (und Tillmanns Äußerungen klingen wie das Vorausdenken darauf) dürfte auf Druck der Grünen nicht nur an die Schuldenbremse herangehen, sondern auch Spielraum im Haushalt schaffen, indem die aus Sicht der Öko-Partei umwelt- und klimaschädlichen Subventionen, auch im Steuerbereich, gekappt werden. Der Bundesrechnungshof fordert das auch, etwa beim Dieselprivileg.

Aufräumen im Etat

Käme es zu einem Bündnis von Union, Grünen und FDP, würden die Freien Demokraten zusätzlich auf noch mehr Aufräumen im Etat dringen. Schon für den Etat 2021 haben sie seitenweise Vorschläge dazu gemacht. Das läge auch in Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen auf dem Tisch.

Eine ordentliche Aufräumaktion im Etat – Haushälter sprechen auch gern von „Aufgabenkritik“ oder „Kassensturz“ – würde es der Union wie der FDP erleichtern, ein Nachjustieren bei der Schuldenbremse mitzumachen. Zu einer solchen Aktion dürfte nicht zuletzt das Problem gehören, dass aus einigen Töpfen des Bundes das Geld nur unzureichend abfließt, dass jedes Jahr viele Milliarden an Ausgabenresten anfallen, die dann übertragen werden, um Löcher in den nächsten Etats zu stopfen.

Was ist mit den Ländern?

Tillmann hat aber noch einen Punkt - die Entscheidung von 2009, dass die Länder auf einen eigenen regulären Verschuldungsspielraum  in der Schuldenbremse verzichtet haben. „Hier liegt eine Reformmöglichkeit. Vielleicht entscheiden die Länder sich ja nun anders.“  Den Ansatz trägt auch die SPD mit. Der Chefhaushälter der Bundestagsfraktion, Dennis Rohde, ist der Meinung, dass man darüber diskutieren sollte, ob die Entscheidung der Länder damals so klug gewesen sei.

Tatsächlich war bei Einführung der Schuldenbremse zunächst geplant, bei einem vorgesehenen Gesamtspielraum von einem halben Prozent dem Bund einen dauerhaften Schuldenspielraum von jährlich 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einzuräumen, den Ländern dagegen 0,15 Prozent. Doch die wollten ihren Anteil nicht. 

Da der Verzicht aber erst kurz vor der Abstimmung beschlossen wurde, kam es nicht mehr dazu, dem Bund etwas mehr Spielraum zu geben. Aus Bundessicht könnte eine Debatte über diesen nicht genutzten Länderanteil aus zweierlei Sicht interessant sein. Verzichten die Länder weiter, könnte man ihn bei einer Reform dem Bund zuschlagen. Akzeptieren die Länder, könnte der Bund bei weiteren Länderforderungen an den Bundesetat dagegen eher ablehnen.

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