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Horst Seehofer

© Kay Nietfeld/dpa

Die Union und die Asylpolitik: Wohin soll der Streit zwischen Merkel und Seehofer führen?

Der Innenminister und die Kanzlerin sind vereint in persönlicher wie politischer Abneigung. Er will eine national geprägte Flüchtlingspolitik durchsetzen, sie nicht. Ist ihre politische Beziehung am Ende?

Von Robert Birnbaum

Ein „Grüß Gott“ hat er eigentlich immer gesagt. Diesmal geht Horst Seehofer wortlos an den Kameras vorbei ins Franz-Josef- Strauß-Haus. Der CSU-Vorsitzende wird gleich eine Sprengladung zünden. Sie hat das Zeug, ihn selbst wegzufegen, den Bund von CDU und CSU, die Regierung zu kippen, die Statik Europas zu erschüttern. Seit drei Wochen liefert sich Seehofer einen Streit mit der Kanzlerin über die Flüchtlingspolitik. An diesem Sonntag wird er ihn auf die Spitze treiben in eine Eskalation hinein, aus der es für ihn wohl kein Zurück mehr gibt.

Dabei schien die Sache auf gutem Weg. Angela Merkel hat die Frist genutzt, die ihr die CSU- Spitze gewährt hat, um in Europa eine Verschärfung des Asylsystems auszuhandeln und eine Reihe von Staaten zumindest grundsätzlich dazu zu bewegen, bei ihnen schon registrierte Asylbewerber zügiger als bisher zurückzunehmen. Danach fand selbst der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, die Richtung stimme.

Doch der Mann, der für die CSU die Landtagswahl gewinnen soll, spielt in diesem Spiel womöglich auch nur noch eine Statistenrolle. Er wird später im CSU-Vorstand von Kompromissen reden, als schon niemand mehr weiß wie die aussehen sollen. Denn seit Samstagabend herrscht Krieg. Zwei Stunden hatten Merkel und Seehofer im Kanzleramt miteinander geredet. Was er von ihr verlangte, was sie ihm entgegenhielt, bleibt offen. Aber Seehofers Sicht auf das Treffen bekommen der CSU-Vorstand und die CSU-Abgeordneten aus dem Bundestag in München in aller Deutlichkeit zu hören. Das Gespräch mit Merkel sei „sinn- und wirkungslos“ gewesen, sagt der Parteichef. „Ich fahre extra nach Berlin, und die Kanzlerin bewegt sich null Komma null!“

Eine Stunde davor sitzt Angela Merkel im ZDF-Studio in Berlin. Das „Sommerinterview“ ist lange verabredet. Jetzt wird es zum Krisengespräch. Merkel ahnt, was Seehofer gleich tun wird. Sie nutzt die Chance, ihre Sicht auf die Dinge öffentlich darzustellen. Der Frage nach den Chancen auf eine Einigung weicht sie vage aus. Dafür bekräftigt sie ihre Grundsatzposition: Keine nationalen Alleingänge in Europa. Mit den Gipfel-Beschlüssen von Brüssel sei sie „einigermaßen zufrieden“, in der Summe sei das „wirkungsgleich“ zu den Forderungen ihres Innenministers, so wie es der CSU-Vorstand gefordert hatte. Das sei allerdings nur ihre persönliche Meinung. „Die CSU muss das natürlich für sich entscheiden.“

Wenig später ist klar: Seehofer hat sich entschieden – für Krieg. Nein, Merkels Paket sei kein Ersatz für direkte Zurückweisungen. Dass Asylsuchende, die in anderen Ländern registriert sind, hier ins Land gelassen und ihr Antrag in „ Ankerzentren“ in einem Kurzverfahren behandelt werden sollen – für ihn nicht akzeptabel. Die Vorständler bekommen den wochenlang geheim gehaltenen „Masterplan Migration“ auf den Tisch: „Künftig ist auch die Zurückweisung von Schutzsuchenden beabsichtigt, wenn diese in einem anderen EU-Mitgliedsstaat bereits einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchende registriert sind“, steht dort. Und nein, Merkels Angebot sei eben dazu „nicht wirkungsgleich“.

Am Ende der Debatte will er eine persönliche Erklärung abgeben. Eine Kampfansage? Ein Rückzug? Eine Ministeranordnung gegen den erklärten Willen der Kanzlerin? Alles erscheint möglich.

Der Krieg geht weiter

In Berlin machen sich die ersten Mitglieder des CDU-Präsidiums auf den Weg ins Konrad-Adenauer-Haus. Vielen hat, was sie da hören, die Sprache verschlagen. Selbst Christdemokraten, die mit Merkels Flüchtlingskurs immer haderten, sind ratlos und bestürzt über Seehofer. „Wo will er denn hin?“ fragt einer am Telefon. Der Hesse Volker Bouffier beschwört die Einheit der Union. Drinnen stellt Merkel fest, was jeder selbst sieht: Das ist eine „sehr ernste Situation“. Das Präsidium stellt sich geschlossen hinter die Vorsitzende. Im Vorstand plädieren einige für inhaltliches Einlenken: Die Einheit der Union stehe über allem.

In München debattiert die CSU Stunde um Stunde. Nach Seehofer nimmt Alexander Dobrindt das Wort. Der CSU-Landesgruppenchef gehört ganz sicher nicht zu den Statisten. Er fordert Konsequenz: „Wir müssen jetzt zeigen: Wir sind bereit, europäische Lösungen zu unterstützen, aber wir sind auch bereit, nationale Maßnahmen umzusetzen“, zitieren ihn Teilnehmer. „Das ist eine Grundsatzfrage der Glaubwürdigkeit unserer Politik.“ Dobrindt deutet die Brüsseler Gipfelbeschlüsse wieder als Erlaubnis zum Alleingang. Merkel hat schon am Samstag widersprechen lassen und tut es im CDU-Präsidium wieder: „Interne“ Maßnahmen meine kein nationales Solo.

Nach Dobrindt sprechen andere. Der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber fordert Unnachgiebigkeit. Söder beklagt, noch nie habe die CDU in einem Landtagswahlkampf die CSU so wenig unterstützt. Einige wie Entwicklungsminister Gerd Müller oder der Brüsseler CSU-Spitzenmann Manfred Weber warnen vor Eskalation. Aber solche Stimmen sind in München in der Minderheit.

Zuletzt spricht Seehofer. Er bietet seinen Rücktritt an als Bundesinnenminister und als Parteivorsitzender. Dobrindt, wird berichtet, widerspricht: Das sei nicht akzeptabel als Folge der „Uneinsichtigkeit der Kanzlerin“. Minuten später in Berlin bekräftigt CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer: Keine nationalen Alleingänge. Der Krieg geht weiter.

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