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Eine Behörde, die immer auch so hieß wie ihre Chefs, zuletzt eben die Jahn-Behörde. Jetzt wird sie geschlossen. Ein einschneidender Moment.

© Christoph Soeder/dpa

Die Stasi-Unterlagenbehörde schließt: Deckel zu, Akten offen – wie überlebt Ost-Geschichte?

Die Stasi-Unterlagenbehörde war mehr als ein Archiv. Sie war Kristallisationspunkt der ständigen Selbstbefragung. Der fällt nun weg. Was folgen sollte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Ide

Wenn eine Geschichte zu Ende ist, wird der Deckel zugeklappt. An diesem Donnerstag wird, gut 30 Jahre nach ihrer Erstürmung und Offenlegung der Akten durch das Volk – die Stasi-Unterlagenbehörde geschlossen. Die Unterlagen der DDR-Geheimpolizei gehen ins Bundesarchiv. Dort bleiben sie zwar weiter offen, werden aber ein Bestand unter vielen sein. So geht nach der DDR nun ihre Geschichtsschreibung in die Geschichte ein. Die Diktatur der SED rückt aus der Gegenwart. Wie kann sie trotzdem gegenwärtig bleiben?

Die Stasi war das Schreckgespenst der Einheit. Wie ein Schatten verfolgte sie die Menschen, die die DDR hinter sich lassen wollten. Die Stasi-Akten, zu denen Tonbänder, geheime Filme und Duftproben von DDR-Oppositionellen für Spürhunde gehörten, erinnern die Menschen an das Schmerzliche ihrer Biografien: das Mitmachen in einer Diktatur, den Verrat bis ins verliebte Bett, die Zersetzung von Seelen. Bis heute schmerzt das. Doch Vergangenheit vergeht nicht durch Beschweigen.

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Die Behörde, die das Erbe öffentlich durcharbeitete, war stets mehr als ein Archiv. Sie war Kristallisationspunkt der ständigen Selbstbefragung Ostdeutschlands. Der fällt nun weg. Den Schmerz darüber wird man erst später spüren. Fragen nach dem Früher werden fehlen, auch die erzwungenen. Bis ins Heute kommt es darauf an, die Mechanismen einer Diktatur zu begreifen, die Mechanismen des Mitmachens. Das Gedächtnis von Morgen muss sich dafür neue Stützen suchen.

Ost und West sind sich uneins, 30 Jahre später. Ost und Ost auch. Verwerfungen der schnellen Einheit, enttäuschte Erwartungen aneinander, Lücken unerzählter Erlebnisse zwischen Generationen: Die wunden Punkte der Erinnerung haben Joachim Gauck, Marianne Birthler und auch Roland Jahn als Behördenleiter offen bearbeitet. Anhand der Akten zeigten sie Geschichten des Widerstands und hielten Geschichte für Jüngere wach.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Bürgerrechtler und Staatsfeind Roland Jahn im Interview: "Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen"]

Der neuen Vizepräsidentin im Bundesarchiv Alexandra Titze (bisher Verwaltungschefin der Stasi-Akten-Behörde) dürfte es schwerer fallen, das öffentliche Erzählen fortzusetzen. Ein Erzählen, die Angela Merkel als erste ostdeutsche Kanzlerin schmerzlich gemieden hat. Die Akten bleiben offen, aber ein Deckel wird zugeklappt.

Die Transformationsprozesse sollen nun erforscht werden

So bleibt es an den Menschen, die in ihnen verborgenen Geschichten zu entdecken. Historische Orte gibt es genug, Vereine zur Erinnerung, Zentralen der politischen Bildung. Doch Lehrstühle für DDR-Geschichte fehlen, Lehrpläne für Schulen erst recht. Spannende Filme, Serien, Bücher können Lücken lindern, digitale Apps die neue Welt mit der alten füllen. Doch ohne selbstkritische Fragen geht es nicht: Warum haben sich die meisten im Westen allzu selten für den Osten interessiert? Warum war im Osten allzu oft der Westen schuld? Wann wird der eine Teil angemessen am Ganzen beteiligt? Was können wir für die nächsten Umbrüche lernen, wenn der Lebenslauf einer Gesellschaft neue Verläufe nimmt?

Die Prozesse der Transformation sollen nun erforscht, Orte der Demokratie weiterentwickelt werden. Es kann nur ein nächster Anfang sein, damit Integration endlich gelebt wird. Die DDR-Geschichte ist ein gemeinsames deutsches Erbe. Bisher haben es alle zu oft ausgeschlagen. Die Stasi-Akten helfen beim Erinnern, sie bleiben offen im Bundesarchiv. Die öffentliche Befragung, wie Vergangenheit künftig gegenwärtig bleibt, ist nun unser aller Sache. Wir sollten es wissen wollen.

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