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Mitarbeiter zählen im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, die Stimmzettel zum Mitgliederentscheid über einen neuen Bundesvorstand der SPD aus.

© Gregor Fischer/dpa

Die SPD vor dem Mitgliederentscheid: Großes Zählen am Tag der Wahrheit

Bei der Suche nach der neunen Parteispitze steuert die SPD heute auf das Finale zu. Kommt es zum Debakel bei der Wahlbeteiligung?

Sanftes Gemurmel und Geraschel herrscht im obersten Stock der SPD-Zentrale. Der Hans-Jochen-Vogel-Saal sieht ein bisschen aus wie eine Turnhalle, und die 250 Helfer, die hier am Samstag in zwei Schichten arbeiten, absolvieren eine besondere Übung: Sie zählen aus, wer künftig die SPD führt. Sechs Paare stehen zur Auswahl.

Und so stehen auf den rund 20 Sortiertischen jeweils acht rote Kunststoffboxen - eine mit den angelieferten Stimmzetteln, pro Kandidatenduo eine und eine für Enthaltungen. Dazu noch jeweils eine gelbe Kiste für Stimmzettel, die noch einmal geprüft werden sollen. Auf weiteren Tischen an der Wand werden die sortierten Zettel danach gezählt. Von oben fällt Licht durch Deckenfenster, Ordner bewachen die Auszählung. Die Stimmen, die online abgegeben wurden, werden in separaten Büros ausgezählt. Nichts soll schief gehen.

Die sechs Duos teilen die SPD-Mitglieder mehr oder weniger in zwei politische Lager: Die Konservativ-Etablierten fänden in Olaf Scholz und Klara Geywitz erfahrene, grundsolide, pragmatische, aber wenig erfrischende Parteichefs. Sie hätten dann auch gleich einen willigen Kanzlerkandidaten, der schon länger in der Liga von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer spielt.

Vor Beginn einer SPD-Regionalkonferenz steht in der Stadthalle eine goldene Glocke vor dem SPD-Hintergrund
Vor Beginn einer SPD-Regionalkonferenz steht in der Stadthalle eine goldene Glocke vor dem SPD-Hintergrund

© Fredrik von Erichsen/dpa

Wer macht das Rennen bei der Suche nach einem neuen Parteivorsitz? Verlässliche Prognosen gibt es nicht. Um 18.00 Uhr soll das Ergebnis in der Parteizentrale verkündet werden - es dürfte Einblicke in die Verfassung der gebeutelten Partei erlauben und einiges über die Überlebenschancen der Koalition sagen.

VORGESCHICHTE:

Vor mehr als viereinhalb Monaten, Anfang Juni, trat Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles zurück - der zur Ausübung ihrer Ämter nötige Rückhalt fehle, schrieb sie. Vorangegangen waren ein Debakel der SPD bei der Europawahl, unglückliche Auftritte von Nahles, Machtgerangel und böse Worte hinter den Kulissen.

Drei Wochen später wartete die SPD, inzwischen ausgestattet mit Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel als kommissarischen Chefs, mit einem komplizierten Plan zur Kandidatensuche auf. Mit 23 Regionalkonferenzen wollte man auch die CDU in den Schatten stellen, die vor der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer 2018 acht solcher Vorstellungsrunden absolviert hatte.

DAS RENNEN DER KANDIDATEN:

Lange meldeten sich kaum Bewerber. Ob Schwesig oder Dreyer, ob Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Finanzminister Olaf Scholz oder Familienministerin Franziska Giffey - niemand aus der ersten Reihe wollte kandidieren. Noch vor dem Start drohte die Kandidatenkür zur Farce zu werden.

Doch rechtzeitig vor dem Ende der Bewerbungsfrist am 1. September hatte es sich Scholz noch anders überlegt, und insgesamt fanden sich acht Duos und ein Einzelbewerber. 23 recht straff organisierte Vorstellungsrunden folgten, im Willy-Brandt-Haus freute man sich über volle Hallen und eine gestärkte „Lebendigkeit“ (Dreyer). Insgesamt 20 000 Besucher verfolgten das Casting jeweils vor Ort. Die Umfragewerte für die SPD blieben mit 14 bis 16 Prozent unterdessen im Keller.

DER MITGLIEDERENTSCHEID:

Seit Mitte Oktober können die rund 430 000 Mitglieder für die am Ende noch sechs Kandidatenduos abstimmen, online oder per Brief. Am Samstag kommen im Willy-Brandt-Haus wieder zwei Schlitzmaschinen zum Einsatz, die jeweils 20 000 Briefe pro Stunde aufschlitzen können. Wie sich die Mitglieder zu der Vorsitzendenkür stellen, weiß niemand vorherzusagen.

Eine Zahl lässt wenig Gutes ahnen: Bei recht müden 28,9 Prozent lag die Beteiligung vor einer Woche. Zwar ist damit das Mindestquorum von 20 Prozent längst erfüllt - doch nach großem Interesse, nach Zuversicht und Mobilisierung in der Partei sieht es nicht aus. Die Beteiligung am Mitgliedervotum über eine erneute GroKo lag 2018 noch bei 78,4 Prozent.

Olaf Scholz und Klara Geywitz nehmen an einer SPD-Regionalkonferenz zur Vorstellung der Kandidaten für den Vorsitz der SPD teil.
Olaf Scholz und Klara Geywitz nehmen an einer SPD-Regionalkonferenz zur Vorstellung der Kandidaten für den Vorsitz der SPD teil.

© Marijan Murat/dpa

ROLLE VON SCHOLZ:

Vor allem für den selbst- und machtbewussten Scholz könnte es schädlich sein, wenn er und seine Brandenburger Teampartnerin Klara Geywitz schlecht abschneiden. Schließlich ist Scholz der mit Abstand bekannteste Kandidat. Selbst als künftiger Kanzlerkandidat gegen eine Unionskandidatin Kramp-Karrenbauer soll er für sich Chancen sehen - da erschiene eine Niederlage in der eigenen Partei ziemlich verheerend.

Auch für die Zukunft der GroKo wäre ein Niederlage von Scholz und Geywitz ein schlechtes Zeichen, stehen sie doch wie kein zweites Kandidatenpaar dafür, zunächst die Errungenschaften der SPD in der Regierung hochzuhalten. Ähnlich wie Scholz und Geywitz repräsentieren Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping eher die traditionelle SPD. Die beiden Duos könnten sich gegenseitig das Wasser abgraben.

WEITERE KANDIDATEN:

Die anderen Duos haben sich eher kritisch zur GroKo präsentiert, links und reformerisch. Da ist vor allem der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der zusammen mit der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Saskia Esken antritt - sie gelten als Favoriten der Parteilinken.

Da sind die NRW-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann und Europa-Staatsminister Michael Roth, die als eher junges, unkonventionelles, frisches Team bei den Regionalkonferenzen punkten konnten. Parteivize Ralf Stegner und seine Mitstreiterin Gesine Schwan erwiesen sich bei den Regionalkonferenzen als schlagfertig und sammelten so Pluspunkte. Den Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Nina Scheer ist eigen, dass sie am deutlichsten den GroKo-Ausstieg fordern.

PERSPEKTIVEN:

In der Partei wird erwartet, dass kein Duo die absolute Mehrheit bekommt - vom 19. bis zum 29. November entscheiden die Mitglieder dann zwischen Platz 1 und 2. Vorher treffen die zwei vorne liegenden Duos bei mehreren Veranstaltungen aufeinander.

Kommen Scholz/Geywitz und ein eher linkes Paar weiter, könnte die Entscheidung zwischen beiden umso mehr als Richtungsentscheidung für die Partei gelten und als Vorentscheid für oder gegen die GroKo. Die neue Spitze endgültig bestätigen sollen die Delegierten des Parteitags Anfang Dezember in Berlin - auch um die Zukunft der GroKo soll es da gehen und um die programmatische Erneuerung der Partei. (dpa)

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