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Im Taktieren erfolgreicher als im Kommunizieren: Vizekanzler Olaf Scholz und Parteichefin Andrea Nahles (beide SPD) nach der Einigung im Asylstreit.

© Omer Messinger/AFP

Die SPD und die Flüchtlingsdebatte: Keine sozialdemokratische Botschaft in Sicht

Taktisch haben die Sozialdemokraten vieles richtig gemacht im Asylstreit mit Seehofer. Trotzdem setzt sie das Thema massiv unter Druck.

Von Hans Monath

Es war einer jener raren Momente in jüngster Zeit, in dem die SPD auf großer Bühne über eines ihrer Kernthemen sprechen konnte. Im gut gefüllten Pressesaal des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stellte Ressortchef Hubertus Heil Ende vergangener Woche sein neues Rentenkonzept vor. Keine neue Flüchtlings-Drohung von Innenminister Horst Seehofer oder dessen CSU verdrängte das Versprechen zur Absicherung älterer Menschen aus den Medien.

Viele solcher Gelegenheiten hat die SPD nicht nutzen können in den vergangenen Monaten. Zu oft begegneten SPD-Politikern in den Überschriften die Wörter „Streit um Asyl“ – und meist wussten sie dann, dass sich nun alle Aufmerksamkeit auf dieses Feld richten und nur wenig Interesse bestehen würde an Themen wie Mieterschutz, Zurückdrängung von Leiharbeit oder Kita-Plätzen. Schließlich stand im von Seehofer angezettelten Königsdrama auch der Bruch der Regierung zur Debatte.

Mit eigenen Themen wieder nach vorne kommen aber muss die SPD. Denn die Partei profitiert nicht davon, dass CSU und CDU sich im Asylstreit mit Methoden bekämpfen, die alle Regeln verantwortlichen Handelns einer Regierung sprengen. Im Gegenteil: Die SPD verliert an Zustimmung. Mehrere bundesweite Umfragen in jüngster Zeit taxierten sie bei 17 Prozent, während die AfD gleichzieht. In Bayern, wo wie in Hessen im Herbst gewählt wird, sieht es noch düsterer aus. Denn dort drohen Zustände, wie man sie bisher nur aus dem Osten der Republik kennt. Die SPD könnte im Freistaat auf dem vierten Platz landen, hinter CSU, AfD und Grünen, mit gerade einmal 12 Prozent.

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Der Druck der schlechten Zahlen verunsichert die Genossen, von denen viele ohnehin ihrer eigenen Führung misstrauen. Aber in der Megadebatte über Flucht und Begrenzung scheinen der SPD die Hände gebunden. Denn das politischen Thema, über das Republik spricht, bestimmen Seehofer, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder alleine. Die Bayernpartei verfügt über die Eskalationsdominanz. Das heißt: Es kann jederzeit wieder losgehen.

Die Öffentlichkeit in Wallung bringt nur die CSU

Taktisch sind Andrea Nahles und Olaf Scholz nach dem Urteil vieler Genossen klug umgegangen mit Seehofers Erpressungsversuch zu nationalen Alleingängen an der Grenze. Die Partei- und Fraktionschefin sowie der Vizekanzler spielten dem Innenminister die Verantwortung für das Gelingen seiner gestutzten Pläne zurück – in der Erwartung, dass das Aushandeln von Verträgen zur Rückführung in andere EU-Staaten schwierig wird.

Doch das heißt keineswegs, dass die SPD im Streit um Migration und Flüchtlinge schon eine Position gefunden hätte, welche die gegensätzlichen Positionen dazu in der Partei versöhnt. "Sehr ambivalent" werde die Flüchtlingspolitik von den eigenen Anhängern betrachtet, erklärte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann in der "Welt": "Viele unserer Wähler wollen helfen, machen sich aber gleichzeitig Sorgen; die müssen wir ernst nehmen, denn es sind mitnichten Rassisten oder Fremdenfeinde."

Noch hat die SPD keine Botschaft zur Flüchtlingspolitik gefunden, die zugleich leicht verständlich und unverwechselbar sozialdemokratisch ist. Einstimmig verabschiedete der Parteivorstand einen Fünf-Punkte-Plan zur Migration. Er verlangt eine europäische Lösung, erteilt nationalen Alleingängen sowie Transitzentren eine Absage und spricht sich auf Anregung von Gerald Knaus vom Thinktank "European Stability Initiative" dafür aus, mit einer Reihe Asyl-freundlicher Staaten voranzugehen und durch einen Fonds aufnahmebereite Kommunen in der EU zu unterstützen. Über Integration, eigentlich ein ur-sozialdemokratisches Thema, steht wenig in dem Papier.

Verabschiedet wurde der Plan erst Anfang Juni – womöglich zu spät, um die SPD gut aufzustellen. Doch selbst auf dem linken Flügel der Partei sind viele überzeugt, dass die Thesen zwar als Argumentationshilfe für Funktionäre taugen mögen, doch die Partei nicht wirklich sprechfähig sei beim heiklen Thema. Die Position, so heißt es, müsse in Diskussionen mit der Basis entwickelt werden, was bis in den Winter dauern könne.

Wenn Dobrindt, Seehofer und Söder mit Provokationen wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" oder "Anti-Abschiebe-Industrie" die Öffentlichkeit in Wallung bringen, kann die SPD wenig entgegensetzen. Es herrsche "ein riesiges Kommunikationsloch" urteilten die Analytiker, die im Auftrag der Partei den jüngsten Bundestagswahlkampf untersuchten. "Framing" nennt die Wissenschaft den Versuch, mit emotional unterfütterten Begriffen die Debatte zu bestimmen. Der womöglich letzte Sozialdemokrat, dem das gelang, war Franz Müntefering. 2005 lieferte sein Kampfbegriff "Heuschrecke" für Private Equity-Firmen wochenlang Stoff für Debatten, in denen immer wieder daran erinnert wurde, dass es die SPD war, die das Problem entdeckt und angesprochen hatte

Eine emotional packende Botschaft aber enthält das Vorstandspapier zur Migration nicht. "Der Fünf-Punkte-Plan bringt uns nicht wirklich weiter", sagt der bayerische Bundestagsabgeordnete Florian Post. Es sei zwar "ehrenwert", dass der Text die Grundsätze der Humanität betone, aber das dürfe nicht die einzige Botschaft der SPD sein: "Wir müssen die Stabilität in Europa sowie die Steuerung und Begrenzung des Flüchtlingszuzugs in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Nur wenn wir den Menschen wieder das Gefühl von Sicherheit vermitteln, können wir die offenen Grenzen im Schengen-Raum verteidigen."

Der Bayer ist nicht der einzige in der Partei, der eine Zuspitzung der Flüchtlingsbotschaft für nötig hält. Doch seit Seehofer in der Asyldebatte mit Macht nach rechts drängt, ist der Spielraum für die SPD eng geworden. Denn Nahles und Scholz dürfen keinesfalls als Getriebene der CSU erscheinen, könnten nur aus eigener Souveränität die Position der SPD ändern. Florian Post aber meint, die Lage sei so ernst, dass die SPD trotzdem handeln müsse. Sein Fazit: "Wenn unsere Parteiführung nicht versteht, dass wir hier klare Botschaften senden müssen, wird die SPD in der Flüchtlingsdebatte nicht mehr vorkommen."

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