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Willy sieht alles: SPD-Chefin Andrea Nahles erklärt die Wahlniederlage von Hessen.

© Tobias Schwarz/AFP

Die SPD und der Wechsel in der CDU: Der Druck auf die SPD-Führung wächst

Die Sozialdemokraten überlegen, welcher Merkel-Nachfolger ihnen das Leben leichter macht. Dabei sind viele mit der eigenen Führung sehr unzufrieden.

Von Hans Monath

Die SPD-Führung ist jünger, als ihr Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück glaubt, und hat trotzdem ein Problem: Kaum einer merkt es. Ausgerechnet der Ex-Finanzminister vom rechten SPD-Flügel empfahl nun, Parteichefin Andrea Nahles abzulösen und durch eine Galionsfigur der Linken zu ersetzen. Die Partei müsse mehr provozieren und zuspitzen und brauche "eher eine Person wie Bernie Sanders", nur 30 Jahre jünger, sagte Steinbrück der "Süddeutschen Zeitung".

Im Willy-Brandt-Haus wurde die Empfehlung mit einer Mischung aus Verwunderung und Amüsement aufgenommen. Denn Nahles hat zwar wenig gemein mit dem charismatischen US-Senator, ist aber 29 Jahre jünger als der Demokrat. Zumindest dieses Kriterium Steinbrücks erfüllt sie.

Ein Gefühl von Aufbruch vermittelt die 48-Jährige trotzdem nicht. Obwohl sie die strauchelnde Partei erst seit sechs Monaten führt, haben viele den Eindruck, sie amtiere schon ewig. Tatsächlich prägt die Ex-Juso Chefin die Politik der SPD seit mehr als 20 Jahren mit.

Der Verzicht Angela Merkels auf den CDU-Vorsitz hat auch in der SPD den Ruf nach personeller Erneuerung geweckt und die Frage aufgeworfen, welche Nachfolgerin oder welcher Nachfolger Merkels die Sozialdemokraten durch stärkere Abgrenzung wieder stabilisieren könnte. Obwohl Bundestagsabgeordnete und andere Mandatsträger in ihrer Verzweiflung über die Lage ihrer Partei längst auch über Wege nachdenken und sprechen, das Spitzenpersonal der SPD zu ersetzen, wurden Personalfragen am Montag in der Vorstandssitzung nach der desaströsen Hessen-Wahl nicht thematisiert.

Beunruhigender als der Ratschlag des notorisch eigensinnigen Steinbrücks muss für Nahles sein, dass der neue SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Horst Arnold, forderte, Juso-Chef Kevin Kühnert solle ihr Amt übernehmen. Die Frage nach einem Austausch der Parteispitze ist damit nicht mehr tabu – obwohl viele Sozialdemokraten darauf hinweisen, dass der Dauerwechsel mit zehn Parteichefs seit dem Jahr 2000 den Absturz nicht aufhalten konnte.

Die Angst davor, dass alles ins Rutschen kommt

Noch wiegt die Angst vor unkalkulierbaren Folgen einer Personalrochade in der SPD gegenwärtig schwerer als die Unzufriedenheit mit der Führungsleistung von Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz. Unter dem Schutz der Anonymität urteilen erfahrene Abgeordnete vernichtend über die beiden Politiker. Die Basis, sagen manche, habe seit Nahles’ Fehler im Fall Maaßen jeden Respekt vor ihr verloren, schäme sich für sie. Auch der Finanzminister hat viele enttäuscht. Er treibe sozialdemokratische Projekte nicht voran, vermittle stattdessen in Fraktionssitzungen in arroganter Weise den Eindruck, dass er sich den meisten überlegen fühle, berichten Parlamentarier. Als mögliche Nachfolger von Nahles werden Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, seine Kollegin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern und vereinzelt sogar Ex-Parteichef Sigmar Gabriel genannt. Aus Parteikreisen heißt es unterdessen, ein Personalwechsel vor dem CDU-Parteitag Anfang Dezember sei unwahrscheinlich.

Tatsächlich spricht manches dafür, vor Entscheidungen den Ausgang der Wahl bei der CDU abzuwarten. Wichtige Sozialdemokraten teilen die Erwartung von Parteivize Ralf Stegner und Kühnert, dass ein Jens Spahn oder Friedrich Merz die politische Kultur beleben könnten. "Wenn jemand wie Merz CDU-Chef werden sollte, hätte das jedenfalls den Vorteil, dass sich Union und SPD klarer unterscheiden als heute", sagt Stegner. Das minimiere das Potenzial der Rechtspopulisten und stärke die Demokratie. Umgekehrt heißt das: Mit Annegret Kramp-Karrenbauer bliebe es schwieriger für die SPD, den Unterschied zur Politik der Christdemokraten herauszuarbeiten.

Klaus Barthel, Chef der einflussreichen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), hält nichts von den Aussagen Stegners und Kühnerts. "Wer so redet, hat nicht verstanden, worum es in der Politik geht", warnt er. Wenn die Konservativen "nach rechts" gingen, heiße das nicht, "dass links mehr Raum ist". Die Sozialdemokraten dürften nicht darauf hoffen, dass die CDU konservativer werde, sagt der AfA-Chef: "Wenn es der SPD nicht gelingt, sich von der Merkel-CDU abzugrenzen, dann liegt das an der eigenen Schwäche."

Auf die Entscheidung in der CDU haben die Sozialdemokraten ohnehin keinen Einfluss, können nur die Folgen verschiedener Szenarien für sich abwägen. Sollten Merz oder Spahn gewählt werden, werden Konflikte des neuen CDU-Chefs mit der Kanzlerin erwartet, die radikale Lösungen provozieren könnten. Ohnehin glauben SPD-Strategen, dass die CDU, die Grünen und die FDP lieber Neuwahlen anstreben als eine Jamaika-Koalition eingehen wollen. Auch Juso-Chef Kühnert rechnet mit einem baldigen Ende der Koalition. "Die Frau, die wie keine andere die große Koalition verkörpert, sie könnte schlussendlich wesentlichen Anstoß für ein rascheres Ende dieser Koalition gegeben haben", schrieb er im "Handelsblatt".

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