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Ich soll schuld sein? Nix da. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)

© imago images/Metodi Popow

Die SPD attackiert den Gesundheitsminister: Die Roten spielen Schwarzer Jens

Mit einer konzertierten Attacke versucht die SPD, Gesundheitsminister Jens Spahn für Impfprobleme verantwortlich zu machen. Die Kanzlerin springt ihm bei.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

Florian Post ist in der SPD nicht die ganz große Nummer, was unter anderem daran liegt, dass er aus der bayerischen Diaspora kommt. Zum Ausgleich meldet sich der Bundestagsabgeordnete oft besonders laut zu Wort.

So auch diesmal. „Ich fordere einen Untersuchungsausschuss!“ lässt sich Post von „Focus“ zitieren, zwecks Aufklärung eines „Impfskandals“.

Ganz so forsch geht der Rest der SPD nicht zu Werke. Dafür sind es aber die ganz großen Nummern der Partei, die pünktlich zum Corona-Gipfel bei der Kanzlerin die koalitionäre Geschlossenheit aufkündigen. Es läuft nicht alles rund zum Impfstart in Deutschland. Und die Sozialdemokraten haben sich einen Schuldigen ausgesucht.

Ihre Anklageschrift ist schon fertig. Vier Seiten mit 23 Fragen nebst Unterpunkten hat Berlins Senatskanzleichef Christian Gaebler am Sonntagabend namens der SPD-regierten Bundesländer an Jens Spahns Gesundheitsministerium geschickt. Das Papier dreht sich um die Beschaffung respektive Nichtbeschaffung von Corona-Impfstoffen.

Angriff mittels Fragezeichen

Es ist in einem derart streng-kalten Ton verfasst, dass es problemlos als Grundlage für einen Postschen Untersuchungsausschuss taugen würde.

Warum die EU „so wenige“ Impfdosen vorbestellt habe, lautet etwa eine Frage.

Eine andere, ob auf die Brüsseler Kommission „eingewirkt“ worden sei, mehr bei den Herstellern Biontech/Pfizer und Moderna zu ordern, sobald sich deren Wirkstoffe im Lauf des Jahres als besonders aussichtsreich abzeichneten: „Wenn ja: warum war das nicht erforderlich? Wenn nein: warum nicht?“

Sogar nach den zugesagten Lieferterminen und -mengen an die Bundesländer im Monat Dezember werden Erkundigungen eingezogen – eine Information, die sich Gaeblers Chef Michael Müller als amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz mit einer kurzen Rundmail problemlos selbst beschaffen könnte.

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Doch ums Wissenwollen geht es in dem Katalog erkennbar nur am Rande. Es geht darum, in Frageform den Eindruck zu erzeugen, der christdemokratische Minister habe von Lizenzproduktion bis zu nationaler Nachbeschaffung praktisch alles für einen flotten Impfstart verpennt.

Wer auf die Idee mit der Liste kam, ist unklar. Aber die SPD-Spitze war mindestens eingebunden. Am Montag feuerte Generalsekretär Lars Kingbeil eine erste Salve auf Angela Merkel und ihren Parteifreund Spahn ab: Es könne nicht sein, dass das Land, in dem der Biontech-Impfstoff erfunden wurde, am Ende zu wenig davon habe.

Nachmittags im Corona-Kabinett sprach Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Länder-Liste an und drang bei Spahn auf Antwort. Der habe auf später vertröstet, wird aus der SPD berichtet; seine Fachleuten seien mit der Vorbereitung des Corona-Gipfels beschäftigt. Einen größeren Teil der Fragen, unkt ein CDU-Regierungsmann, könne sich Scholz ohnehin alleine beantworten; schließlich sei er als Vizekanzler und Finanzminister in die Regierungsdinge umfänglich eingebunden.

Spahn sieht keinen "Impfskandal"

Am Dienstagfrüh steht der Mann, der als Sündenbock erkoren ist, am Tresen des ARD-„Morgenmagazin“ und sucht die Attacke zu parieren.

Impfskandal? Zu wenig Impfstoffe? Jens Spahn schaut die Fragestellerin leicht tadelnd an. Die 1,3 Millionen im Dezember von Biontech ausgelieferten Dosen seien „genau die Größenordnung, die ich seit Monaten nenne.“ Überhaupt laufe im Grunde genommen alles so wie seit Wochen besprochen – und zwar „in der Öffentlichkeit, im Parlament, im Corona-Kabinett“. Zu Deutsch: In Anwesenheit der SPD.

Wo noch Fragen seien, könne man die gewiss auch beantworten. Aber „in so 'ner echt schwierigen Phase der Pandemie erwarten die Bürger – zu Recht, denke ich –, Entschlossenheit und Geschlossenheit ihrer Regierung.“

Spahn schaut staatsmännisch drein, bevor er zur Gegenattacke ausholt: „Es funktioniert in so einer Phase nicht gut, gleichzeitig Regierung und Opposition sein zu wollen.“

Merkel regt sich regelrecht auf

Spahn weiß wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass er im Lauf des Tages massive Schützenhilfe kriegen wird. Merkel regt sich beim Corona-Gipfel für ihre Verhältnisse geradezu auf. „Ich finde es schon sehr selbstbewusst, wie wir über andere richten“, zitieren Teilnehmer die Kanzlerin Richtung der SPD-Länder. Als ob nicht in diesem Kreis auch genügend schief gelaufen wäre. „Wenn ich mal auspacke …!“

Im Nachhinein versichert übrigens auch mancher SPD-Obere, dass ihm nicht ganz wohl bei der Aktion sei. Es gibt viel Unsicherheit und Ärger in der Bevölkerung darüber, wer wann und wie geimpft wird und warum das nicht flotter geht. Andererseits wollen die Leute in erster Linie gegen die Seuche immun werden. Schuldzuweisungen, warum irgend etwas nicht funktioniert, helfen ihnen dabei nicht.

Andererseits sind es nicht nur SPD-Länderchefs, die versuchen, die Schuld an Problemen und Ärger mit dem Impfen von sich zu weisen. Markus Söder verstieg sich sogar bei „Bild“ zu dem Satz: „Wir müssen jetzt leider den Lockdown verlängern, weil nicht genügend Impfstoff da ist.“ Wenn der Bayer auch nur versehentlich derartigen Unfug redet – selbst ein biblisches Wunder der plötzlichen Impfstoffvermehrung würde immer noch Monate fürs Einimpfen erfordern –, dann ist das ein sicheres Zeichen, dass er Gefahr fürs eigene Image wittert.

Tatsächlich ist es Sache der Länder und der untergeordneten Körperschaften, wie sie das Impfen organisieren. Der Bundesgesundheitsminister kann jedenfalls nichts dafür, wenn Hochbetagte auf der Suche nach Terminen in Hotlines hängen.

Auch Spahn steht im dringenden Foulspiel-Verdacht

Wobei – der Herr Minister hat es auch drauf, seine Hände vorsorglich in Unschuld zu waschen. Seit Tagen treibt die „Bild“-Zeitung ein Empörungsspiel damit, dass die Kanzlerin die Bestellung der Impfstoffe der EU übertragen hat, nachdem Spahn schon mit den Kollegen aus Frankreich, Italien und den Niederlanden eine Bestellaktion angeschoben hatte. Gegen diesen Auftrag an die Kommission von Ursula von der Leyen, heißt es in den Berichten, habe Spahn Bedenken gehabt. Man muss nicht einmal Sozialdemokrat sein, um hinter der bisweilen recht eigenwilligen Lesart interner Dokumente deren Profiteur hervorlugen zu sehen. Merkel revanchiert sich für das Foul in der Pressekonferenz nach dem Länder-Treffen damit, dass sie verkündet, sie habe den Gesundheitsminister in jeder Phase unterstützt, und ohne ihn hätte das alles in der EU auch nie so gut funktioniert.

Spahn zieht derweil mit der nächsten frohen Botschaft durchs Land. Wenn alles klappt, verspricht er, gebe es bis Sommer genug Impfstoff für alle Deutschen. Das klingt etwas gewagt, aber er kann sich immerhin auf Biontech-Chef Ugur Sahin stützen, der die Prognose stützt. Vorerst arbeitet ja auch die Zeit für den Minister. Die Zulassung des Serums der US-Firma Moderna steht kurz bevor. Weitere Impfstoffe könnten folgen. Dann wird niemand mehr wissen wollen, ob – Punkt 15 der SPD-Liste – der Minister sich auch ausreichend den Kopf darüber zerbrochen hat, ob, wann und wie viele davon eventuell aus Indien kommen könnten.

Merkel allerdings will so lange nicht abwarten. Sie hat mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin über eine Impfstoffkooperation telefoniert. Für Mittwoch hat sie eine kleine Ministerrunde zu sich geladen, um zu beraten, wie sich die Biontech-Produktion noch ausweiten ließe.

Spahn ist in dem Kreis dabei, Scholz auch. Beide werden danach gemeinsam vertreten müssen, was beschlossen wird, auch der Sozialdemokrat. Merkel hat immer Wert darauf gelegt, dass in ihren Kabinetten keine parteipolitischen Hahnenkämpfe offen ausgetragen werden.

Für Spahn hat die Einladung freilich ebenfalls einen Haken. Merkel gibt zwar nach dem Corona-Gipfel auf Nachfragen zu Protokoll: „Jens Spahn macht einen prima Job.“ Sie könne nur froh sein über einen derart aktiven Gesundheitsminister. Aber hinterher kann es natürlich trotzdem leicht heißen: Da musste also doch erst wieder die Kanzlerin ran!

Außerdem gibt es zwar unstreitig viel Unsicherheit und Ärger in der Bevölkerung darüber, wer wann geimpft wird und warum das nicht flotter geht. Andererseits wollen die Leute in erster Linie rasch gegen die üble Seuche immun werden; wer was wo verbockt haben könnte, interessiert da vermutlich allenfalls an zweiter Stelle. Spahn bohrt an dem Punkt denn auch gleich nach: „Die Zuversicht, die trüben wir uns gegenseitig“, tadelt er seine Kritiker.

Gerade die Ministerpräsidenten haben eigentlich ja auch die Erfahrung gemacht, dass Differenzen von den Landeskindern längst nicht so honoriert werden wie sie ohne große Umstände „die Politik“ kollektiv für Gezänk und Eigenbrötelei schmähen.

Andererseits sind es nicht nur SPD-Länderchefs, die versuchen, die Schuld an Problemen und Ärger mit dem Impfen von sich zu weisen.

Markus Söder verstieg sich sogar bei der „Bild“-Zeitung zu dem Satz: „Wir müssen jetzt leider den Lockdown verlängern, weil nicht genügend Impfstoff da ist.“ Wenn der Bayer derartigen Unfug redet – selbst ein biblisches Wunder der plötzlichen Impfstoffvermehrung würde immer noch Monate fürs Einimpfen erfordern –, dann ist das immer ein sicheres Zeichen dafür, dass er Gefahr fürs eigene Image wittert.

Wer bestimmt das Tempo?

Tatsächlich ist es Sache der Länder und der untergeordneten Körperschaften, wie sie das Impfen organisieren. Der Bundesgesundheitsminister kann jedenfalls nichts dafür, wenn Hochbetagte auf der Suche nach Terminen in Hotlines hängen. Ihm ist auch nur schwer vorzuwerfen, er habe nicht laut und häufig genug vor überzogenen Erwartungen gewarnt.

Spahn hütet sich allerdings am Dienstag vor der Versuchung, seinerseits in ein Schuldigen-Spiel einzusteigen. Im Gegenteil: Er zeigt Verständnis, dass das mobile Impfen in Pflegeheimen besonders viel Zeit brauche. Durchs Land zu reisen, sehr alte Menschen aufzuklären, im Zweifel von Betreuern Einwilligungen zu beschaffen, all das dauert halt wirklich länger als eine Reihenabfertigung im Impfzentrum.

Wobei – der Herr Minister hat es schon auch drauf, die eigenen Hände vorsorglich in Unschuld zu waschen.

Seit Tagen treibt die „Bild“-Zeitung ein Empörungsspiel damit, dass die Kanzlerin die Bestellung der Impfstoffe der EU übertragen hat, nachdem Spahn schon mit den Kollegen aus Frankreich, Italien und den Niederlanden eine Bestellaktion angeschoben hatte. Gegen diesen Auftrag an die Kommission von Ursula von der Leyen, heißt es in der Lesart aus der Kochstraße, habe Spahn Bedenken gehabt.

Man muss nicht einmal Sozialdemokrat sein, um hinter derlei Anti-Brüssel-Kampagne den Profiteur im Berliner Ministerium hervorlugen zu sehen.

Der zieht derweil mit den nächsten frohen Botschaften durchs Land. Nach der Impfung der Hochrisikogruppen stellt Spahn Lockerungen in Aussicht, und bis Sommer, wenn alles klappt wie geplant, genug Impfstoff für alle Deutschen.

Die Zeit arbeitet für ihn. Die Zulassung des Serums der US-Firma Moderna steht kurz bevor. Wenn nicht etwas grundlegend schief geht, werden weitere Impfstoffe folgen.

nd spätestens dann wird vermutlich wirklich keiner mehr wissen wollen, ob – Punkt 15 der SPD-Liste – der Minister sich ausreichend über die Frage den Kopf zerbrochen hat, ob, wenn ja wann und wie viele davon eventuell aus Indien nach Europa kommen könnten.

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