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Der Staat braucht mehr Geld für die Zeitenwenden - das steht fest.

© Marc Müller/dpa

Die Schuldenbremse muss bleiben: Sie zwingt den Staat zur Suche nach Mehreinnahmen - Beispiel Reichensteuer

Ohne Schuldenbremse wäre die Versuchung von Steuersenkungen zu groß. Dabei müssen hohe Einkommen und Vermögen höher besteuert werden. Ein Gastbeitrag.

- Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und war von 2011 bis 2016 Finanzminister von Baden-Württemberg.

Die Kritik an der Schuldenbremse des Grundgesetzes ist nicht neu. Sie erlaube nicht genügend Investitionen und gehe zu Lasten wichtiger Zukunftsausgaben, sagen ihre Widersacher. Jetzt kommt noch ein originelles Argument hinzu: Sie beeinträchtige die Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Außenpolitik.

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Auf den ersten Blick scheint dies durchaus plausibel. Nach unserer Verfassung ist ausschließlich der Bund zuständig für die internationalen Beziehungen. Er allein finanziert Verteidigung, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Und gerade die Bundeswehr ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Allerdings hat der Sinkflug des Wehretats schon vor dem Inkrafttreten der Schuldenbremse 2011 begonnen, und die Schubumkehr in der letzten Wahlperiode war trotzdem möglich. Ähnliches gilt für die Entwicklungshilfe Die Zielgröße von 0,7 Prozent des BIP wurde 2020 erstmalig erreicht.

Es zeichnet sich jedoch ab, dass nach der Zeitenwende dauerhaft Mehrausgaben für die internationalen Verpflichtungen Deutschlands unabweislich sind. Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht dafür Ausgaben von drei Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Dennoch greift der Vorschlag, auf die Schuldenbremse zu verzichten, zu kurz. Zudem bedenkt er nicht die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen.

Die öffentliche Hand wird mehr Geld brauchen

Angesichts unabweisbarer Anforderungen an den Staat im Äußeren wie im Inneren – etwa bei Bildung, Infrastruktur, sozialer Sicherung und Klimaschutz – steigt der Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand in Deutschland weiter an. Dies ist unbestreitbar. Allein über die Kürzung und Umschichtung von bestehenden Ausgaben wird das nicht gehen. Das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte.

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Also geht es darum, die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Die bestehen im wesentlichen aus Steuern und nachrangig aus Krediten. Wer nur die Abschaffung der Schuldenbremse in den Blick nimmt, blendet die zentrale Herausforderung für die öffentlichen Finanzen aus: die Sicherung und Erhöhung der Steuereinnahmen.

Bestehendes Steuerrecht konsequent anwenden

Dazu müssen wir erstens bestehendes Steuerrecht konsequent anwenden. Der Kampf gegen Steuerbetrug hat eine beträchtliche internationale Dimension, wie die „Panama Leaks“ und andere Enthüllungen belegen. Die Allianz für Demokratie, die US-Präsident Biden ins Leben gerufen hat, muss ein Bündnis für internationale Steuergerechtigkeit werden. Gerade Demokratien sind existenziell auf die Finanzierung durch Steuern angewiesen. Der Kanzler kann eben nicht wie Herr Putin einfach mal ein paar Oligarchen enteignen.

Zweitens müssen hohe Einkommen und Privatvermögen mehr zum Gemeinwohl beitragen. Das heißt, sie müssen stärker besteuert werden. Die Herausforderungen der Zeitenwende gehen nämlich weit über die Außenpolitik hinaus. Es geht um die Resilienz unserer Gesellschaft und um unser Bestehen im Systemwettbewerb mit autoritären Staaten wie Russland und China. In den nächsten Jahren müssen wir beweisen, dass offene, demokratisch regierte und rechtstaatlich verwaltete Gesellschaften in der Lage sind, Wohlstand, Sicherheit und Nachhaltigkeit zu organisieren.

Das erfordert eine auch finanzielle Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen. Der Bund allein wird den Ausbau der Kinderbetreuung, die Digitalisierung und die Energiewende nicht stemmen. Selbst wenn er immer mehr der Finanzierung davon übernimmt, so bleibt es doch in der Umsetzung Aufgabe von Ländern und Kommunen. Und die Lösung kann nicht sein, auf allen Ebenen die Schleusentore für die Verschuldung zu öffnen.

Hamburg zählt viele Superreiche, die auch gerne in Blankenese mit Blick aufs Wasser leben.
Hamburg zählt viele Superreiche, die auch gerne in Blankenese mit Blick aufs Wasser leben.

© imago images/JOKER

Unerwünschte Nebenwirkungen treten hinzu. Am wirkungsvollsten war die Schuldenbremse in den vergangenen zehn Jahren in ihrer Funktion als Steuersenkungsbremse. Abgesehen von verfassungsrechtlich gebotenen Anpassungen der Einkommensteuer gab es keine Steuersenkungen auf breiter Front. Selbst wenn im Bundestag wie unter Schwarz-Gelb eine Mehrheit dafür besteht, können sich die Bundesländer jedweder Couleur in ihrer großen Mehrheit die dadurch hervorgerufenen Einnahmeausfälle nicht leisten. Diese wenig beachtete Seite der Schuldenbremse ist elementar für die Handlungsfähigkeit des Staates.

Eine Aufhebung würde unweigerlich dazu führen, dass das Spiel der Steuersenkungen wieder eröffnet würde. Zwar wird als Nachfolgeregelung zur Schuldenbremse eine Begrenzung der Kreditaufnahme auf investive Ausgaben diskutiert. Aber es würden gleichzeitig doch zusätzliche Spielräume im Haushalt für Steuersenkungen geschaffen. Übrigens gab es genau so eine Vorschrift vor der Schuldenbremse – mit dem bekannten Ergebnis: hohe Verschuldung, immer weniger Investitionen und ein großer Appetit auf Steuersenkungen, die die finanzielle Basis der öffentlichen Hand weiter erodieren ließen.

Die Schuldengrenzen der Länder sollten korrigiert werden

Die Struktur der Schuldenbremse trägt dem Rechnung – und verringert gleichzeitig das Risiko überschießender Staatsausgaben. Diese politische Balance der Schuldenbremse, die ihre Einführung überhaupt erst mehrheitsfähig gemacht hat, sollten wir nicht leichtfertig in Frage stellen. Das sollte uns nicht daran hindern, die Schuldenbremse dort zu korrigieren, wo sie Schwächen hat. Dies gilt zum Beispiel für die Schuldengrenzen der Länder, die noch strenger sind als die des Bundes.

Gleichzeitig wurden ihnen keine zusätzlichen Steuererhebungsrechte (außer bei der Grunderwerbsteuer) gewährt, obwohl sie bei Kinderbetreuung, Bildung, Forschung und Infrastruktur zusammen mit den von ihnen finanzierten Kommunen zentrale Akteure sind. Gerade die Personalengpässe in Landes- und kommunalen Verwaltungen sind ein wichtiger Hemmschuh für gute Bildung und Kinderbetreuung und für die Beschleunigung der Energiewende, des Wohnungsbaus und des Ausbaus der Verkehrswege.

Auch könnte Bund und Ländern mehr konjunkturell bedingte Verschuldung erlaubt werden. Schließlich braucht es die Flexibilisierung der Schuldenregeln des Stabilitätspaktes und die Möglichkeit von Eurobonds, um den Zusammenhalt und das Wachstum in Euro-Raum zu stärken.

Doch die Schuldenbremse komplett abzuschaffen wäre ein Fehler. Ihr Hauptproblem ist nicht, dass sie Staatsverschuldung einhegt. Es ist vielmehr politischer Natur: Wenn die Kreditaufnahme erschwert ist, muss die Basis für Steuereinnahmen verbreitert werden. Die Flucht in die Verschuldung ist eine Scheinlösung, mit der die dauerhaft notwendigen Mehrausgaben zur Bewältigung der Zeitenwende nicht gestemmt werden können. Übrigens: Steuergesetze benötigen eine einfache Mehrheit, Verfassungsänderungen wie etwa zur Aufhebung der Schuldenbremse eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Konzentrieren wir uns also auf den realistischeren Weg hin zur nachhaltigen Finanzierung der Zeitenwende.

Unterfinanzierung der Armee begann vor der Schuldenbremse

Die Kritik an der Schuldenbremse des Grundgesetzes ist nicht neu. Sie erlaube nicht genügend Investitionen und gehe zu Lasten wichtiger Zukunftsausgaben, sagen ihre Widersacher. Jetzt kommt noch ein originelles Argument hinzu: Sie beeinträchtige die Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Außenpolitik.

Auf den ersten Blick scheint dies durchaus plausibel. Nach unserer Verfassung ist ausschließlich der Bund zuständig für die internationalen Beziehungen. Er allein finanziert Verteidigung, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Und gerade die Bundeswehr ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Allerdings hat der Sinkflug des Wehretats schon vor dem Inkrafttreten der Schuldenbremse 2011 begonnen, und die Schubumkehr in der letzten Wahlperiode war trotzdem möglich. Ähnliches gilt für die Entwicklungshilfe Die Zielgröße von 0,7 Prozent des BIP wurde 2020 erstmalig erreicht.

Staatseinnahmen bestehen vor allem aus Steuern, nicht aus Krediten

Es zeichnet sich jedoch ab, dass nach der Zeitenwende dauerhaft Mehrausgaben für die internationalen Verpflichtungen Deutschlands unabweislich sind. Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht dafür Ausgaben von drei Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Dennoch greift der Vorschlag, auf die Schuldenbremse zu verzichten, zu kurz. Zudem bedenkt er nicht die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen.

Angesichts unabweisbarer Anforderungen an den Staat im Äußeren wie im Inneren – etwa bei Bildung, Infrastruktur, sozialer Sicherung und Klimaschutz – steigt der Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand in Deutschland weiter an. Dies ist unbestreitbar. Allein über die Kürzung und Umschichtung von bestehenden Ausgaben wird das nicht gehen. Das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte. Also geht es darum, die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Die bestehen im wesentlichen aus Steuern und nachrangig aus Krediten. Wer nur die Abschaffung der Schuldenbremse in den Blick nimmt, blendet die zentrale Herausforderung für die öffentlichen Finanzen aus: die Sicherung und Erhöhung der Steuereinnahmen.

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Dazu müssen wir erstens bestehendes Steuerrecht konsequent anwenden. Der Kampf gegen Steuerbetrug hat eine beträchtliche internationale Dimension, wie die „Panama Leaks“ und andere Enthüllungen belegen. Die Allianz für Demokratie, die US-Präsident Biden ins Leben gerufen hat, muss ein Bündnis für internationale Steuergerechtigkeit werden. Gerade Demokratien sind existenziell auf die Finanzierung durch Steuern angewiesen. Der Kanzler kann eben nicht wie Herr Putin einfach mal ein paar Oligarchen enteignen.

Zweitens müssen hohe Einkommen und Privatvermögen mehr zum Gemeinwohl beitragen. Das heißt, sie müssen stärker besteuert werden. Die Herausforderungen der Zeitenwende gehen nämlich weit über die Außenpolitik hinaus. Es geht um die Resilienz unserer Gesellschaft und um unser Bestehen im Systemwettbewerb mit autoritären Staaten wie Russland und China. In den nächsten Jahren müssen wir beweisen, dass offene, demokratisch regierte und rechtstaatlich verwaltete Gesellschaften in der Lage sind, Wohlstand, Sicherheit und Nachhaltigkeit zu organisieren.

Das erfordert eine auch finanzielle Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen. Der Bund allein wird den Ausbau der Kinderbetreuung, die Digitalisierung und die Energiewende nicht stemmen. Selbst wenn er immer mehr der Finanzierung davon übernimmt, so bleibt es doch in der Umsetzung Aufgabe von Ländern und Kommunen. Und die Lösung kann nicht sein, auf allen Ebenen die Schleusentore für die Verschuldung zu öffnen.

Die Schuldenbremse war immer auch eine Steuersenkungsbremse

Unerwünschte Nebenwirkungen treten hinzu. Am wirkungsvollsten war die Schuldenbremse in den vergangenen zehn Jahren in ihrer Funktion als Steuersenkungsbremse. Abgesehen von verfassungsrechtlich gebotenen Anpassungen der Einkommensteuer gab es keine Steuersenkungen auf breiter Front. Selbst wenn im Bundestag wie unter Schwarz-Gelb eine Mehrheit dafür besteht, können sich die Bundesländer jedweder Couleur in ihrer großen Mehrheit die dadurch hervorgerufenen Einnahmeausfälle nicht leisten. Diese wenig beachtete Seite der Schuldenbremse ist elementar für die Handlungsfähigkeit des Staates.

Eine Aufhebung würde unweigerlich dazu führen, dass das Spiel der Steuersenkungen wieder eröffnet würde. Zwar wird als Nachfolgeregelung zur Schuldenbremse eine Begrenzung der Kreditaufnahme auf investive Ausgaben diskutiert. Aber es würden gleichzeitig doch zusätzliche Spielräume im Haushalt für Steuersenkungen geschaffen. Übrigens gab es genau so eine Vorschrift vor der Schuldenbremse – mit dem bekannten Ergebnis: hohe Verschuldung, immer weniger Investitionen und ein großer Appetit auf Steuersenkungen, die die finanzielle Basis der öffentlichen Hand weiter erodieren ließen.

Die Schuldengrenzen der Länder dagegen sind zu streng

Die Struktur der Schuldenbremse trägt dem Rechnung – und verringert gleichzeitig das Risiko überschießender Staatsausgaben. Diese politische Balance der Schuldenbremse, die ihre Einführung überhaupt erst mehrheitsfähig gemacht hat, sollten wir nicht leichtfertig in Frage stellen. Das sollte uns nicht daran hindern, die Schuldenbremse dort zu korrigieren, wo sie Schwächen hat. Dies gilt zum Beispiel für die Schuldengrenzen der Länder, die noch strenger sind als die des Bundes.

Gleichzeitig wurden ihnen keine zusätzlichen Steuererhebungsrechte (außer bei der Grunderwerbsteuer) gewährt, obwohl sie bei Kinderbetreuung, Bildung, Forschung und Infrastruktur zusammen mit den von ihnen finanzierten Kommunen zentrale Akteure sind. Gerade die Personalengpässe in Landes- und kommunalen Verwaltungen sind ein wichtiger Hemmschuh für gute Bildung und Kinderbetreuung und für die Beschleunigung der Energiewende, des Wohnungsbaus und des Ausbaus der Verkehrswege.

Die Möglichkeit von Eurobonds

Auch könnte Bund und Ländern mehr konjunkturell bedingte Verschuldung erlaubt werden. Schließlich braucht es die Flexibilisierung der Schuldenregeln des Stabilitätspaktes und die Möglichkeit von Eurobonds, um den Zusammenhalt und das Wachstum in Euro-Raum zu stärken.

Doch die Schuldenbremse komplett abzuschaffen wäre ein Fehler. Ihr Hauptproblem ist nicht, dass sie Staatsverschuldung einhegt. Es ist vielmehr politischer Natur: Wenn die Kreditaufnahme erschwert ist, muss die Basis für Steuereinnahmen verbreitert werden. Die Flucht in die Verschuldung ist eine Scheinlösung, mit der die dauerhaft notwendigen Mehrausgaben zur Bewältigung der Zeitenwende nicht gestemmt werden können.

Übrigens: Steuergesetze benötigen eine einfache Mehrheit, Verfassungsänderungen wie etwa zur Aufhebung der Schuldenbremse eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Konzentrieren wir uns also auf den realistischeren Weg hin zur nachhaltigen Finanzierung der Zeitenwende.

Nils Schmid

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