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Die SPD ist in einer Zwangslage und sollte nicht um sich schlagen. Manuela Schwesig muss sich wegen Nord Stream 2 verantworten.

© Jens Büttner/dpa

Die Russlandpolitik der SPD: Lieber aufarbeiten als Kritik kontern

Der Schlagabtausch zwischen dem Ex-SPD-Vorsitzenden Gabriel und dem ukrainischen Botschafter ist kontraproduktiv. Die Partei sollte innehalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Als gäbe es nicht schon genug Aufregung, die um schwere Waffen für die Ukraine, Kampfpanzer, Schützenpanzer, Kampfjets, Artillerie. Der Entscheidungskampf gegen Aggressor Russland naht, und wie wird am besten geholfen? Das sind die aktuellen Fragen ganz praktischer Art, deren Antworten über Wohl und Wehe dieses Staates in allergrößter Not mit entscheiden. Fragen, die vordringlich sind.

Nicht vordringlich hingegen ist das Theater um den Ukraine-Besuch des Bundespräsidenten, der bekanntermaßen nicht stattgefunden hat. Dass der frühere SPD-Vorsitzende, Vizekanzler, Außen- und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sich derart scharf gegen Andrij Melnyk äußert, den Botschafter, der zur Zeit keiner sein will, ihm Bösartigkeit gegen Frank-Walter Steinmeier vorwirft – was hilft’s?

Für die Zukunft nichts. Für den Moment: Gabriel zieht sich logischerweise den Vorwurf zu, mit Steinmeier sich selbst zu verteidigen. Und richtig, Gabriel war als Wirtschaftsminister entschieden für die Gaspipeline Nord Stream 2.

Die SPD in der Zwangslage

Jede öffentliche harsche Reaktion aus den Reihen der Sozialdemokratie lenkt den Blick zurück auf sie. Und zeigt, in welche Nöten sie geraten ist. Dass Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, eine SPD-Hoffnungsträgerin, wegen ihrer russlandfreundlichen Politik mit einem Untersuchungsausschuss zu rechnen hat, macht die Zwangslage zusätzlich deutlich.

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Zumal es im vorliegenden Fall ja nicht um die Ästhetik des Auftritts von Melnyk geht. Das Ganze ist größer. Darum lautet der Begriff dafür: nicht vorsorglich beleidigt sein und nachträglich besser wissen. Es ist schon ein Wunder, dass aus dem Ausland noch nichts zu hören war, nach dem Motto: Die Ukrainer zu belehren, wie sie sich jetzt zu verhalten haben, das kann auch nur den Deutschen einfallen. Oder den deutschen Sozialdemokraten.

Der Kurs gegenüber Russland erscheint doch nun wirklich in der Rückschau äußerst unglücklich. Dafür müssten sich die Verantwortlichen – die Staatsspitzen und darunter eben die über Jahrzehnte mitregierenden Sozialdemokraten – harsche Kritik einfach mal gefallen lassen. Sie hinnehmen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Der übrigens, um das nicht zu verschweigen, schon länger eine andere Russlandpolitik wollte; deshalb hatten er und Andrea Nahles als SPD-Chefin ja Heiko Maas mit genau diesem Auftrag zum Außenminister gemacht. Dass Maas sich parteipolitisch ungeschickt anstellen würde – immerhin geht es um die SPD in der Tradition Willy Brandts – konnte damals keiner wissen.

Moralweltmeister, Formalweltmeister: besser nicht. Als wollten die Sozialdemokraten unbedingt recht behalten. Aber doch nicht beim größten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Stattdessen: aushalten, innehalten und den eigenen Anteil am Weltgeschehen weiter aufarbeiten. Am besten an diesem Mittwoch schon, beim Gespräch der SPD-Parteispitze mit Melnyk. Da könnte ordentlich zur Sache geredet werden. Wer nicht sonst noch alles für Nord Stream 2 eingetreten ist …

Warum wohl hält sich Angela Merkel so zurück, die christdemokratische Langzeitkanzlerin, die in der Russlandpolitik führend dabei war? Einmal, weil sie es aushält, nichts zu sagen. Damit bleibt an ihr bisher auch weniger als an anderen hängen. Aber außerdem, weil abzuwehren in diesem Fall nur retro ist und nichts hilft. Wichtiger ist die Frage, wie solche Fehler in Zukunft vermieden werden. Dafür wird Aufarbeitung vordringlich, und die könnte aufregend werden.

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