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Proteste bei der Veranstaltung mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in Freiberg.

© Eckardt Mildner

Die rechtsextremen „Freien Sachsen“: Wie eine Kleinstpartei den Wahlkampf aufmischen will

Unter dem Deckmantel der Corona-Proteste agitieren in Sachsen Rechte. Sie nehmen CDU-Ministerpräsident Kretschmer ins Visier. Und die SPD fühlt sich bedroht.

Sie gelten als „Kleinstpartei“, sind offiziell noch nicht sehr lange aktiv, werden aber bereits vom Verfassungsschutz beobachtet. Nun versuchen die „Freien Sachsen“ den Bundestags-Wahlkampf aufzumischen – und sind zum Teil damit tatsächlich erfolgreich. Gleichzeitig machen sie Stimmung gegen den sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), gegen den sie nun sogar Klage einreichen wollen.

Die sächsische SPD hatte einen für Mittwoch in Limbach-Oberfrohna geplanten Auftritt von Sozialministerin Petra Köpping und dem Wahlkreiskandidaten Carlos Kasper kurzfristig abgesagt. Es gebe Aufrufe der „Freien Sachsen“, die Veranstaltung zu besuchen und zu stören, begründete der Generalsekretär der sächsischen SPD, Henning Homann, die Entscheidung.

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Hintergrund ist, dass bereits am 17. August Anhänger der Gruppe einen Auftritt von Kretschmer in Freiberg massiv gestört und sogar versucht hatten, die Abfahrt der Dienstwagen des Politikers zu verhindern. Dabei war eine Polizistin verletzt worden.

Den Auftritt von Sozialministerin Petra Köpping sagte die SPD ab.
Den Auftritt von Sozialministerin Petra Köpping sagte die SPD ab.

© Robert Michael/dpa

Es sei wichtig und richtig, ehrenamtliche Helfer vor Ort zu schützen, sagte SPD-Generalsekretär Homann zur Absage des Wahlkampftermins. „Da die Gefahrenlage nach den Vorkommnissen in Freiberg neu zu bewerten ist, müssen wir jetzt reagieren und leider kurzfristig absagen“, teilte Homann mit. „Das wird in dieser Form ein einmaliger Vorgang bleiben.“ Homann weiter: „Wir lassen uns von Rechtsextremen nicht einschüchtern. Wir werden unseren Wahlkampf selbstverständlich unvermindert fortsetzen.“

Für die SPD ist Sachsen kein gutes Pflaster, daran dürfte sich auch bei der Bundestagswahl wenig ändern. Bei der sächsischen Landtagswahl im September 2019 wurde die Partei mit 7,7 Prozent hinter CDU (32,1), AfD (27,5), Linken (10,4) und Grünen (8,6) nur fünfstärkste Kraft.

Am Mittwochnachmittag reagierte die zuständige Polizeidirektion Zwickau auf die Absage in Limbach-Oberfrohna. Wie MDR aktuell auf Twitter schrieb, habe die Polizei keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdung durch Rechtsextreme. Die Polizei könne die Sicherheit solcher Veranstaltungen „selbstverständlich garantieren“, zitierte der Sender die Behörde.

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Die Rechtsextremen feiern dies auf ihrer Facebook-Seite. „Offenbar war die angebliche Bedrohungslage (die nie existierte) ein Vorwand, um das Gespräch mit kritischen Bürgern zu vermeiden und sich aus dem Staub zu machen. Beschämend! Das zeigt aber: Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, wo die Politiker der Coronaparteien anzutreffen sind und sie im Gespräch zu stellen. Wir wollen eine Übersicht über alle Termine bis zum Wahltag erstellen.“ Im Anschluss rufen die „Freien Sachsen“ dazu auf, ihnen dafür die Termine für geplante Auftritte zukommen zu lassen.

Auf die Anfrage des Tagespiegel, wie es zu der Absage der Veranstaltung gekommen sei, teilte Generalsekretär Homann mit, am Tag der geplanten Veranstaltung seien im Internet und bei Messengern Aufrufe der „Freien Sachsen“ aufgetaucht, diese Veranstaltung zu besuchen. „Die Formulierungen waren in einem in der rechten Szene gern verwendeten höhnischen Jargon verfasst. Aufgrund der Kürze der Zeit war für uns nicht zu klären, wie groß die Gefahr ist, die von diesen Aufrufen ausgeht und ob die Polizei die Veranstaltung in ausreichendem Maß schützen kann.“

Der Generalsekretär der SPD in Sachsen: Henning Homann.
Der Generalsekretär der SPD in Sachsen: Henning Homann.

© Sebastian Kahnert

Man sei der Polizei dankbar, dass sie grundsätzlich in der Lage sei, den Bürgerinnen und Bürgern bei solchen Veranstaltung Sicherheit zu gewährleisten. „In diesem Fall aber war, das sage ich noch einmal, aufgrund der Kürze der Vorlaufzeit von wenigen Stunden nicht klar, an welchem Punkt aus der abstrakten Bedrohung eine konkrete Gefahr für unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und für unsere Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung wird“, so Homann. Die Veranstaltung werde nachgeholt. „Wir sind dazu in der Terminfindung und arbeiten dafür in Absprache mit den Sicherheitsbehörden ein entsprechendes Konzept aus.“

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Die „Freien Sachsen“, am 26. Februar 2021 in Schwarzenberg im Erzgebirge gegründet, wird seit Mitte Juni vom sächsischen Landesverfassungsschutz (LfV) als rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Bestrebung eingestuft. Die „Freien Sachsen“ seinen inzwischen ein fester Bestandteil der rechtsextremistischen Szene im Freistaat, sagte Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian am 17. Juni zur Begründung.

„Sie fallen öffentlich insbesondere dadurch auf, dass sie überregional für die Teilnahme an den Corona-Protesten im Freistaat Sachsen mobilisieren“, erklärte Christian. Sie bedienten sich regionaler Social-Media-Kanäle, über die sie zur Teilnahme an entsprechenden Kundgebungen aufrufen. Dabei würden sie teilweise von Rechtsextremisten außerhalb Sachsens unterstützt. Die „Freien Sachsen“ böten insoweit „eine überregionale Vernetzungsplattform für Rechtsextremisten aus der gesamten Bundesrepublik“.

Die Gruppierung werde auch weiterhin versuchen, die Anti-Corona-Proteste thematisch zu besetzen und den gesellschaftlichen Diskurs mitzubestimmen, so die Verfassungsschützer. „Dabei geht es ihnen nicht um sachliche Kritik am Staat, sondern um dessen Verächtlichmachung und Delegitimierung“, erklärte Christian.

Martin Kohlmann spricht Mitte November 2018 bei einer Demo in Chemnitz.
Martin Kohlmann spricht Mitte November 2018 bei einer Demo in Chemnitz.

© dpa

Der Vorstand der Partei setze sich ganz überwiegend aus namhaften sächsischen Rechtsextremisten aus dem Raum Chemnitz und dem Erzgebirgskreis zusammen. „So gehören Martin Kohlmann und Robert Andres der rechtsextremistischen Bürgerbewegung ,Pro Chemnitz‘ an. Stefan Hartung wiederum ist ein langjähriges und politisch engagiertes NPD-Mitglied“, sagte Christian.

Zum Vorstand gehört auch Thomas Kaden aus Plauen. Der Busunternehmer fuhr sogenannte Querdenker bundesweit zu Demonstrationen. Bei der Oberbürgermeisterwahl in der Stadt schickten die „Freien Sachsen“ Kaden in Rennen. Dort holte er im Juni 7,5 Prozent der Stimmen. Damit kam er unter sieben Bewerbern auf Rang fünf.

Wie LfV-Präsident Christian weiter sagte, sei seiner Behörde bekannt, dass an der Gründungsveranstaltung der Partei weitere, nicht nur aus Sachsen stammende, bekannte Rechtsextremisten teilnahmen. Damit sei klar, welche Gesinnung die „Freien Sachsen“ in Wahrheit verfolgten. „Auch wenn sie in der Öffentlichkeit vordergründig den Corona-Protest thematisieren und sich in diesem Zusammenhang als ‚Kämpfer für die Freiheitsrechte‘ darstellen, handelt es sich bei ihnen um eine rechtsextremistische Organisation“, betonte der LfV-Präsident.

Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian warnt vor den „Freien Sachsen“.
Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian warnt vor den „Freien Sachsen“.

© Sebastian Kahnert /dpa

Und die Rechtsextremen scheuen die offene Konfrontation nicht, drohen dem sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer mit einem juristischen Nachspiel wegen seiner Reaktion auf die Proteste bei der Veranstaltung in Freiberg, zu den die „Freien Sachsen“ aufgerufen hatten. Dort hatte Mitte August im Konzert- und Ballhaus Tivoli ein Bürgerforum zu den Corona-Regeln stattgefunden.

Wie der MDR berichtete, hatten sich bereits beim Eintreffen des Ministerpräsidenten dutzende Bürger versammelt und lautstark ihren Unmut über die Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung kundgetan. Im weiteren Verlauf wollten demnach etwa 60 Personen in das Kulturhaus, was ihnen vom Veranstalter verwehrt wurde, weil die maximal mögliche Teilnehmerzahl erreicht gewesen sei.

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In der Folge sei die Zahl aufgebrachter Bürger auf etwa 150 Personen angewachsen. Diese hätten die Ein- und Ausfahrten am Veranstaltungsort versperrt. Bei der Abfahrt des Ministerpräsidenten-Konvois wurde eine Polizistin durch ein Fahrzeug an der Ferse verletzt – schuld daran waren offenbar Demonstranten, die durch die Beamten, die deutlich in der Unterzahl waren, zurückgedrängt werden mussten. Die Beamtin musste zwar nicht stationär behandelt werden, ist aber nach Angaben der Polizei derzeit dienstunfähig.

Wie die Polizei dem Sender mitteilte, seien von fünf Personen, die an der Auseinandersetzung beteiligt waren, die Identität festgestellt worden. Gegen sie wird nun wegen des Verdachtes des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung ermittelt.

Der sächsische Ministerpräsident: Michael Kretschmer (CDU).
Der sächsische Ministerpräsident: Michael Kretschmer (CDU).

© Sebastian Kahnert /dpa

Am Tag nach dem Unfall reagierte Sachsens Regierungschef scharf auf die Vorfälle. Er verurteilte die Aggressivität einiger Demonstranten am Rande des Bürgerforums, machte Rechtsextremisten für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich. Freiberg sei eine liebenswerte Stadt mit einer engagierten Bürgerschaft: „Wir lassen nicht zu, dass Extremisten der Stadt und den Einwohnern schaden“, sagte Kretschmer. Er sei in Gedanken bei der verletzten Polizistin.

„Die Beamten mussten sich einer Gruppe aggressiver Menschen entgegenstellen. Im Internet sind der Hass und die Niedertracht, aber auch die Hintermänner, sehr gut dokumentiert.“ Unter dem Namen „Freie Sachsen“, so Kretschmer, würden sich gewaltbereite Reichsbürger und Rechtsextreme sammeln. „Wir müssen uns diesen Leuten entgegenstellen und ihnen keinen Raum geben, denn sie wollen unsere friedliche Art des Zusammenlebens zerstören“, sagte der Ministerpräsident und forderte: „Keine Stimme für Parteien, die spalten und Hass sähen!“

Am Mittwoch reagierten die „Freien Sachsen“. Auf ihrer Facebook-Seite schrieben sie: Nach seiner Hetze gegen die Protestierenden in Freiberg, insbesondere auch gegen die „Freien Sachsen“ habe man dem Ministerpräsidenten bis Dienstag die Möglichkeit zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung gegeben. „Dieses Ultimatum ließ Kretschmer verstreichen. Das heißt: Wir werden Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben! Als Ministerpräsident steht es Kretschmer nicht zu, Bürger zu diffamieren, er unterliegt dem Neutralitätsgebot und das werden wir gerichtlich feststellen lassen.“

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