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Selbsthelfer, selbstständig. Wolfgang Heckl entdeckt im Dinge-Reparieren „eine Schule des Lebens“.

© Deutsches Museum

Die Neue Lust am Reparieren: Selber machen - Handwerk auf goldenem Boden

Viele sind mittlerweile mit Handwerkszeug eingedeckt. Und sie haben Zeit, Dinge daheim zu reparieren. Sie werden dabei viel über sich selbst lernen.

Der Sound von Berlin hat sich verändert. Kein Gehupe, kein Gegröle, keine laute Musik. Höchstens mal ein zaghaftes „Freude schöner Götterfunken“ vom Balkon. Und in die Stille hinein bricht das Hämmern aus dem ersten Stock, das Drillen des Bohrers aus dem Hinterhaus, das Klappern, mit dem die Schraubenzieher auf den Boden im Hof fallen, wo der Nachbar versucht, sein Fahrrad wieder in Gang zu kriegen.

Fast nonstop daheim, merken Menschen plötzlich, was alles kaputt ist, was einen in der eigenen Wohnung stört.

Als die Coronanachrichten von Tag zu Tag schrecklicher klangen, wurden auch die Baumärkte gestürmt. Da wussten die Berliner noch nicht, dass der Senat diese, wie Fahrradwerkstätten, für genauso grundversorgungsrelevant halten sollte wie Lebensmittelläden und Apotheken.

Eimerweise schleppten Leute Farbe ab, Werkzeugkisten, Schrauben, Holz, Blumenerde sowieso. Jetzt sind viele eingedeckt, die Baumärkte fast menschenleer. Wer nicht muss, geht kaum noch einkaufen.

Ihm geht es um die Zukunft des Planeten

Mit der gehamsterten Beute wird die Freizeit dazu genutzt, Dinge zu reparieren. „Zu heilen“, nennt Wolfgang Heckl das. Der Wissenschaftler meint damit mehr als die verkalkte Kaffeemaschine. Ihm geht es um die Zukunft des Planeten.

Der 61-jährige ist Physiker – Schwerpunkt Nanotechnologie – und Generaldirektor des Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik, das Stammhaus ist in München. Wenn nicht gerade Versammlungsverbot herrscht, spielt Heckl in einer Band mit Münchens Oberbürgermeister, am Wochenende zieht er über Flohmärkte, malen tut er auch. „Molekülismus“ hieß seine letzte große Ausstellung.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]

Er hat es mit „dem kleinsten Loch der Welt“ ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, und schreiben kann der Professor für Wissenschaftskommunikation so gut wie reden. Am liebsten über sein „Herzensthema“: „Die Kultur des Reparierens“. Das gleichnamige Buch, vor fünf Jahren erschienen, wurde zum Bestseller.

Eine Toilettenspülung ist „ein Wunderwerk“

Mit dem Reparieren hat der Bayer, für den eine Toilettenspülung „ein Wunderwerk“ ist, als Fünfjähriger begonnen, wie er am Telefon erzählt. Damals legte er ein Radio so gründlich auseinander, dass es nicht mehr zusammenzufügen war. Seine Eltern hätten sich gefreut: dass der Junge Neugier zeigte, wissen wollte, wie die Welt funktioniert. Es war seine erste Lektion auf dem Gebiet des Reparierens – „Selbst wenn etwas schief geht, hab’ ich was gelernt.“

[Das Coronavirus in Deutschland: Alle Zahlen finden Sie hier im Überblick.]

10000 Dinge soll der Durchschnittsdeutsche besitzen. Die Zahl kursiert in Zeitungsartikeln wie im Internet, ohne Quellenangabe, doch wer einmal anfängt zu zählen, kommt zu der Erkenntnis: gar nicht unrealistisch. Jetzt, wo die Ordnungswut das Land packt, ist die Versuchung groß, so viel wie möglich rauszuschmeißen, Ballast abzuwerfen.

Was lässt sich retten? Was umfunktionieren?

Wolfgang Heckl rät zum Innehalten. Was lässt sich noch retten? Was umfunktionieren? Was ausschlachten? So macht er es selber mit den Dingen, die er nicht mehr fixen kann, um sein Ersatzteillager aufzustocken.

Die Gelegenheit ist günstig. Wer repariert, geht einer sinnvollen Tätigkeit mit Erkenntnisgewinn nach, lernt schnell Geduld und Gelassenheit – Tugenden, die man in diesen Tagen gut gebrauchen kann. Es lassen sich neue Fähigkeiten einüben, die man bald noch besser gebrauchen kann. Vor zwei Wochen hat die EU einen Klimaschutz-Aktionsplan vorgelegt, mit dem Müll vermieden und Ressourcen gespart werden sollen.

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EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius will Gesetzesvorlagen einbringen, die dem Verbraucher unter anderem ein „Recht auf Reparatur“ zubilligen. Bis die Gesetze in den Mitgliedsstaaten alle formuliert und in die Praxis umgesetzt werden, mag es noch eine Weile dauern. Doch Unternehmen müssen sich schon jetzt darauf einstellen, selbst Geräte wie Handys und Laptops so zu produzieren, dass sie sich reparieren lassen. Was damit anfängt, dass man sie überhaupt öffnen kann, dass es Ersatzteile zu kaufen gibt, Schaltpläne als Handlungsanweisungen beiliegen.

3-D-Drucker machen es jetzt einfacher

Das ist etwas, was Heckl immer wieder ärgert: dass es leichter ist an einen solchen Plan für den 50 Jahre alten Bakelit-Fön zu kommen, den er auf dem Flohmarkt gefunden hat, als für die zwei Jahre alte elektrische Zahnbürste. Bei Mediamarkt und Saturn überlegen sie, ihre Verkaufsflächen zu reduzieren, gleichzeitig aber kleine Werkstätten einzurichten, in denen Kunden sich etwas reparieren lassen können. 3-D-Drucker machen es jetzt einfacher, Ersatzteile nachzuproduzieren.

Wer selber repariert tut Sinnvolles, und dazu kommt der Erkenntnisgewinn.
Wer selber repariert tut Sinnvolles, und dazu kommt der Erkenntnisgewinn.

© Mauritius Images/Jochen Tack

Am vergangenen Wochenende hat Wolfgang Heckl eine Lampe aus der Nachkriegszeit wieder zum Leuchten gebracht. Zwei Stunden hat ihn das gekostet. Ob sich das lohnt? Heckl berechnet nicht den monetären, sondern den emotionalen Stundenlohn. Die ganze Familie freut sich, dass die Lampe wieder brennt. Mal abgesehen von der persönlichen Befriedung, die ihm die gelungene Reparatur verschafft.

Wollt ihr wirklich PVC?

Und ganz abgesehen davon, was es für Umwelt und Klima bedeutet, wenn eigentlich funktionstüchtige Objekte, die ein Wehwehchen haben, weiter genutzt werden können statt etwas Neues zu kaufen, das in ein paar Jahren irreparabel kaputtgeht. Da macht Heckl auch eine klare Ansage: Billige Produkte haben ein kurzes Leben. Zeitgenössische Dinge, die stabiler konstruiert sind und sich flicken lassen, kosten mehr.

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Das ist auch etwas, was der Berliner Handwerksunternehmer Helmut P. seinen Kunden ans Herz legt: Wollt ihr wirklich PVC, nicht lieber Parkett oder Kork? Oder Rigips, das ist billig, lässt sich schnell verarbeiten, ist aber, so P., „totes Material“. Holz ist stabiler, da lässt sich gut was reinschrauben. Seine Mitarbeiter hält er an, über Materialien aufzuklären, Alternativen anzubieten. Und wenn ein Wasserhahn seinen Geist aufgibt, versucht er das Oberteil auszutauschen, den Rest der Armatur zu lassen.

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Nicht alle werden gerade aus reiner Lust oder Langeweile zum Basteln getrieben. Die schiere Ausweglosigkeit bringt sie dazu. Handwerker zu bekommen ist noch schwieriger als vor Corona schon. Helmut P., dessen Betrieb alle Gewerke abdeckt, erzählt am Telefon von den Einschränkungen. Mit dem Handy am Ohr läuft er durch die Kellergänge eines Charlottenburger Altbaus, in dem der Strom ausgefallen ist. Solche Notfälle, wie Rohrbrüche oder Heizungsdefekte, werden vom Profi versorgt. Alles, was nicht dringend ist, muss warten.

Warten vor dem Baumarkt

Um seine Mitarbeiter zu schützen und dennoch den Betrieb aufrechtzuerhalten, hat der 63-Jährige die meisten von ihnen auf leere Wohnungen verteilt, die renoviert werden müssen, hat sie zu Arbeiten auf Dächern, in Außenanlagen, losgeschickt, Sie arbeiten in Zweierteams, damit, falls sich einer ansteckt, nicht gleich der ganze Betrieb zum Stillstand kommt. Wer ein Auto hat, holt den anderen ab und bringt ihn nach Haus. Damit dennoch alle pünktlich zu Hause sind, hören sie früher auf zu arbeiten.

P. selbst kümmert sich um Kunden und Logistik. Die, wie in allen Berufen im Moment, erheblich mehr Zeit kostet. Sicherheitsfragen beachten, Warten vor dem Baumarkt, beim Holzlieferanten, in der Telefonschleife – um dann womöglich gesagt zu bekommen, dass die Lieferzeit für die Rohre zwei Monate beträgt. Wenn sie überhaupt kommen.

Nicht alle werden aus reiner Lust oder Langeweile zum Handwerken getrieben.
Nicht alle werden aus reiner Lust oder Langeweile zum Handwerken getrieben.

© Mauritius Images/Micheko Productions

Für Museumschef Heckl ist das Reparieren „eine Schule des Lebens“, bei der man zum Beispiel Ursache und Wirkung zu unterscheiden lerne. Und das gemeinsame Werkeln, hat er in der eigenen Familie erlebt, „stärkt den Zusammenhalt“. Vor ein paar Tagen habe er einem Nachbarsjungen geholfen, die kaputte Schaltung an dessen Fahrrad zu richten. Heckl war erstaunt, dass der nicht mal wusste, dass er das Rad dafür erst mal auf den Kopf stellen sollte. Gesagt hat er es nicht. Er stellt lieber Fragen.

„60 plus kann das noch“

Was denkst du wie …? Das ist für ihn das Gute am Reparieren: die Möglichkeit, Neugier zu wecken, die Lust des Entdeckens. Etwas zu begreifen, die Verbindung zwischen Kopf und Hand. Der Bastler muss tüfteln, braucht Fantasie, Flexibilität, Kreativität – alles Fähigkeiten, die in Coronazeiten besonders gefragt sind. Und die viele Menschen gerade auf den unterschiedlichsten Gebieten in sich entdecken.

Die besten Lehrer dafür wären wahrscheinlich die Großeltern. Vor ein paar Wochen wurde eine deutsch-britische Studie vorgestellt, wonach ältere Menschen sich, wenn etwas nicht funktioniert, seltener bei den Herstellern beschweren als Junge, dafür mehr selbst reparieren. „60 plus kann das noch“, hat der Projektleiter erklärt.

Der Körper ist eine Werkstatt

Nur sollen die Großeltern ja gerade zu Hause bleiben, nicht mal Besuch empfangen. Doch wenn sie den Enkeln schon über Facetime Bücher vorlesen – warum sollen sie ihnen da nicht auf diesem Wege auch das Sockenstopfen beibringen?

Für Wolfgang Heckl ist das Reparieren auch ein Stück Natur. Der Mensch, empfiehlt der Naturwissenschaftler, sollte sich an sich selbst ein Beispiel nehmen: Der Körper ist quasi eine einzige Werkstatt, repariert sich ständig selbst – in ernsten Fällen mit Hilfe der Mediziner, diesen Handwerkern des Körpers. Jede Wunde, die heilt, ist ein Beispiel dafür. Das geht nicht immer makellos vonstatten, Flecken und Narben bleiben zurück. Auch das gehört zum Lernprozess beim Reparieren: der Abschied vom Perfektionismus.

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Der Soziologe Richard Sennett, der ein Buch mit dem Titel „Handwerk“ geschrieben hat, das ein Lob desselben ist, behauptet, dass das Talent eines Menschen dabei weniger wichtig ist als die Motivation. Wer motiviert und hartnäckig sei, kann aus Fehlern lernen. Perfektionismus wäre dabei seiner Meinung nach eher hinderlich.

Heckl ist ein Advokat der Repair Cafés, in die Menschen – unter normalen Umständen – mit ihren Lieblingsstücken kommen und mit anderen zusammenflicken. Do it together statt do it yourself. Er mache gern den „Grußkasperl“, wie er es nennt, wenn wieder ein neues Repair Café eröffnet wird.

Ein gebrochener Brillenbügel findet sich überall

Bei Erscheinen seines Buches gab es 100 davon in Deutschland, heute sind es nach seinen Angaben 1000. Und die Bewegung, gegründet von einer Frau, der niederländischen Umweltjournalistin Martine Postma, die heute als Direktorin der Stiftung Repair Cafés international Initiativen berät, hat politisch einiges ins Rollen gebracht. Sie gehörten zu den ersten, die das Recht auf Reparatur forderten und dafür noch ausgelacht wurden.

Anfängern empfiehlt Wolfgang Heckl als erstes Allround-Handwerkszeug und als Zaubermittel einen Zweikomponentenkleber. Eine Tasse mit abgebrochenem Henkel findet vermutlich jeder unter seinen 10 000 Dingen. Oder einen abgebrochenen Brillenbügel. Durchs Telefon hindurch kann man die Freude hören, mit der Heckl sich das Erfolgserlebnis des Reparier-Newcomers vorstellt.

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