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Im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts wird die Rückholaktion deutscher Staatsbürger aus dem Ausland organisiert.

© Thomas Köhler/dpa

Die Nervenstarken in der Corona-Krise: Das sind die Krisenmanager der Regierung

Hilfspakete und Gesetze im Eiltempo: Damit das funktioniert, braucht es Strippenzieher im Hintergrund. Sechs Porträts.

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Wenn die Regierung in diesen Tagen wegen der Corona-Krise Hilfspakete schnürt und Gesetze im Eilverfahren vorbereitet, stehen die Kanzlerin und ihre Ministerinnen und Minister im Zentrum. Doch damit das alles gelingen kann, braucht es Krisenmanager im Hintergrund, bei denen sämtliche Fäden zusammenlaufen. Einige von ihnen stellen wir vor.

Gesundheit

Der Krisenmodus ist für Thomas Steffen nichts Neues. Während der Griechenland-Krise war er Staatssekretär im Finanzministerium, in langen Nachtrunden in Brüssel und Berlin verhandelte der Jurist damals über die Rettung des Euro. „Er ist nicht mit Gold aufzuwiegen“, sagte sein damaliger Chef Wolfgang Schäuble über ihn.

Seit knapp einem Jahr ist Steffen beamteter Staatssekretär im Gesundheitsressort – und damit nun Jens Spahns wichtigster Helfer in der Corona-Krise. Die beiden kennen sich gut aus gemeinsamen Zeiten im Finanzministerium, , in dem Spahn früher als parlamentarischer Staatssekretär arbeitete.

Steffen sei jemand, der sich sehr genau auf der europäischen Ebene auskenne, heißt es über ihn. Auch wegen seines internationalen Netzwerks holte Spahn den Juristen vor einem Jahr in sein Ministerium. Eine ausgeprägte europäische Ader hatte Steffen schon während des Jura-Studiums, das er in Main, Dijon und London absolvierte.

Seine berufliche Karriere begann Steffen in der industriepolitischen Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. Es folgten Stationen unter anderem bei der Treuhand, bevor er ins Finanzministerium wechselte. Als Spahn ihn vor einem Jahr anheuerte, war das zunächst eine Überraschung, mit Gesundheitspolitik hatte der 59-Jährige bis dahin nichts zu tun. Doch Spahn war es offenbar wichtiger, einen Manger mit guten Nerven an seiner Seite zu haben, der weiß, wie man eine Behörde leitet.

Finanzen

Im Zentrum des Orkans herrscht bekanntlich Ruhe. Oder jedenfalls Windstille. Im Bundesfinanzministerium müsste das in diesen Tagen auch so sein. Das Ressort von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) ist in der Corona-Krise gefordert wie selten, vielleicht niemals zuvor. Nicht nur, was Deutschland betrifft – auch Europa und die Welt müssen der Minister und seine Spitzenbeamten im Auge behalten. Scholz dürfte doppelt froh sein, dass er Werner Gatzer nach der Koalitionsbildung 2018 zum Weitermachen als Haushaltsstaatsekretär überreden konnte. Der 61-Jährige ist der erfahrenste Mann in der gesamten Bundesregierung.

Werner Gatzer ist Staatssekretär im Finanzministerium
Werner Gatzer ist Staatssekretär im Finanzministerium

© picture alliance / Maurizio Gamb

Seit 2005 ist er für die Aufstellung der Etats verantwortlich, nur unterbrochen von einer zweimonatigen Tätigkeit für die Bahn. Und nun muss Gatzer parallel zwei Etats neu durchdenken. Vorige Woche präsentierte das Ministerium die Eckwerte für den Haushalt 2021, noch entstanden in den Anfängen der Krise, nun schon Makulatur. Aber er muss aufgestellt werden. Parallel dazu entstand in der vorigen Woche der Nachtragsetat für 2020, der Notfall-Haushalt mit einer Neuverschuldung in Höhe von bis zu 156 Milliarden Euro. Da konnte Gatzer seine Erfahrung mit der Finanzkrise nach 2008 einbringen – die Regierung plant nun mit einem Wirtschaftseinbruch in der damaligen Tragweite, also einem Minus von gut fünf Prozent beim Bruttoinlandsprodukt. Den Etat für 2021, der üblicherweise im Juni oder Juli vom Kabinett beschlossen wird, muss Gatzer nun umstricken.

Dass im kommenden Jahr schon wieder Normalität herrscht, ist nicht anzunehmen. Aber ein ähnliches Verfahren gab es auch 2018 schon, als wegen der langen Koalitionsbildung der Etat für das laufende Jahr und der für 2019 praktisch parallel aufzustellen waren. Die „schwarze Null“ ist vorerst nicht mehr zu halten, die nächsten Etats werden durch neue Kredite ausgeglichen werden müssen. Die Schuldenbremse ist „Gatzers Baby“, wie es auch im Ministerium gelegentlich heißt. Er ist ihr strikter Verfechter. Aber sie hat eine Notfallregelung, die nun wirkten kann. Dank der Schuldenbremse, da dürfte sich Gatzer trotz aller Kritik sehr sicher sein, ist der Schuldenspielraum nun bedeutend größer als in anderen Ländern.

Scholz‘ zweiter Krisenmanager heißt Jörg Kukies. Seine Berufung 2018 war umstritten, er kommt von Goldman Sachs. So aber kennt der 52-Jährige, wie Gatzer ein Sozialdemokrat, die Finanzindustrie von innen. Um Bankenrettung geht es vorerst allerdings nicht. Aber über Kukies laufen auch die Kontakte zu den Finanzvorständen größerer Unternehmen der Realwirtschaft – die Regierung ist ja bereit, sich bei Wackelkandidaten zu beteiligen. Er muss als zuständiger Staatssekretär auch den Blick auf Europa halten, eine neue Euro-Krise ist nicht auszuschließen, auch wenn das Vorgehen der Europäischen Zentralbank hier zunächst für Entlastung sorgt.

Arbeit und Soziales

Seit ein paar Tagen beschleicht Leonie Gebers immer öfter das Gefühl, in einem „Tunnel“ zu arbeiten. Die ersten Telefonate führt sie manchmal morgens um 6.30 Uhr, eine Videokonferenz reiht sich an die nächste. „Noch schlafe ich nicht im Büro“, sagt die 49-Jährige bei einem Telefonat. Aber zu Hause, bei ihrem Mann und den vier Kindern, ist sie im Moment auch nur noch selten.

Gebers ist beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und eine der engsten Vertrauten von Minister Hubertus Heil. Die Sozialdemokratin ist für Arbeitsmarktpolitik zuständig, also auch für das Kurzarbeitergeld, das wegen der Produktionsausfälle durch Corona ausgeweitet wurde.

Leonie Gebers ist Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Leonie Gebers ist Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales

© BMAS

Ihre Arbeitstage als Staatssekretärin waren auch schon vor der Corona-Krise lang, schließlich ist das Arbeitsministerium mit seinen 1200 Mitarbeitern eines der Häuser, das innerhalb der Bundesregierung die meisten Gesetzesvorhaben vorbereitet. Doch dass die Tage so wenig planbar sind, weil ständig neue Probleme auftauchen, hat Gebers in ihrer politischen Karriere noch nicht erlebt.

Arbeitsagenturen und Jobcenter schließen ihre Filialen für den Publikumsverkehr, um eine Ansteckung ihrer Mitarbeiter zu verhindern, damit Leistungen für Arbeitslose ausgezahlt werden können. Gleichzeitig benötigt die Bundesagentur für Arbeit personelle Unterstützung, weil eine steigende Zahl von Anträgen auf das Kurzarbeitergeld bearbeitet werden müssen. Als Kitas und Schulen schließen, kommt die Frage nach der Lohnfortzahlung für die betroffenen Eltern auf. In Zeiten der sozialen Distanzierung können auch Integrationskurse und berufsbezogene Sprachkurse nicht mehr stattfinden. „Es kommen jetzt akut sehr viele Themen auf einmal hoch, die bearbeitet werden müssen“, sagt Gebers: „Es ist eine sehr dynamische Entwicklung.“

Während im Ministerium viele Mitarbeiter schon aus dem Homeoffice arbeiten, ist sie selbst noch regelmäßig in ihrem Büro. Ihre sozialen Kontakte hat sie dort auf ihr enges Arbeitsumfeld reduziert. Die meisten Gespräche finden ohnehin nur noch per Telefonschalte oder Videokonferenz statt, sei es die morgendliche Steuerungsrunde mit den Abteilungsleitern des Hauses, die Besprechungen mit den Staatssekretären der anderen Ministerien oder der Austausch mit den Betriebsräten und Personalvorständen der Dax 30-Unternehmen. „In der aktuellen Situation ist sehr viel Abstimmungsbedarf in kürzester Zeit notwendig und manchmal kommt man kaum hinterher.“

Doch wie gut können Gesetze werden, die im Eiltempo verabschiedet werden? „Das ist schon fordernd“, sagt Gebers. Im Ministerium gebe es viele Kollegen, die Krisenerfahrung hätten, sei es im Umgang mit der Finanzmarktkrise 2008/2009 oder mit der Flüchtlingskrise 2015. „Damals wurden Gesetze sehr schnell gemacht“, sagt Gebers. „Aber jetzt müssen wir alle gemeinsam nochmal schneller arbeiten.“ Hinzu kommen heute Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit, etwa weil Mitarbeiter unter Quarantäne sind oder sich nebenbei um ihre Kinder kümmern müssen: „Das sind erschwerte Bedingungen“, sagt Gebers. Aber sie ist sich auch sicher: „Wir kriegen das hin.“

Auswärtiges Amt

Frank Hartmann hat schon viele Krisen gemanagt, nun muss er die größte Herausforderung seiner Laufbahn meistern. Als Chef des Krisenreaktionszentrums des Auswärtigen Amtes (AA) ist der 54-Jährige maßgeblich dafür verantwortlich, dass weit mehr als Zweihunderttausend in der Corona-Krise im Ausland gestrandete Deutsche in ihre Heimat zurückgeholt werden.

Noch nie in seiner Geschichte hat das AA zuvor jemals eine weltweite Reisewarnung erlassen, noch nie weltweit Deutsche in Datenbanken erfasst, um sie mit Charterflügen zurückzuholen. 50 Millionen Euro könnte die mehrere Wochen dauernde Aktion kosten. Auch mit den Ländern will das AA bei der Rückholung nun zusammenarbeiten: Freie Plätze in deutschen Charterfliegern sollen mithilfe einer EU-weiten Datenbank an andere Europäer vergeben werden.

Bevor er das Krisenreaktionszentrum im Keller des AA übernahm, war Hartmann Referatsleiter für Nah- und Mittelost, Afrika, Asien und Lateinamerika im Kanzleramt. Er verfügt über viel Erfahrung mit Krisenlagen und Auslandseinsätzen. Sein Arbeitsplatz hinter einer dicken Panzertür im AA-Keller – früher lagerte die Reichsbank hier Wertpapiere – dominiert nun eine digitale Weltkarte mit den aktuellen Zahlen der Corona-Infizierten.

Wann und wo auch immer Deutsche jenseits der Grenzen der Republik in Gefahr geraten könnten – Hartmann und sein Team versuchen auch in ruhigeren Zeiten, 24 Stunden am Tag den Überblick zu behalten und ihnen im Notfall zu helfen, sei es bei Katastrophen, Entführungen, Tropenstürmen oder Kriegen. Sie sind zuständig für Reisehinweise und -warnungen sowie für Lageberichte zu Krisen. Seit Wochen laufen auch die Telefon-Hotlines heiß, die das Krisenreaktionszentrum unterhält.

Auf die Herausforderung durch Corona wurden sie Anfang Januar aufmerksam, als in der chinesischen Provinz Wuhan die Fallzahlen stiegen. Nun arbeiten die Diplomaten gemeinsam mit den Vertretern von Kanzleramt und anderen Ministerien sowie Beamten des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und des Bundesnachrichtendienstes im Dreischichten-System.

Verteidigung

Annegret Kramp-Karrenbauers wichtigster Mann trägt einen Titel, von dem man selten hört: Martin Schelleis ist „Nationaler Territorialer Befehlshaber“ der Bundeswehr. Der drahtige Generalleutnant leitet im Normalbetrieb als Inspekteur die Streitkräftebasis, eine der vier Untereinheiten der Armee neben Heer, Marine, Luftwaffe und Sanität. Das alleine würde ihn auch jetzt schon gut auslasten. Denn zur Streitkräftebasis gehören Logistik, Feldjäger, ABC-Abwehr und das Streitkräfteamt mit der Reservisten-Abteilung – alles Spezialisten, die in der Corona-Krise früher oder später noch zum Einsatz kommen könnten.

Aber Schelleis untersteht auch das Kommando Territoriale Aufgaben. Die Truppe in der Berliner Julius-Leber-Kaserne ist die Zivil- und Katastrophenschutzabteilung der Bundeswehr. Bei Hochwasser oder in der Pandemie-Lage koordiniert das Kommando die Amtshilfe für Bund und Länder und hält in seiner Operationszentrale rund um die Uhr bundesweit die Lage im Blick – bei Hochwasser das Wetter, jetzt das Virus.

Schelleis ist Soldat mit Leib und Seele. Als voriges Jahr ein Ex-Militärberater der Kanzlerin der Bundeswehr „Schönrednerei“ und „Duckmäusertum“ vorwarf, ging Schelleis den Pensionär hart an: Da verzerre ein Frustrierter aus persönlicher Ambition das Bild der Armee.

Das kann der ausgebildete Jagdbomber-Pilot jetzt tatkräftig prägen. Der 60jährige, geboren im rheinischen Düren, leitet von seinem Bonner Dienstsitz aus die Hilfseinsätze der Bundeswehr. Sein Studium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehruni München hilft beim logistischen Teil der Aufgabe. Aber gefordert ist er zugleich als Mensch. In einer Videobotschaft bat er seine Truppe ruhig und ernst noch mal um vollen Einsatz in „ungewöhnlichen Zeiten“: „Wir haben Spezialfähigkeiten“, betonte der General. „Unser größtes Pfund aber sind Sie!“ Er schloss mit dem neuen Mottospruch der Bundeswehr: „Wir sind bereit. Wir dienen Deutschland. Bleiben Sie gesund!“

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