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Die Nato beschränkte sich lange auf Minenräumen und Manöver in der Ostsee.

© Foto: Ints Kalnins/Reuters

Die Nato und Russland: Wie sicher ist die Ostsee ?

Nach der Wende schien die Gefahr einer Konfrontation auf See gebannt – die Marine rüstete ab. Doch das Blatt hat sich gewendet. Die Nato widmet ihrer nassen Flanke wieder Aufmerksamkeit, und Deutschland soll führen.

Im Juli 2017 erlebte die Ostsee eine zweifelhafte Premiere. Drei chinesische Kriegsschiffe fuhren in das Gewässer ein. Ihr Ziel: die russische Exklave Kaliningrad. Bis dahin waren Schiffe der Nationalen Volksarmee in diesen Breiten allenfalls als Gast der Kieler Woche gesichtet worden. Diesmal jedoch hatten die Chinesen eine militärische Mission – ein gemeinsames Seemanöver mit Russland. Das erste dieser Art in der Ostsee. Wenige Wochen zuvor hatte die Nato ihr jährliches Ostsee-Manöver „Baltops“ abgehalten. Vor wenigen Jahren nahm Russland hier noch als Beobachter teil. Doch die Zeiten haben sich geändert. Kürzlich soll Russland unter anderem Angriffe auf Marinestützpunkte von Natostaaten in der Ostsee geprobt haben. Besonders bedroht sehen sich die Länder des Baltikums, deren Lebensader die Ostsee ist. Und deshalb nimmt die Nato ihre nasse Flanke, wie es in Militärkreisen heißt, wieder verstärkt in den Blick.

Meer des Friedens

„In den vergangenen 25 Jahren galt die Ostsee als ‚Meer des Friedens’“, sagt Sebastian Bruns vom Institut für Sicherheitspolitik an der Kieler Christian-Albrechts-Universität. „Jetzt ist sie wieder ein potenzielles Konfliktgebiet, und das strategische Interesse der Nato kehrt zurück.“ Dass Deutschland bei den Planungen eine besondere Rolle zukommt, ist aus Sicht des Wissenschaftlers selbstverständlich. „Kein anderer Ostsee-Anrainer hat vergleichbare Kapazitäten, daher fällt uns ganz natürlich die Führungsverantwortung zu.“ In Rostock baut die Bundeswehr derzeit ein maritimes Führungszentrum auf, das der Nato als regionales Hauptquartier angeboten werden soll. „Damit gewinnen wir die Fähigkeit zurück, operativ auf taktischem Niveau führen zu können“, erläutert Kapitän zur See, Johannes Dumrese, Sprecher des Marineinspekteurs. Einen Angriff muss Deutschland freilich kaum fürchten. „Die Lage ist heute eine völlig andere als im Kalten Krieg“, sagt Dumrese. Bis auf Russland sind alle Ostseeanrainer Verbündete oder Partner. Heute geht es um Bündnissolidarität.

Im aktuellen sicherheitspolitischen Weißbuch bekennt sich die Bundesregierung ausdrücklich zu ihrer neuen Verantwortung innerhalb der Nato – als „Ausdruck unseres Selbstverständnisses und unseres Gestaltungsanspruchs.“ In Deutschland müsse man sich an den neuen Status gleichwohl noch gewöhnen, meint Bruns. Deutschland als Seemacht? Das wecke bei vielen Erinnerungen an die Weltkriege, kurz: an eine wenig rühmliche Vergangenheit, mit der man aus gutem Grund abgeschlossen habe. Deutschland ist zwar längst wieder mit Kriegsschiffen auf den Weltmeeren präsent. Am Horn von Afrika jagt die Deutsche Marine Piraten, vor dem Libanon stellt sie sicher, dass keine Waffen über den Seeweg in die Region geschmuggelt werden, die gegen Israel eingesetzt werden könnten. Zwischen Italien und Libyen rettet sie Flüchtlinge. Die Landesverteidigung war für die Bundeswehr dagegen kein Thema mehr. Schließlich war Deutschland nun von Freunden umgeben.

Todesfalle im Kalten Krieg

Im Kalten Krieg galt die Ostsee als Fortsetzung des Eisernen Vorhangs. DDR-Grenztruppen tasteten das Meer nachts mit Scheinwerfern ab, um Fluchtversuche zu unterbinden. Tausende versuchten es trotzdem. Mehr als 170 DDR-Bürger kamen dabei ums Leben. Nach der Wende geriet die Ostsee weitgehend aus dem Blickfeld der Militärs. Schließlich schien selbst mit Russland eine Annäherung möglich, sogar von einer strategischen Partnerschaft war die Rede. Die Folgen für die Bundeswehr sind bekannt. Panzereinheiten wurden aufgelöst, wüstentaugliche Spezialeinheiten aufgebaut.

2016 wurden auch die letzten Schnellboote der Marine außer Dienst gestellt - kleine, wendige Schiffe, die speziell für den Einsatz in der Ostsee ausgelegt waren. 40 Stück besaß die Bundesmarine zu Hochzeiten. „Sie wären in der Lage gewesen, die drei Ostseezugänge schnell dichtzumachen“, erklärt Kapitän Dumrese. Nach der Wende kämpfte die Marine in der Ostsee indes vor allem gegen Seeminen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Handelsschiffen gefährlich werden könnten.

Insgesamt blieben der Marine rund 100 von einst 180 Schiffen, Booten und Luftfahrzeugen. Friedensdividende nannte man das. 2014 hat sich die politische Lage allerdings grundlegend verändert. Mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg in der Ostukraine trat die Landesverteidigung plötzlich wieder auf den Plan. Russlands neue Machtpolitik ist auch auf See erkennbar. Unter Präsident Wladimir Putin wird die Flotte aufgerüstet, Häfen werden zu Festungen. Nicht zuletzt in Kaliningrad lässt sich das beobachten. „Seit 2014 steigt der russische Einfluss auch in der Ostsee wieder“, sagt Marineexperte Bruns. Im Westen sei das zunächst kaum wahrgenommen worden. „Die Balten sind aber schon länger alarmiert.“ Das russisch-chinesische Seemanöver im vergangenen Sommer wertet Bruns „als Signal der Stärke“.

Strategisch wichtig

Für Russland ist die Ostsee strategisch von großer Bedeutung. Wichtige russische Häfen und Werften liegen an der Ostsee, außerdem werden über diesen Weg Holz, Öl, Gas und andere Güter exportiert. Die Gaspipeline Nordstream verläuft ebenfalls hier. Eine militärische Aggression erwarten derzeit zwar weder Beobachter noch die Nato. Ähnlich wie in der Ukraine stellt sich die Allianz vielmehr auf eine sogenannte hybride Taktik ein: kleine Nadelstiche und Provokationen, die Verunsicherung erzeugen und Ängste schüren. Nicht zuletzt in den Baltenrepubliken, die dem Nachbarn im Ernstfall nichts entgegenzusetzen hätten.

So verletzen russische Militärflugzeuge immer mal wieder den Luftraum ihrer baltischen Nachbarn, oder russische Schiffe, die in der Ostsee Kabel verlegen, dringen bewusst in fremde Hoheitsgewässer ein. Alles harmlose Einzelfälle. Doch die Störmanöver sind steigerungsfähig. Schließlich sind vor allem die Balten auf einen reibungslosen Schiffsverkehr auf der Ostsee angewiesen. Allein über Land oder die Luft können sie sich kaum versorgen. Sollte Russland den Seeverkehr stören oder den Seeweg gar abriegeln, wäre das für sie eine Katastrophe. Im Kriegsfall wäre die Ostsee aber auch als Nachschubweg für die Nato von strategischer Bedeutung. Denn die Bahnverbindungen ins Baltikum sind schlecht, der schmale Landkorridor an der polnisch-litauischen Grenze, mit Kaliningrad auf der einen und Weißrussland auf der anderen Seite, zudem leicht angreifbar.

Ziele des ersten Tages

Die Nato muss sich der veränderten Situation anpassen. Auf die USA wird sie sich dabei nicht verlassen können. „Die USA haben andere Prioritäten. Und sie könnten in der Ostsee ohnehin kaum etwas ausrichten“, erklärt Marineexperte Bruns. Die US-Marine könne das Gewässer nur mit großen Schiffen erreichen. „Im Ernstfall wären sie Ziele des ersten Tages.“ Für die Bundeswehr bedeutet das vor allem eines: Sie muss investieren. Allein fünf neue Korvetten hat sie inzwischen bestellt. Kostenpunkt: 2,4 Milliarden Euro. Die Korvetten sind wie die alten Schnellboote für flache Gewässer konzipiert. Sie haben aber eine höhere Reichweite und können anders als die Ostseeverteidiger das Baltikum anlaufen. Auch zwei neue U-Boote wurden kürzlich in Auftrag gegeben. Ihr Preis steht nach Auskunft des Verteidigungsministeriums noch nicht fest. Mehrzweckkampfschiffe, Minenabwehreinheiten, Tanker und Hubschrauber stehen ebenfalls auf der Einkaufsliste. Rund drei Milliarden Euro sind außerdem für vier neue Fregatten eingeplant. Denn auch jenseits der Ostsee bleibt die Marine gefordert.

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