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Die SPD will Rentnern mit einer Grundrente ohne Bedürfnisprüfung helfen – die CDU pocht auf den Koalitionsvertrag.

© Frank May/dpa

Die Morgenlage aus der Hauptstadt: Wie eine Einigung bei der Grundrente aussehen könnte

Wie es bei Franziska Giffey weitergeht +++ Autogipfel im Kanzleramt +++ Ein SPD-Politiker macht der AfD Konkurrenz.

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Wo geht es jetzt endlich in die heiße Phase? Bei der Grundrente für Geringverdiener. Am Donnerstag saßen die Groko-Verhandler nochmal von 13 Uhr bis in die Puppen zusammen. Und am Montag, so hieß es, könnte die hochumstrittene Reform von den Großkopferten des Koalitionsausschusses endgültig besiegelt werden. Es würde Zeit, denn ihre versprochene Halbzeitbilanz haben die Koalitionäre wegen ihres Endlos-Streits um das sozialpolitische Großprojekt schon verschieben müssen. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring, der bei seiner Landtagswahl von einer früheren Einigung fraglos profitiert hätte, twitterte am Abend spöttisch vom „Reformationstag im Bundeskanzleramt“ und einer „ganz lange(n) Zielgerade“.

Und der CDU-Arbeitnehmerflügel hatte sich sogar veranlasst gesehen, sich in die Befindlichkeit der Sozialdemokraten hineinzuversetzen. Er sei „fest überzeugt, dass die SPD ohne einen Durchbruch bei der Grundrente nicht in der Groko bleiben wird“, orakelte CDA-Vize Christian Bäumler.

Als wahrscheinlich gilt, dass nicht alle Geringverdiener mit langen Beitragszeiten ihre Rente aufgestockt bekommen, sondern dass es dafür – um die Zahl der Begünstigten niedriger zu halten – eine Einkommensprüfung geben wird. Die von der Union geforderte „Bedürftigkeitsprüfung“, bei der die kompletten Vermögensverhältnisse offenzulegen wären, dürfte um des fragilen Groko-Friedens willen wohl drangegeben werden.

Wer könnte jetzt noch mal durchstarten? Familienministerin Franziska Giffey. Ohne den Ärger um ihre Promotion hätte die Berliner SPD-Politikerin als Kandidatin mit Sicherheit für den Parteivorsitz zur Verfügung gestanden, behaupten nicht wenige Genossen. Nun, nachdem die Berliner FU ihr den Doktortitel abgesegnet hat, will die 41-Jährige zwar erklärtermaßen nicht mehr in dieses Rennen einsteigen.

Doch es muss ja nicht das Willy-Brandt-Haus sein. In Berlin wird Giffey schon lange als SPD-Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin gehandelt. Womöglich könnte die beliebte Politikerin den in der Wählergunst abgestürzten Berliner Sozialdemokraten im Herbst 2021 ja wieder zum Wahlsieg verhelfen.

Die Chancen dafür wären jedenfalls größer als mit dem bisherigen unpopulären Regierungschef. Zwar ist noch unklar, ob Michael Müller freiwillig verzichten würde, aber die Sympathie der Basis hat die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin allemal. Eine andere Option läge im benachbarten Brandenburg.

Dort könnte Giffey zur Mitte der neuen Wahlperiode den chronisch farblosen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke ablösen. Umworben wird sie von den Brandenburger Genossen schon seit längerem. Und dann gäbe es für die Hoffnungsträgerin auch noch die Möglichkeit, Vize-Chefin der Bundespartei zu werden. Mit einer kleinen Karriere-Schonfrist erst mal, aber mit allen Optionen für die Zukunft.

Wer schickt einen Abgeordneten in den Bundestag, der Flüchtlinge als „Gesindel“ bezeichnet?

Falsch geraten, es ist die SPD. Denn Joe Weingarten, der jetzt für Andrea Nahles im Parlament nachrückt, hat genau das getan. Der Politiker aus Rheinland-Pfalz teilte die Ankömmlinge in drei Gruppen ein: „Asylsuchende“, „Arbeitssuchende“ und eben „Gesindel“. Seinem Kreisverband hat diese Kategorisierung gar nicht gefallen, die Mitglieder wollen den 57-Jährigen deshalb nun nicht mehr als Direktkandidaten aufstellen. Doch Weingarten steht dazu. „Warum soll ich Kriminelle oder Menschen, die den Sozialstaat hintergehen, nicht als „Gesindel“ bezeichnen?“, fragte er Tagesspiegel-Redakteur Hans Monath.

Das sei nun mal „der Sprachgebrauch vieler unserer Wählerinnen und Wähler“. Wenn sich Menschen verletzt fühlten, die er nicht gemeint habe, bedaure er das zwar. Die AfD dürfe aber „kein Copyright auf eine klare Sprache haben, wenn es darum geht, Missstände klar anzusprechen“. Er habe auf seine Äußerung „viel mehr positive als kritische Rückmeldungen“ erhalten, komme abends „kaum damit nach, die vielen ermutigenden Mails zu beantworten“, erzählt der bisherige Ministerialbeamte. Und etliche, „die zuletzt an uns verzweifelten“, hätten ihm versichert, die SPD nun wieder wählen zu können. Kleiner Trost für die Genossen, die das verunsichert und die bei solcher Sichtweise und Wortwahl womöglich sozialdemokratische Werte untergraben sehen: Joe Weingarten will sich im Bundestag nicht dem Thema Flüchtlingspolitik widmen. Er interessiert sich mehr für Wirtschafts- und Technologiepolitik.

Wer macht sich rar? Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei lässt sie nicht nur auffallend teilnahmslos ihre Partei über Nachfolgekandidaten und die Groko über Auslandseinsätze streiten. Sie stellt sich auch immer seltener den Fragen von Rundfunk und Presse. Das zeigt eine Statistik des Bundespresseamtes, die erst nach der Klage eines Berliner Rechtsanwalts herausgegeben wurde und dem Tagesspiegel vorliegt.

Demnach ist die Kanzlerin im vergangenen Jahr nur noch mit 22 Interview-Beiträgen in deutschen Medien vertreten gewesen. In den Jahren zuvor waren es im Schnitt mehr als 60. Nur 2015, im Jahr der Flüchtlingskrise, machte sich Merkel schon mal auffällig rar, damals lag die Zahl ihrer Auftritte aber immer noch bei 33.

Der Rückgang der Merkel-Interviews könnte mit digitalen Strategien zusammenhängen, die Regierung nutzt weit stärker als früher Socialmedia-Kanäle wie Facebook, YouTube, Flickr, Instagram oder Twitter. Zudem unterhält die Kanzlerin seit 2006 einen eigenen Video-Podcast. Eine neue Methode scheint auch zu sein, sich der Einfachheit halber von Gleichgesinnten befragen zu lassen.

Mitte Oktober durfte Fraktionschef Ralph Brinkhaus in die Rolle des Kanzlerin-Interviewers schlüpfen, seine Fragen waren erwartungsgemäß wenig prickelnd. Genau darum sorgen sich Medienwissenschaftler auch bei der digitalen Direktkommunikation. Sie sehen darin den Versuch der Regierung, sich kritischen Fragen zu entziehen und das eigene Bild in der Öffentlichkeit selbst zu formen.

Was macht die Kanzlerin momentan so? Am Montag immerhin kommt bei ihr ordentlich Leben in die Bude: Vorstandsvorsitzende und -mitglieder von BMW, Daimler und Volkswagen sowie die Chefs von wichtigen Zulieferern wie Bosch und Continental treffen sich im Kanzleramt zum Autogipfel. Wie beim Vorgänger-Gipfel im Juni treten auch die Betriebsratsvorsitzenden der Unternehmen an, der Chef des Autoherstellerverbandes VDA und der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität, mehrere Bundesminister, Fraktionsvorsitzende und Ministerpräsidenten mit Autostandorten.

Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann darf ebenfalls nicht fehlen. Anders als im Frühsommer erwarten die Geladenen diesmal aber keine größere Streiterei. Die Bundesregierung hat ihre Klimabeschlüsse gefasst, der „Masterplan“ zum beschleunigten Ausbau der Ladeinfrastruktur liegt vor und man ist bereit, die Kaufprämie für Elektroautos zu erhöhen. Nun geht es um Details, um Nachjustierung des Zeitplans – und um noch was ganz Entscheidendes. „Frau Merkel lädt uns nicht ein, weil sie Geld verschenken will“, orakeln sie bei einem Autokonzern. Im Mittelpunkt des Treffens werde wohl die Lastenteilung stehen.

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