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Dietmar Bartsch steht seit 2015 gemeinsam mit Sahra Wagenknecht an der Spitze der Linksfraktion. Soll er künftig allein führen?

© Monika Skolimowska/dpa

Die Linke nach der Wahlniederlage: Wie weiter ohne Frontfrau Wagenknecht?

Sahra Wagenknecht tritt ab - und Dietmar Bartsch könnte die Linksfraktion demnächst allein führen. Doch dagegen gibt es Widerstand, nicht nur von den Frauen.

Von Matthias Meisner

Die Linksfraktion steht vor schwierigen Personaldebatten. Sie will noch vor der Sommerpause entscheiden, wie es nach dem Rückzug von Sahra Wagenknecht aus der Fraktionsführung weitergeht. Zugleich geht die Sorge um, neue Machtkämpfe könnten die Linke vor eine Zerreißprobe stellen.

Zur Diskussion stehen aktuell drei Varianten: Wagenknechts bisheriger Ko-Chef Dietmar Bartsch führt die Fraktion künftig allein, Wagenknecht bekommt eine Nachfolgerin - oder die Fraktionsspitze wird komplett neu aufgestellt.

Das genaue Procedere soll am kommenden Montag im Fraktionsvorstand festgelegt werden. Die Wahl der Fraktionsführung soll Ende Juni stattfinden, vor den für die Partei wichtigen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Wagenknecht hatte im März angekündigt, sich im Herbst bei den turnusgemäß anstehenden Wahlen der Fraktionsführung nicht mehr für das Amt der Fraktionschefin bewerben zu wollen. Ihr Spitzenamt bei der von ihr und ihrem Ehemann, Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine, initiierten Sammlungsbewegung "Aufstehen" hat sie bereits abgegeben. Die Entscheidungen begründete sie mit "Stress" und "Überlastung". Die 49-Jährige will künftig einfache Abgeordnete bleiben. Einflussreiche Genossen ermuntern sie, sich bei der Bundestagswahl 2021 wieder um ein Mandat zu bewerben.

Demnächst nur noch einfache Abgeordnete: Sahra Wagenknecht in einer Sitzung der Linksfraktion.
Demnächst nur noch einfache Abgeordnete: Sahra Wagenknecht in einer Sitzung der Linksfraktion.

© Felix Zahn/imago images/photothek

Bartsch führt die Fraktion seit 2015 gemeinsam mit Wagenknecht. Die Variante, dass der 61-Jährige künftig für den Übergang allein an der Spitze steht, hatte kurz vor der Europawahl der frühere Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi zur Sprache gebracht: In einem Interview mit der "taz" sagte Gysi dazu: "Warum nicht? Für ein Jahr kann er das gut alleine machen, später zusammen mit einer Frau." In einem Jahr finde ohnehin ein Bundesparteitag statt. "Dann müssen wir sowieso alles neu sortieren. Dieser Termin wäre also günstig zur Wahl von zwei Doppelspitzen in Fraktion und Partei. Ich fände das einleuchtend. Aber es gibt auch andere Ansichten."

Seit 2012 an der Spitze der Linkspartei: Bernd Riexinger und Katja Kipping.
Seit 2012 an der Spitze der Linkspartei: Bernd Riexinger und Katja Kipping.

© Annegret Hilse/Reuters

Katja Kipping und Bernd Riexinger wären 2020 acht Jahre als Parteivorsitzende im Amt - die Zusammenarbeit der beiden läuft Beobachtern zufolge reibungslos. Beide erwägen, im kommenden Jahr neue Funktionen zu übernehmen. Kipping hatte Ambitionen auf das Amt der Fraktionschefin, nach der Niederlage bei der Europawahl und den Kommunalwahlen kündigte sie - vorläufig - den Verzicht auf eine Bewerbung an. Ihren Genossen erklärte sie, dies bereits vor einiger Zeit entschieden zu haben: "Ich will mich jetzt mit aller Energie als Parteivorsitzende darauf konzentrieren, Die Linke für die Zeit nach der Groko aufzustellen und den Kampf um neue linke Mehrheiten aufzunehmen."

Klaus Ernst: Ein-Mann-Führung geht überhaupt nicht

Bartsch hat sich öffentlich nicht zu den Personalspekulationen um die Fraktionsführung geäußert. Klar ist bereits jetzt, dass es erheblichen Widerstand gegen die Ein-Mann-Führung gibt - und das nicht nur von Frauen in der Fraktion. Der bayerische Bundestagsabgeordnete und frühere Parteichef Klaus Ernst sagte am Dienstag dem Tagesspiegel: "Eine Ein-Mann-Führung geht überhaupt nicht. Das wäre einer linken Fraktion nicht angemessen. Es wäre ein Armutszeugnis für die Frauen, wenn sie sich das bieten lassen." Auch für den Übergang gebe es keinen Grund, später als Ende Juni auf die Wahl einer Wagenknecht-Nachfolgerin zu verzichten.

Die "taz" zitierte am Dienstag weitere Kritikerinnen der Lösung "Bartsch solo". Die frauenpolitische Sprecherin Cornelia Möhring findet die demnach "völlig unmöglich", eine doppelspitzenfreie Zeit in der Fraktion sei inakzeptabel. "Eine einsame Männerspitze ist mit linker Politik unvereinbar", meint auch die parteilose Digitalexpertin Anke Domscheit-Berg, die seit zwei Jahren für die Linke im Parlament sitzt. Ähnlich äußern sich die Kulturpolitikerin Simone Barrientos und Sabine Leidig, Beauftragte für soziale Bewegungen.

Potenzielle Kandidatinnen - aber keine Favoritin

Sollte die Fraktion wieder auf eine Doppelspitze verständigen, ist bisher nicht klar, auf wen die Wagenknecht-Nachfolge zuläuft. Eine Frau soll es sein - aber zu berücksichtigen ist auch die West-Ost-Frage und der komplizierte Proporz zwischen den Parteiflügeln. Die frühere Parteichefin Gesine Lötzsch gilt im Wagenknecht-Lager als Favoritin. Ein Stratege aus der Parteizentrale wendet gegen sie ein: "Die letzten verbliebenen SED-Mitglieder an der Spitze? Aufbruch ist etwas anderes." Als weitere potenzielle Kandidatinnen werden die die Vize-Fraktionschefinnen Caren Lay und Susanne Ferschl, Parteivize Martina Renner sowie die bayerische Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke gehandelt. Eine klare Mehrheit zeichnet sich bisher nicht ab.

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Der Außenpolitiker und Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich bezeichnete das Abschneiden der Linken bei der Europawahl als "bittere Niederlage". In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sagte er, es sei auch "Quittung für die machtpolitischen Auseinandersetzungen" in den vergangenen Jahren. Liebich forderte: "Wir brauchen einen neuen Neustart" - und bezog das sowohl auf die Partei- als auch die Fraktionsführung. "Wer glaubt, er kann jetzt einfach so weitermachen, der hat sich getäuscht." Das Ergebnis müsse alle dazu bringen, nachzudenken, wie es anders gemacht werden könne als in der Vergangenheit. "Und da steht auch jede Person in Frage."

Linke sackte bei Europawahl auf 5,5 Prozent ab

Die Linke war bei der Europawahl um 1,9 Punkte auf 5,5 Prozent abgesackt. Das war seit Gründung der Partei als Zusammenschluss von PDS und WASG das schlechteste Resultat bei einer bundesweiten Wahl. Und gefährlich nahe an der Fünfprozenthürde, die bei den Wahlen zum Europäischen Parlament allerdings nicht gilt. Vor allem in den ostdeutschen Ländern waren die Stimmenverluste massiv. Intern gelten die Resultate als "katastrophal", der Erfolg der Partei bei der Bremen-Wahl - die Linke hofft bei den anstehenden Sondierungen auf ihre erste Regierungsbeteiligung im Westen - tröstet darüber nur wenig hinweg.

Während die AfD in etlichen ostdeutschen Landkreisen mit Stimmenanteilen von gut einem Fünftel bis zu einem Drittel zur stärksten Partei gewählt wurde, verlor die Linke in allen Bundesländern - und massiv in den ostdeutschen Ländern. Am stärksten wirkt der Einbruch in Thüringen: ein Minus von 8,7 Punkten. Und das vor der strategisch so wichtigen Landtagswahl am 27. Oktober, bei der Bodo Ramelow den ersten und bisher einzigen Ministerpräsidenten-Posten seiner Partei verteidigen will. Doch auch für die Wahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September ist das Signal ungünstig.

Schon bei der Bundestagswahl 2017 hatte die Linke im Osten verloren, während sie sich im Westen stabilisierte. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung analysierte in der Wahlnacht keine spezifisch ostdeutschen Gründe für den Absturz bei der Europawahl. Als Ursachen für die Wahlniederlage benannte sie die "für viele unklare Haltung gegenüber der EU und ihrer Reformierbarkeit". Zudem sei die Mobilisierungsfähigkeit der Partei bei europäischen Wahlen im Vergleich zur Bundestagswahl "traditionell niedriger". Der Autor der Studie, Horst Kahrs, hatte vorausgesagt, die Wahlen am Sonntag dürften die "innerparteilichen Debatten (...) wieder neu beleben".

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