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Das neue Führungs-Duo der Linken, Janine Wissler und Martin Schirdewan.

© Martin Schutt/dpa

Die Linke in der Krise: „Der politische Gegner sitzt nicht in dieser Partei“

Auf ihrem Parteitag bemüht sich die Linke um Geschlossenheit – für sie geht es um die Existenz. Doch die Gräben sind immer noch tief.

Gregor Gysi sollte seiner Partei eigentlich zum Geburtstag gratulieren. Doch auf eine launige Rede verzichtete der Linken-Mitgründer auf dem Erfurter Parteitag. „Zu unserem 15. Geburtstag fällt mir kein rechter Glückwunsch ein. Die Partei ist in einer existenziellen Krise“, rief Gysi den Delegierten zu. „Entweder wir retten unsere Partei, oder wir versinken in Bedeutungslosigkeit.“

Gysis dramatische Warnung ist keineswegs übertrieben: Die Linke hatte bei der Bundestagswahl nur 4,9 Prozent erreicht und den Wiedereinzug ins Parlament in Fraktionsstärke nur durch drei Direktmandate gesichert. Zwar regiert die Partei in vier Bundesländern mit und stellt in Thüringen den Ministerpräsidenten. Doch auch bei Landtagswahlen verzeichnet die Linke seit Jahren Verluste. Besonders schmerzhaft ist das im Osten Deutschlands, wo die Partei ihren Status als Volkspartei eingebüßt hat. Dadurch kann die Linke auf Bundesebene ihre traditionell mageren Ergebnisse im Westen nicht mehr wettmachen.

In der Öffentlichkeit wird seit Jahren vor allem der erbittert ausgetragene Streit innerhalb der Linken wahrgenommen. Gysi sprach in Erfurt von einem „Klima der Denunziation“ in seiner Partei, das überwunden werden müsse. Er schätze es an den Grünen, dass sie sich zwar nicht weniger stritten als die Linken, dies aber nicht über die Medien austrügen. Es sagt viel über den Zustand der Partei aus, dass die wiedergewählte Vorsitzende Janine Wissler den Delegierten folgende Mahnung mit auf den Weg gab: „Der politische Gegner sitzt nicht in dieser Partei, sondern außerhalb.“ Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, statt einen Tweet über eine Genossin oder einen Genossen abzusetzen, solle man lieber miteinander reden. Ab diesem Montag müsse gelten: „Solidarität nach innen, Attacke nach außen“.

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Wissler, die seit Februar vergangenen Jahres an der Spitze der Linken steht, wurde trotz der Wahlniederlagen und Kritik an ihrem Umgang mit Sexismus und Übergriffen innerhalb der Partei wiedergewählt. In einer Kampfkandidatur setzte sie sich mit 57,5 Prozent der Stimmen auf dem für Frauen reservierten Platz gegen die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek und eine weitere Mitbewerberin durch. Die niedersächsische Linken-Chefin Reichinnek kam auf 35,9 Prozent.

Wisslers Wahlergebnis zeigt, dass ein größerer Teil der Partei sich eine andere Kandidatin gewünscht hätte. Die Parteichefin sagte dazu, sie habe eine „deutliche Mehrheit, mit über 20 Prozent Vorsprung“. Mit einer ungewöhnlich kämpferischen Rede am Freitag hatte Wissler offenbar viele Delegierte von sich überzeugen können. Nach ihrer Wahl kam es in Erfurt zu einem Eklat, weil zwei Betroffene von sexualisierten Übergriffen das Votum für Wissler scharf kritisierten. Eine der Frauen sagte, den Tränen nahe, sie wisse nicht, wie sie jetzt noch in der Partei bleiben könne.

Schirdewan: Linke muss sich mehr um „Brot-und-Butter-Themen“ kümmern

Der zweite Platz innerhalb der Doppelspitze ging an Wisslers Wunschkandidaten Martin Schirdewan, er kam auf 61,3 Prozent. Beide kennen sich aus der gemeinsamen Arbeit im Parteivorstand, dem Schirdewan bereits zuvor angehörte. Der 46-Jährige ist seit 2017 Abgeordneter im Europäischen Parlament und seit drei Jahren außerdem Co-Chef der Fraktion der Europäischen Linken. Er habe also Erfahrung darin, „eine bunte Ansammlung von Linken“ zu führen, sagte er nach seiner Wahl. Inhaltlich hat sich der promovierte Politologe in Straßburg vor allem mit den Themen Wirtschaft, Steuern und Geldwäsche befasst. Seine Arbeit im EU-Parlament will er fortsetzen. Der neue Linken-Chef ist der Enkel des SED-Funktionärs und Stalin-Kritikers Karl Schirdewan.

Von dem Parteitag gehe ein Signal aus, sagte Schirdewan nach seiner Wahl: „Wir haben verstanden, wir sind wieder da.“ Die Linke müsse sich wieder mehr um „Brot-und-Butter-Themen“ kümmern. Der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, der in Leipzig eines von drei Direktmandaten der Linken gewonnen hatte, kam auf 31,7 Prozent der Stimmen. Für ihn hatte sich die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ausgesprochen.

Linke verurteilt Russlands Angriffskrieg als "verbrecherisch"

In einem der größten Streitpunkte, der Außen- und Sicherheitspolitik und der Haltung zu Russland, verständigte sich der Parteitag auf eine gemeinsame Position. „Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg aufs Schärfste. Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen“, heißt es in dem am Sonntag verabschiedeten Leitantrag. Russland versuche, in postsowjetischen Staaten „autoritäre Vasallen-Regime“ einzurichten. „Es wird deutlich, dass Russland eine imperialistische Politik verfolgt.“ Waffenlieferungen an die Ukraine lehnen die Linken allerdings weiter ab.

Wissler selbst trat in Erfurt mehrfach ans Mikrofon, um den Antrag gegen Kritiker zu verteidigen. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Wagenknecht, die beim Parteitag krankheitsbedingt fehlte, hatte im Vorfeld beantragt, die kremlkritischen Passagen zu streichen und stattdessen auf die „völkerrechtswidrigen Kriege“ der USA zu verweisen. Das lehnten die Delegierten mit großer Mehrheit ab. Gegner dieser Position beklagten eine „Schleifung der friedenspolitischen Grundsätze“ der Linken sowie ein „Anpassen an die olivgrüne Stimmung in diesem Land“.

Wie groß die Gräben bei diesem Thema nach wie vor sind, zeigte sich bei einem auf dem Parteitag eingespielten Video der Ukrainerin Olena Slobodian, die eine linke Bewegung vertritt. „Wir Arbeiter:innen fordern Sie auf, sich im Kampf gegen den russischen Faschismus solidarisch zu zeigen“, sagte Slobodian. Die deutschen Waffenlieferungen kritisierte sie als unzureichend. Als die Ukrainerin die Linken aufforderte, ihren Widerstand gegen Russland-Sanktionen aufzugeben, wurde sie im Saal ausgebuht. Der stellvertretende Berliner Linken-Vorsitzende Tobias Schulze zeigte sich entsetzt über „Buh-Rufe und Raunen“ während des Videos aus der Ukraine.

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