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Leere Extraktionsröhrchen in einer Testkassette in einem Corona-Labor in Sachsen (Archivbild)

© dpa/Sebastian Kahnert

Die Lehren aus der Pandemie: Wir kämpfen gegen ein Virus, nicht gegen uns selbst

Die Gesellschaft hat wegen der Corona-Pandemie enorme Aufgaben zu bewältigen. Doch es fehlt an Grundlagen zur Verständigung miteinander. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Vor zwei Jahren wurde in Deutschland der erste Fall einer Corona-Infektion bestätigt. Aktuell infizieren sich mehr als 200.000 Menschen täglich mit Covid-19. Es wäre leicht, aus dieser Gegenüberstellung eine negative Bilanz abzuleiten. Wer erinnert sich nicht? An die Bilder aus Bergamo und New York. An Ursula von der Leyen, die in einem 50-Sekunden-Spot erklärt, wie man sich richtig die Hände wäscht.

An die offizielle Aussage, Masken schützen nicht. An Bundestagsabgeordnete, die sich an der Maskenbeschaffung bereichern. An die Tagesspiegel-Schlagzeile „Die Welt schöpft Hoffnung“, als die Firma Biontech einen Impfstoff entwickelt hatte. An den erbittert geführten Wettstreit, welchem Land es gelingt, seine Bewohner als erstes zu impfen. An den Schrecken, als plötzlich die Omikron-Variante auftauchte.

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Bis heute stehen wir auf schwankendem Grund, pendeln zwischen Irrtümern und Ungewissheiten, regen uns auf über Widersprüche und Ungereimtheiten, leiden unter Kontaktbeschränkungen und 2-G-Regelungen.

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Der Wunsch, dass das enden muss, führt bei den einen zur Forderung nach Lockerungen, bei den anderen zur Forderung nach noch drastischeren Maßnahmen, etwa einer allgemeinen Impfpflicht. Immer unversöhnlicher stehen sich die Lager gegenüber. Von denen, die ohnehin bloß finstere Mächte am Werke sehen, ganz zu schweigen.

Dabei waren die vier Grundimpulse, denen die Verantwortlichen folgen, von Anfang an richtig. Erstens: Das oberste Ziel muss es sein, eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern und vulnerable Gruppen vorrangig zu schützen. Zweitens: Impfen ist in aller Regel besser als nicht-impfen, obgleich selbst Mehrfachimpfungen keinen absoluten Schutz bieten und Genesene oft länger immun sind, als bislang gedacht.

Drittens: Kein Leben ist mehr wert als ein anderes. Das hat zuletzt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur Triage betont. Viertens: Soziale Härten muss der Staat durch finanzielle Unterstützung und Kurzarbeitergeld abfedern.

Es mangelt den Regierenden an Mut und Ehrlichkeit

Diese vier Maximen sind von einer Ethik geleitet, die in einer Extremsituation den Schutz des menschlichen Lebens höher gewichtet als Einschränkungen individueller Freiheitsrechte. Wer das verkehrt findet, bringt sich in die vertrackte Lage, den Vorwurf des Egoismus entkräften zu müssen.

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Allerdings mangelt es den Regierenden an Mut und Ehrlichkeit. Allzu oft überwogen Appelle an den Durchhaltewillen, statt dass in einfacher Sprache kommuniziert wurde, auf welcher Wissensbasis welche Maßnahme fußt. Was fehlte, war das öffentliche Eingeständnis, oft selbst im Dunkeln zu tappen.

Der Bürger verträgt Offenheit, was er nur schwer erträgt, ist Paternalismus. Er will nicht an die Hand genommen, sondern überzeugt werden. Niemand war auf Corona vorbereitet. Das Virus traf die Menschheit wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel. So zu tun, als sei alles rasch unter Kontrolle zu bringen, kollidiert mit den Wirklichkeitshärten. Kann sich irgendjemand diesen entziehen?

Das alte Leben kommt nicht mehr zurück

Der Tod unterscheidet nicht zwischen Arm und Reich. Der Organisationswahnsinn, den Familien mit Kindern bewältigen müssen, steht der Einsamkeit vieler Alleinlebender gegenüber. Da sind die Jugendlichen, die sich abschotten vom Reisen, Feiern, gemeinschaftlichen Studieren.

Da sind die Kino-Betreiber und Restaurant-Besitzer, die weiterhin keine Perspektive haben. Da sind die Angehörigen, die nur unter strengen Besuchsauflagen ins Seniorenheim dürfen. Und da sind die Verbitterten, die glauben, das Elend lasse sich leichter erdulden, wenn der Finger auf vermeintlich Schuldige gerichtet wird. Auch sie, die Verbitterten, darf eine Politik nicht ignorieren, deren Ideal ein funktionierendes Gemeinwesen ist.

Wir kämpfen gegen ein Virus, nicht gegen uns selbst: Wenn das vergessen wird, drohen die Risse noch tiefer zu werden, die jetzt schon durch die Gesellschaft gehen. Dabei stehen auch für den Fall, dass die Pandemie in eine Endemie übergeht, große Aufgaben zur Bewältigung erst an.

Die Behandlung von Long Covid etwa, der Spätfolgen vieler Infektionen; die Ankurbelung der Wirtschaft; der Aufbau krisenresistenter Strukturen in Schule und Universität; die Einführung eines umfassenden digitalen Gesundheitsdatensystems. Das alte Leben, nach dem viele sich sehnen, kommt nicht mehr zurück. Auch das Abschiednehmen muss durch Corona neu gelernt werden.

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