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Knappe Krankenhausbetten in Brasilien: Covid-19-Patient in der Intensivstation eines Feldlazaretts in einer Turnhalle

© dpa/AP/Andre Penner

„Die Lage ist verzweifelt“: Brasiliens Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps

Eine gefährliche Virusvariante und ein Präsident, der die Bedrohung durch Corona klein redet: In Brasiliens Krankenhäusern herrscht schiere Verzweiflung.

Rasant steigende Infektionszahlen, eine sich rasch ausbreitende Virusvariante P.1, überbelegte Intensivstationen in den Krankenhäusern und dazu ein Mangel an lebensrettenden Medikamenten und dringend benötigtem Sauerstoff für notleidende Patienten – Brasiliens Gesundheitssystem steht in der Corona-Pandemie vor dem Kollaps. „Das wird der größte Zusammenbruch des Gesundheitswesens in der Geschichte Brasiliens“, warnen Experten des renommierten Forschungsinstituts Fiocruz in Rio de Janiero.

Seit Pandemie-Beginn wurden in dem südamerikanischen Land der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore zufolge inzwischen fast zwölf Millionen Infektionsfälle nachgewiesen, mehr als 294.000 Menschen starben an Erkrankungen in Verbindung mit Covid-19. Mehr Ansteckungen und mehr Tote verzeichnen nur die USA.

Wegen eines Mangels an Impfstoffen stockt derzeit auch die Impfkampagne, zu spät hatte sich die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro um Lieferungen bemüht.

Am Freitag meldeten die brasilianischen Behörden den Höchstwert von 2815 neuen Todesfälle durch das Coronavirus binnen 24 Stunden. Zu Jahresbeginn hatte der angesehene Neurowissenschaftler Miguel Nicolelis vor täglich bis zu 3.000 Toten Ende März gewarnt. Doch die politisch Verantwortlichen nahmen solche Warnungen nicht ernst.

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Angesichts der Manaus-Variante P.1, die um ein Vielfaches ansteckender ist als das ursprüngliche Coronavirus, befürchtet Nicolelis nun gar Schlimmeres. „Wir können die amerikanischen Todesrekorde pro Tag in den nächsten Wochen übertreffen“, sagte er nun. Das wären rund 5.000 Tote in 24 Stunden.

Dass solche Prognosen nicht unrealistisch sind, macht ein Blick auf die Lage in Brasiliens Krankenhäusern deutlich. In 25 der 26 brasilianischen Bundesstaaten plus einem Bundesdistrikt beträgt die Auslastung der Intensivstationen schon mehr als 80 Prozent. Etliche liegen schon höher als 90 Prozent und steuern auf eine maximale Auslastung oder gar eine Überlastung zu.

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Ein Video von Fiocruz macht die dramatische Entwicklung in den Kliniken seit dem Sommer 2020 deutlich: In immer mehr Bundesstaaten wechselt die Symbolfarbe für die Belegung der Intensivstationen der Krankenhäuser für Covid-19-Patienten von Grün für „niedrig“ über Gelb für „mittel“ bis hin zu Rot für „kritisch“.

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Überall im Land füllen sich die Intensivstationen mit Covid-19-Patienten – und in den am stärksten betroffenen Bundesstaaten Brasiliens sind die Kapazitäten vielerorts längst ausgeschöpft.

„Die Lage ist verzweifelt“, zitiert die britische Zeitung „Guardian“ den Mediziner Hermeto Paschoalick, der in einem Krankenhaus in Dourados im Bundesstaat Mato Grosso do Sul eine Intensivstaion leitet, die an ihre Grenzen stößt. Am vergangenen Dienstag habe er ein freies Bett in seiner für 20 Patienten ausgelegten Station gehabt – und Anfragen, um weitere 22 schwer erkrankte Covid-19-Patienten aufzunehmen.

In anderen Regionen seien die Kliniken schon derart überfüllt, dass Patienten, die aus den Dörfern in die größeren Ortschaften gebracht werden, abgewiesen werden müssten. „Die werden dann einfach weiter in den Krankenwagen untergebracht“, sagte Paschoalick dem „Guardian“.

Aber auch in einer reichen Metropole wie Sao Paulo bricht die Versorgung der Patienten zusammen. „Es ist kein Chaos – wir sind schon weit darüber hinaus“, zitiert die Zeitung einen Kardiologen.

Brasilien in der Pandemie: Covid-19-Patienten in einem Feldlazarett
Brasilien in der Pandemie: Covid-19-Patienten in einem Feldlazarett

© dpa/AP/Andre Penner

Brasilien stehe „vor dem schlimmsten Szenario“ seit Beginn der Pandemie, warnen die Experten des Instituts Fiocruz. Nur strikte Beschränkungen des sozialen Lebens, das Tragen von Schutzmasken und mehr Tempo bei den Impfungen könnten die Lage verbessern.

Bolsonaro-Gefährte sieht Lage „nicht so krtisch“

Doch solche dringenden Empfehlungen stoßen beim rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro auf taube Ohren. Bolsonaro, der inzwischen den vierten Gesundheitsminister binnen eines Jahres berufen hat, spielt die Gefahr durch das Coronavirus seit Beginn der Pandemie herunter und weigert sich, das Land in einen Lockdown zu schicken. Zu sehr fürchtet er wohl negative Folgen für die Wirtschaft, die seine Chancen bei der kommenden Wahl schmälern könnten. Gegen Lokalregierungen und Bürgermeister, die angesichts steigender Infektionszahlen Einschränkungen verfügen, geht die Zentralregierung gerichtlich vor.

Auch Mitstreiter Bolsonaros verweigern sich der Realität. „Unsere Lage ist nicht so kritisch. Sie ist sogar vergleichsweise komfortabel“, sagte etwa der Parlamentsabgeordnete Ricardo Barros – just an dem Tag, als Brasilien den Höchstwert von mehr als 2800 Corona-Toten an einem Tag registrierte.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro lässt sich an seinem Geburtstag am 21. März bejubeln.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro lässt sich an seinem Geburtstag am 21. März bejubeln.

© AFP/Evaristo Sa

Allen voran aber ist es Bolsonaro selbst, der trotz des Abgrundes, der sich für Brasilien und sein Gesundheitssystem auftut, die Bedrohung durch das Coronavirus einfach ignoriert.

Als am Wochenende der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes, die Schließung der berühmten Strände – Copacabana und Ipanema – wegen einer „sehr kritischen“ Infektionslage in der Stadt anordnete und die Menschen aufforderte, daheim zu bleiben, kritisierte Bolsonaro das Strandverbot.

Durch die Schließung der Strände würde den Menschen in Rio de Janeiro die Möglichkeit genommen, in der Sonne zu baden, empörte sich der Präsident. „Vitamin D ist ein Weg zu verhindern, dass das Virus Sie ernsthaft betrifft“, sagte Bolsonaro. „Und woher bekommen Sie Vitamin D? Von der Sonne.“ (mit Agenturen)

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