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Die ehemaliger Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger.

© IMAGO / Mike Schmidt

Die Krisen bei ARD und ZDF: Intendanten müssen endlich auch gewählt werden

Der ÖRR steckt in einer Relevanz-, Repräsentations- und Akzeptanzkrise. Da hilft nur eine radikale Demokratie-Offensive. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Der Doppelrücktritt von Patricia Schlesinger, als ARD-Vorsitzende und Intendantin des RBB, deutet auf eine Malaise, die größer ist als dieser spezielle Fall: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) steckt in multiplen Krisen. Viele, die darin arbeiten, wollen es nicht wahrhaben, aber der Sturm, den das Verhalten ihrer Vertreter auslöst, wird heftiger. Es wäre falsch, dahinter lediglich Missgunst oder Kampagnen zu wittern. Was ist geschehen?
Es begann mit einer zweifachen Relevanzkrise. Zunächst wurde das TV-Monopol der Öffentlich-Rechtlichen geknackt. Das war in den achtziger Jahren, als ihnen der private, kommerzielle Rundfunk Konkurrenz zu machen begann. Dann kam das Internet mit Dutzenden von Plattformen wie Twitter, WhatsApp, Facebook und Instagram. Welche Macht Politikern zuwachsen kann, die sich in sozialen Netzwerken offen gegen traditionelle Medien positionieren, zeigte der Wahlkampf von Donald Trump.

Jede Gästeauswahl für Talkshows verursacht massiven Streit

Auf die Relevanz- folgte die Repräsentationskrise. Spätestens seit dem Flüchtlingsherbst 2015 und verstärkt durch die Corona-Pandemie – zwei Ereignisse, die die Gesellschaft spalteten und den Diskurs polarisierten – fiel es den Öffentlich-Rechtlichen immer schwerer, die Gesamtheit der Stimmungen adäquat abzubilden. Die AfD ist zwar im Bundestag vertreten, aber in den Redaktionen von ARD und ZDF lässt sich kaum ein Sympathisant finden. Politisch ist das Land in den vergangenen Jahren schneller nach rechts gerückt als medial. Inzwischen verursacht fast jede Gästeauswahl für Talkshows massiven Streit. Wer darf reden? Sind genügend Frauen, Migranten, Ostdeutsche vertreten?

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Auf die Repräsentations- folgte die Akzeptanzkrise. Ein mit Zwangsgebühren, im Volksmund Mediensteuer genannt, üppig finanziertes System, bezahlt seine Stars mit horrenden Summen, um sie möglichst quotenträchtige Gerechtigkeitsdebatten führen zu lassen. Über „Emmely“ etwa, die Kassiererin, die wegen geklauter Pfandbons entlassen worden war. Solche Diskrepanzen rufen Wut empor, gefolgt vom Vorwurf der Abgehobenheit. Längst ist das ÖRR-Bashing kein Kennzeichen rechter Ideologen mehr, sondern reicht bis weit in die Mitte

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Dabei ist der Grundimpuls, aus dem der staatsferne Staatsfunk entstand, auch heute so nachvollziehbar wie berechtigt. Er soll unabhängig und überparteilich sein, die gesellschaftlichen Strömungen in ihrer Vielfalt abbilden, Informationen liefern, Orientierung geben, Zusammenhänge aufzeigen. Wer je in einem Land ohne funktionierendes Fernseh- und Rundfunksystem dieser Art gelebt und die Manipulationsmöglichkeiten privat operierender Medienmogule erfahren hat, schätzt die möglichst neutrale Grundversorgung der deutschen Öffentlich-Rechtlichen stets aufs Neue.

Eine Mitsprache des Bürgers bei Personal und Programm

Mit der Relevanz- und Repräsentationskrise müssen sie zu leben lernen. Ihre Akzeptanz freilich können die ÖRR erhöhen. Politiker werden gewählt und müssen sich gegenüber dem Steuerzahler verantworten. Jede Briefmarke wird abgerechnet. In Sachen Transparenz und Demokratie hinken die Öffentlich-Rechtlichen indes hinterher. Gehälter, Honorare und Altersbezüge sollten detailliert einsehbar sein. Und was spräche gegen eine Mitsprache des Bürgers bei Personal und Programm? Warum stellen sich Intendanten und Programmverantwortliche nicht dem Votum der Nutzer? Das könnte einen Ideenwettkampf entfalten, in dem regelmäßig die Wünsche und Bedürfnisse der Zuschauer reflektiert werden.
Mehr Musikantenstadl, längere Tagesschau, früherer Talkshow-Sendungsbeginn? Über alles darf ergebnisoffen diskutiert werden. Ihrem Image, dass nach intransparenten Gremiensitzungen von Oben herab fragwürdige Entscheidungen getroffen werden, müssen die ÖRR durch eine radikale Demokratisierungs- und Transparenzoffensive begegnen. Das schulden sie sich selbst. Das schulden sie aber vor allem den Zwangsgebührenzahlern, auch Zuschauer genannt.

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