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CDU-Chef Friedrich Merz arbeitete sich am abwesenden Bundeskanzler Olaf Scholz ab.

© Fabian Sommer/dpa

„Die Jungs und Mädels haben sich durchgesetzt“: Merz' Abrechnung mit dem abwesenden Scholz – und der scharfe Konter

Die Linke fürchtet Berlins Zerstörung, der CDU-Chef arbeitet sich am Bundeskanzler ab, die FDP zitiert Willy Brandt. Über einen besonderen Tag im Bundestag.

Klaus Ernst kann nicht mehr an sich halten, er bittet um eine Kurzintervention. „Mein Gott, über was reden wir denn hier eigentlich?“, ruft der Linken-Abgeordnete mit ausgebreiteten Armen ins Plenum.

„Wir diskutieren hier, ob der Kanzler nach Japan fährt oder nicht. Ich glaube uns ist gar nicht klar, was wir hier gerade beschließen“, kritisiert Ernst, dass sich die Debatte weniger um die Ukraine dreht, sondern immer wieder darum, ob es richtig ist, dass Olaf Scholz trotz der Entscheidung zur Lieferung auch schwerer Waffen nicht im Bundestag anwesend, sondern nach Japan geflogen ist. Und einige offene Fragen hinterlassen, sich nicht erklärt hat.

Der Linkenpolitiker Klaus Ernst warnt in einer Zwischenintervention vor dem Atomkrieg.
Der Linkenpolitiker Klaus Ernst warnt in einer Zwischenintervention vor dem Atomkrieg.

© Fabian Sommer/dpa

„Der Kanzler hat vor kurzem einen wichtigen Satz gesagt“, betont Ernst. Nämlich, dass man aufpassen müsse, dass man nicht auf einen Atomkrieg zusteuere. „Deswegen hat er bisher schwere Waffen ausgeschlossen.“

Und plötzlich würden sich alle, vor allem Friedrich Merz, für die Lieferung solcher Waffen aussprechen. „Ich muss ja sagen, ich bin froh, dass die Kanzlerin dazu beigetragen hat, dass Sie uns einige Jahre erspart geblieben sind“, ruft er Richtung Merz, der nestelt an seiner Brille rum. „Wir reden über die Frage, ob wir hier in einem halben oder in einem Jahr durch ein Berlin gehen können, das nicht zerstört ist. Denn wenn es einen Atomkrieg gibt, sind wir auch betroffen.“  

Für Ernst kommt man dem Szenario näher. Am anderen Rand des Bundestags sitzt die AfD, sie ist wie die Linke gegen den Antrag, beide Parteien verbindet ihre Nähe zu Russland. Alexander Gauland umschreibt das strategische Dilemma so: „Russland darf nicht gewinnen – Russland darf auch nicht verlieren.“ Sonst könnte es eben zur nuklearen Option greifen.

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Er hält dann noch ein Referat in russischer Geschichte und Großmachtpolitik in Europa. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) schüttelt auf der Regierungsbank den Kopf – und greift lieber zum Handy. Er versucht nach vorne gerichtet zu handeln, arbeitet unentwegt an neuen Bezugsquellen für Öl, Kohle und Gas. Und hat bei den Waffen Druck auf Scholz gemacht, mehr zu machen.

Die Union mit ihrem Fraktionschef Merz und der von den USA einberufene Ukraine-Gipfel in Ramstein taten dann das Übrige dafür, dass der Kanzler binnen weniger Tage doch grünes Licht gab, für Panzer made in Germany. Die SPD müsste sich mal wieder eine neue Sprachregelung überlegen, hatte Scholz doch gerade erst das Bremsen mit der Gefahr eines Atomkriegs zu begründen versucht.

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Am Vortag hatte es noch nach einer großen Demonstration der Einigkeit der demokratischen Mitte ausgesehen, die Putin nun auch mit schweren Waffen stoppen will. Also erstmal solches Gerät an eine Kriegspartei, die Ukraine, zu liefern.

Die Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP einigten sich mit CDU/CSU darauf, dass die deutsche Industrie der Ukraine etwa auch Panzerhaubitzen und Panzer liefern darf, ein gemeinsamer Antrag wurde als wichtiges Signal der Geschlossenheit an das Volk gewertet. Er wird am Ende im Bundestag auch mit großer Mehrheit von 586 Stimmen beschlossen.

Aber immer wieder geht es auch um die Frage, ob das die richtige Strategie ist, ob Waffenlieferungen den Krieg wirklich zugunsten der Ukraine entscheiden können.

Zuletzt hat auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewarnt, dass die Debatte sehr abwägend geführt werden sollte – und ausdrücklich den Kurs von Kanzler Olaf Scholz in Schutz genommen: "Ich gehöre nicht zu denjenigen, die der Bundesregierung vorwerfen, dass sie Chancen und Risiken bei Entscheidungen, die von großer Tragweite sein können, abwägt", sagte er bei einem Besuch in der Slowakei, bei dem er auch Bundeswehr-Soldaten an der Nato-Ostflankte für den Einsatz dankte.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) und Zuzana Caputova, Präsidentin der Slowakei, besuchen den Standort des Patriot-Flugabwehrraketensystems der NATO auf dem slowakischen Luftwaffenstützpunkt Sliac.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) und Zuzana Caputova, Präsidentin der Slowakei, besuchen den Standort des Patriot-Flugabwehrraketensystems der NATO auf dem slowakischen Luftwaffenstützpunkt Sliac.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Merz, Scholz und das Zitat mit den "Jungs und Mädels"

Doch als Friedrich Merz am Morgen im Bundestag als einer der ersten das Wort ergriffen hat, ist es schnell vorbei mit der neuen Gemeinsamkeit. Er knüpft sich schonungslos den vor, der nicht da ist: den Kanzler. Der will in schwieriger Zeit die großen Demokratien der Welt enger zusammenschweißen, daher geht die Fernost-Reise auch nicht zuerst nach China. „Diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was Ihr wollt, deshalb führe ich“, beginnt Merz sehr innenpolitisch.

Muss viel Kritik für seinen Kurs einstecken: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz
Muss viel Kritik für seinen Kurs einstecken: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz

© IMAGO/Future Image

So habe sich der Kanzler in einen Radiointerview geäußert, damit seien die Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes-Strack-Zimmermann (FDP), Toni Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD) wohl gemeint gewesen, die eine Reise in die Westukraine unternommen hatten und ihn danach mit ihren Forderungen nach mehr Waffenhilfe triezten.

Das sei herablassend und für einen Bundeskanzler „völlig inakzeptabel“. Merz kommt jetzt richtig in Fahrt. „Dieser Sprachgebrauch ist ein Zeichen von Unsicherheit und Schwäche.“ Scholz beantworte gern „alle Fragen, die ihm nicht gestellt worden sind und keine einzige, die ihm gestellt worden ist“. Beim Waffenthema habe er ängstlich gezögert.

Nun werde die Union dafür kritisiert, dass sie Druck mache. „Aber das Problem für den Bundeskanzler war und ist nicht die Opposition, das Problem für den Bundeskanzler war und ist die Kritik aus den eigenen Reihen.“ Immer wieder gibt es Rufe und Empörung bei der SPD. „Wenn Sie unter staatspolitischer Verantwortung verstehen, alles kritiklos hinzunehmen, ist das falsch.“

Der Kanzler ziert das "Time"-Cover

Scholz‘ Atomkriegsargument sei unverantwortlich. „Warum sollen gerade deutsche Waffen so eine Wirkung haben und andere Waffen nicht.“ Die Geschichte lehre, dass Appeasement-Politik kein Weg zur Beendigung solcher Kriege sei. Scholz ziert nun sogar das Cover des neuen „Time“-Magazins, was die SPD freudig vermerkt, da kommen ja in der Regel nur die großen Lenker und Hoffnungsträger drauf.

Aber die Story ist nicht besonders positiv, auch hier geht es um seine Art der Führung – und welche Rolle Deutschland unter diesem Kanzler in Zukunft einnehmen kann.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch betont später in seiner Rede mit Blick auf Scholz‘ Kehrtwende und grünes Licht für Gepard-Panzer: „Die Jungs und Mädels haben sich tatsächlich durchgesetzt.“ Und zusätzlich habe Merz ihn erpresst, denn Scholz braucht die Union für die Grundgesetzänderung zur Schaffung des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr. Bartsch kritisiert, das Motto laute bei vielen Abgeordneten nur noch: „Höher, schneller, weiter: Wer liefert die schwersten Waffen?“

Nicht im Bundestag, sondern in Japan. Kanzler Scholz mit Japans Premier Fumio Kishida.
Nicht im Bundestag, sondern in Japan. Kanzler Scholz mit Japans Premier Fumio Kishida.

© Shuji Kajiyama/AFP

Der schärfste Konter zu Merz kommt vom SPD-Chef. Lars Klingbeil geht anders als der sich am Kanzler abarbeitende Merz erstmal auf den Krieg, das Leid der Ukrainer, auf Wladimir Putin ein. „Er wird als Kriegsverbrecher in die Geschichte eingehen.“

Dann meint Klingbeil zu Merz, eigentlich habe er hier auf seinem Zettel „Dank an die Union“ stehen, für den gemeinsamen Antrag. „Herr Merz, das hätte heute eine staatspolitische Rede werden können.“ Stattdessen betreibe er parteipolitische Spielchen.

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Die SPD habe 2009 nach dem Gang in die Opposition die Regierung bei Bundeswehr-Mandaten, den Euro-Rettungsschirmen unterstützt. „Wir haben nach dem Prinzip gehandelt: Erst das Land, dann die Partei.“

Der CDU-Politiker Johan Wadephul kontert dies dann wiederum so: „Sie haben von einer staatspolitischen Rede gesprochen, Herr Klingbeil, diese staatspolitische Rede hätte der Bundeskanzler heute hier halten müssen.“ Und bei Gerhard Schröder gelte ja wohl: „Erst das Konto, dann das Land.“

SPD-Chef Lars Klingbeil verteidigt den abwägenden Kurs.
SPD-Chef Lars Klingbeil verteidigt den abwägenden Kurs.

© Fotostand

Und so bleibt die Lage für den Kanzler diffizil. Die Gepard-Entscheidung - es geht um maximal 50 der Flugabwehr-Panzer, die vom Konzern Krauss-Maffei-Wegmann ertüchtigt werden sollen - und auch eine vielleicht folgende für Marder-Panzerlieferungen, wirken wie ein Ventil, das geöffnet wird. Auch wenn die SPD da große Bauchschmerzen hat. Aber sie könnten sich als Luftnummern entpuppen.

Die Gepard- und Marder-Munition wurde in der Schweiz produziert. Das Land verbietet aber gemäß seiner Neutralität die Ausfuhr für einen Einsatz in der Ukraine. Und könnte dies angeblich auch bei Brasilien tun, da das Land die Munition aus der Schweiz bezogen hat. Das südamerikanische Land hatte über 30 Gepard-Panzer gekauft, um Stadien bei der Fußball-WM 2014 etwa gegen Drohnen zu schützen. Und so könnte es noch sehr lange dauern, bis sie in der Ukraine zum Einsatz kommen könnten.

Die Einzige, die an diesem Tag doch noch neue Brücken baut, ist Strack-Zimmermann. Die FDP-Verteidigungspolitikerin hatte Scholz besonders hart angegangen, gesagt, dass er vielleicht zur falschen Zeit am falschen Platz sei.

Nun streckt sie die Hand Richtung SPD aus, zitiert Willy Brandt am Ende einer emotionalen Debatte: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“

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