zum Hauptinhalt
Menschen, die in Griechenland an Waldrändern wohnen, verloren in den vergangenen Tagen durch die Feuer alles.

© dpa

„Die Hitze verwandelt das Land in ein Pulverfass“: Die Feuer werden zur Katastrophe – und es kommt noch schlimmer

Hunderte Brände wüten in Südeuropa, vernichten Wälder, bedrohen Ortschaften und Menschen. Die Bedingungen helfen den Flammen, sich weiter schnell auszubreiten.

Selbst die Hauptstadt ist nicht sicher. Beißender Geruch erfüllt sie, dicke Rauchschaden bedecken am Freitagmorgen den Himmel über Athen. Sie rühren von den Feuern in den Außenbezirken im Norden der griechischen Hauptstadt.

Hunderte griechische Feuerwehrleute, unterstützt von 92 Franzosen, kämpften die ganze Nacht, um die Brände von der Stadt fernzuhalten. Tausende wurden dort evakuiert. Doch es ist nur einer von hunderten Bränden im ganzen Land und einer von hunderten im Südosten Europas. Griechenland, Türkei, Bulgarien, Italien, überall steht die Natur in Flammen – eine Katastrophe ungekannten Ausmaßes, die immer mehr Menschen betrifft.

Wie gefährlich können die Feuer noch werden?

Kyriakos Mitsotakis, der griechische Ministerpräsident, schwor die Menschen bereits auf harte Tage ein. „Wir haben mit Dutzenden Waldbränden zu kämpfen. Drei davon – in Athen, auf dem Peloponnes und auf Euböa – sind von gewaltigem Ausmaß“, sagte Mitsotakis im Staatsfernsehen. Er warnte vor einem „noch nie da gewesenen Zustand, weil die vergangenen Tage der Hitze und Trockenheit das Land in ein Pulverfass verwandelt haben“. Allein binnen 24 Stunden gab es in Griechenland 90 neue Waldbrände.

Und ein Ende der Entwicklung ist derzeit nicht in Sicht, denn frühestens am 12. August könnte es regnen. Auch die Temperaturen bleiben hoch, erreichen in den kommenden Tagen in Griechenland und der Türkei mitunter fast 40 Grad. Dazu bleibt es windig, was den Flammen hilft, sich schneller auszubreiten – und längst zu einem Anfachen der Brände in den westtürkischen Küstenregionen Antalya, Marmaris, Bodrum und Milas führte. Die ersten Viertel in Milas wurden am späten Donnerstagabend evakuiert.

Welche Rolle spielt der Klimawandel bei den Waldbränden?

„Durch den Klimawandel steigt das Risiko von Waldbränden in Europa, wie wir sie zurzeit erleben“, sagt die Waldökologin Tanja Sanders vom Thünen-Institut in Eberswalde. „Lange Trockenheit und hohe Temperaturen begünstigen vermehrte Waldbrände.“ Gerade in Kiefernwäldern, wie sie in der Türkei und Griechenland typisch sind, sammelten sich in regenlosen Zeiten viel Totholz und trockene Äste – „solche Bedingungen sind für den Waldbrand optimal, weil viel Brennmaterial herumliegt“. In feuchten Zeiten hingegen stehe der Unterwuchs im Saft und Brände seien eher unwahrscheinlich.

[Mehr zum Thema: „Wir haben alles gepackt“: Wie eine griechische Familie die schweren Waldbrände erlebt (T+)]

„Auslöser für Waldbrände sind weniger Blitze, sondern vielmehr der Mensch. Die meisten Feuer gehen auf Brandstiftung oder Unachtsamkeiten zurück.“ Dazu zähle zum Beispiel das Grillen im Wald, heiße Asche auszukippen oder brennende Zigaretten auf den Boden zu werfen. „Ob es durch den Klimawandel am Ende mehr Waldbrände in Europa gibt, hängt deshalb auch von den ergriffenen Maßnahmen ab“, sagt Waldexpertin Sanders. Zu einem guten Katastrophenschutz gehöre es auch, ausreichend Löschflugzeuge bereitzustellen und die Feuer rechtzeitig zu erkennen.

Verstärken die Brände den Klimawandel sogar?

„Für das Klima sind die vielen und großen Waldbrände in der Mittelmeerregion eine Katastrophe“, sagt Douglas Godbold, Professor für Waldökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien, und fügt an: „Die Wälder können nicht mehr Kohlendioxid binden und verlieren ihre Funktion als natürliche CO2-Senke.“ Dabei seien Wälder gleich nach den Ozeanen das wichtigste Ökosystem an Land, um CO2 aus der Luft zu absorbieren. Vor allem in der Mittelmeerregion besteht laut Godbold die Gefahr, dass die Wälder nicht mehr nachwachsen und auch in Zukunft kein CO2 mehr binden. „In der Türkei zum Beispiel stehen viele Wälder auf steilen Hängen oder in felsigen Landschaften“, sagt Godbold. „Nach einem großen Brand trägt der Regen den fruchtbaren Boden ab – und dann können sich die Wälder auch in den nächsten paar Hundert Jahren nicht mehr regenerieren.“

Ausgebrannt. Die Menschen haben oft nur wenig Zeit, vor den Flammen, wie hier bei Afidnes, zu fliehen.
Ausgebrannt. Die Menschen haben oft nur wenig Zeit, vor den Flammen, wie hier bei Afidnes, zu fliehen.

© Angelos Tzortzinis/dpa

Dabei setzt die Europäische Union im Kampf gegen die Klimakrise auch auf massive Aufforstung. „Wenn wir solche Waldbrände haben, ist Aufforstung eine Sisyphusarbeit. Dann richten die Behörden mit großem Aufwand einige Hektar Wald her und gleichzeitig brennt doppelt so viel Fläche Wald wieder ab.“

Wie hilft die EU – und was unternimmt Deutschland?

Bereits am 3. Juli ging nach Angaben eines Sprechers der EU-Kommission ein Hilferuf aus Zypern ein. Drei Wochen später kamen Hilfegesuche aus Italien, dann aus den Nicht-EU-Mitgliedern Türkei, Albanien sowie Nordmazedonien und schließlich aus Griechenland hinzu. Die EU verfügt über einen Katastrophenschutzmechanismus, über den betroffene Staaten Hilfe anfordern können. Zudem gibt es eine Flotte von Löschflugzeugen namens „rescEU“, deren Stationierung zu 75 Prozent von der EU-Kommission gefördert wird.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zur Bekämpfung der Brände in der Türkei wurden drei Flugzeuge aus Spanien und Kroatien in die Touristengebiete von Antalya und Mugla geschickt. Polen beteiligte sich mit einem Hubschrauber. Griechenland kann angesichts der Feuer auf die Hilfe aus zahlreichen Staaten zurückgreifen. Unter anderem beorderte die EU zwei Löschflugzeuge aus Zypern auf die Insel Rhodos. Auch Schweden, Frankreich, Kroatien und Rumänien schickten Feuerwehrleute und Löschflugzeuge in die Region.

Deutschland hingegen hat bisher keine Hilfe geschickt, aktuell wird aber geprüft, ob ein Bundesland Einsatzkräfte der Feuerwehr nach Griechenland entsenden kann. „Die genannten Staaten haben überwiegend um Unterstützung durch Löschflugzeuge gebeten, über die Deutschland nicht verfügt“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums.

Welche politischen Auswirkungen haben die Feuer?

Bei Betroffenen in Griechenland wird mittlerweile auch Kritik laut. Doch Oppositionsführer Alexis Tsipras von der linksgerichteten Syriza-Partei hielt sich bislang zurück und beschränkte sich darauf, seine Unterstützung für die Feuerwehrleute zum Ausdruck zu bringen. Der Schutz von Menschenleben habe in diesen Tagen absoluten Vorrang, so Tsipras. Der griechische Premier Mitsotakis kündigte derweil bereits Hilfen und Entschädigungen an und versprach die Aufforstung verbrannter Gebiete. Man müsse das Land angesichts des Klimawandels „panzern“.

Wand aus Feuer. Feuerwehrleute kämpfen in der Nähe von Athen gegen die Flammen.
Wand aus Feuer. Feuerwehrleute kämpfen in der Nähe von Athen gegen die Flammen.

© Marios Lolos/XinHua/dpa

Dafür kämpft einer, der schon lange warnt. Klimaforscher Christos Zerefos ist Chef der griechischen Akademie für Forschung und Innovation. Beunruhigend detailliert hat er die jetzige Feuersbrunst vergangene Woche angekündigt. „Wenn dann noch ein Wind mit sechs bis acht Beaufort weht, wie wir es in der Ägäis gewohnt sind, breiten sich die Feuer über große Entfernungen aus“, prognostizierte er vor kurzem im Fernsehsender Skai. Er sollte Recht behalten.

Warum versagt die türkische Regierung im Umgang mit den Bränden?

Für den Kampf gegen die Flammen nutzten die türkischen Einsatzkräfte nach eigenen Angaben 16 Löschflugzeuge, 56 Hubschrauber, 850 Lösch- und 150 Räumfahrzeuge. Sogar Wasserwerfer der Polizei kamen zum Einsatz. Doch bei den Löschflugzeugen stützt sich die Türkei ganz auf Maschinen aus dem Ausland, weil Ankara keine einsatzfähigen Flugzeuge hat. Deshalb stand am ersten Tag der Waldbrände nur ein von Russland gemietetes Flugzeug zur Verfügung – zu wenig für die Feuer, die sich wegen Trockenheit und starker Winde schnell ausbreiteten. Zeitweise brannte es an mehr als 100 Stellen, mehrere tausend Hektar Wald und ganze Dörfer wurden vernichtet. Präsident Recep Tayyip Erdogan verweist darauf, dass die Waldbrände in diesem Jahr viel schlimmer seien als in früheren Sommern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Doch die türkische Opposition wirft der Regierung vor, die Katastrophe mitverschuldet zu haben. Seit Jahren sei der Brandschutz vernachlässigt worden, unter anderem dadurch, dass die staatlichen Löschflugzeuge eingemottet wurden. Kritiker verweisen auch auf die rücksichtslose Bebauung der Küstenregionen, wo schon in normalen Zeiten das Wasser knapp wird.

Außerdem steht Erdogans Regierung in der Kritik, weil sie in der Krise Parteipolitik betrieb. Minister und Gouverneure trafen sich in den Unglücksgebieten zu Besprechungen, luden die Bürgermeister der betroffenen Städte aber nicht zu den Sitzungen ein, weil sie der Opposition angehören. Und Erdogan? Er schob die Schuld an den Bränden dagegen den oppositionsregierten Kommunen an den Küsten zu.

Zur Startseite