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Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

© AFP/Ronny Hartmann

Die Grünen unter Feuer: Der Benzinpreis-Streit ist Baerbocks erste Bewährung im Wahlkampf

Die Aussage über den Benzinpreis wird im Wahlkampf sofort gegen die grüne Kanzlerkandidatin verwendet. Für Annalena Baerbock ist das gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Das, was Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin gerade passiert - dass eine Aussage von ihr gegen sie gerichtet wird - erinnert daran: Wahlkampf ist Kampf. Ist Kampf um Deutungshoheit. Um Stimmen, um Prozente, Macht. Und wie weiß der weise Philosoph? Nicht Taten bestimmen die Menschen, sondern Worte über die Taten. Oder eben Worte, die man unterlässt oder unterschlägt.

So machte beispielsweise Heiner Geißler früher legendär Wahlkampf für die CDU. Entsprechend erfährt Baerbock heute, dass ihr Satz von den 16 Cent mehr auf einen Liter Treibstoff vom politischen Gegner sofort nur als Aufschlag kritisiert wird - der Ausgleich über eine Bürgerversicherung aber unerwähnt bleibt. Oder unterschlagen wird, könnte man auch sagen, absichtsvoll dazu.

Damit daraus etwas entsteht wie weiland mit den fünf Mark, die ein Liter kosten solle. Das hatten die Grünen auf dem Parteitag 1998 gefordert - und danach zehn Prozent verloren. Eine Abrisskante fürs Momentum.
Auch andere Parteien kennen das, die Gefahr durch subjektive Wahrnehmung, durch verkürzte Argumentation. Wer da nicht aufpasst, verliert. Schon vor Jahren, Jahrzehnten ging das Spitzenkandidaten so, in gleich welcher Partei.

[Mehr zum Thema: Das Netzwerk von Annalena Baerbock: Von der Aufpasserin bis zum Strippenzieher – das ist die grüne Machtmaschine (T+)]

Einerseits ist das ein indirektes Kompliment: Sie werden für so groß gehalten, dass man sie mit solchen Mitteln kleiner zu machen versucht. Baerbock könnte das so verstehen. Ihr wird offenbar zugetraut, in die Nähe des Kanzleramts zu kommen. Andererseits ist es trotzdem gefährlich, denn irgendwas bleibt immer hängen. In diesem Fall das Falsche.

Das kennt man aus amerikanischen Wahlkämpfen

Man kann es also besser wissen, längst schon. Und zwar nicht zuletzt aus den amerikanischen Wahlkämpfen. Die kennt übrigens ausgerechnet ein Grüner besonders gut: Reinhard Bütikofer. Der ehemalige Bundesvorsitzende hat sich oft in den USA umgetan.

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Außerdem gab es bereits Dokumentarfilme darüber, zum Beispiel „Die Kommandozentrale / The War Room“. Die Filmemacher begleiteten den Wahlkampfstab von Bill Clinton im Jahr 1992, beginnend bei den New-Hampshire-Vorwahlen. Sie zeigten Wahlkampf in der vordersten Reihe, an der Front, mit Themensetzung und Kommunikation, darunter Abwehr von Angriffen und eigenen Attacken. Das Mantra: immer wach, und kein Fußbreit wird preisgegeben.

Was heißt das übersetzt auf die Zeiten heute und bei uns? Keine Aussage darf verdreht oder verkürzt stehen bleiben. Erst recht nicht, wo die sozialen Netzwerke atemberaubend geschwinde Verbreitung schaffen. Das ist zum einen inhaltlich geboten, weil inhaltliche Vollständigkeit erst das umfassende Urteil ermöglicht. Zum anderen, weil Unvollständigkeit den Eindruck mangelnder gedanklicher Reife und Tiefe weckt.

Wer gewinnen will, muss satisfaktionsfähig sein. Muss einstecken, aushalten und austeilen können. Denn: „Nicht Armeen, nicht Krieg, nicht Zwang - sondern das Wort kann den Lauf der Dinge prägen.“ Sagte Frank-Walter Steinmeier, und der hat das erlebt. Er war auch mal Kanzlerkandidat.

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