zum Hauptinhalt
Der Traum vom Einfamilienhaus erlebt in der Pandemie eine Renaissance.

© imago images/Priller&Maug

Die Grünen und das Einfamilienhaus: Warum der Kulturkampf um das Einfamilienhaus sinnlos ist

Für die einen bedeutet es die große Freiheit, für die anderen piefige Spießigkeit. Das Einfamilienhaus polarisiert - eigentlich zu unrecht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Im Kulturkampf um das „richtige Leben“ könnte das Einfamilienhaus im Wahlkampfjahr 2021 den SUV ablösen. Das zeigt die Aufregung um ein Interview des Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter.

Begonnen hat das Scharmützel, das derzeit zwischen Grünen und Unionsparteien ausgetragen wird, in Hamburg. Der grüne Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord hatte schon bei Amtsantritt Anfang 2020 erklärt, dort würden in Zukunft keine Einfamilienhäuser mehr genehmigt: zu wenig energieeffizient und zu viel Flächenverbrauch für zu wenige Wohneinheiten. Der Chef des dortigen Wirtschaftsrates bezeichnete das zum „Traum linker Ideologen“, die Grünen wollten den Deutschen das Eigenheim verbieten.

Auch für die Hamburger CDU ist das ein Kulturbruch. Der Landesvorsitzende Christoph Ploß, erklärte die Grünen für nicht koalitionsfähig. Hofreiter wurde nun nach dem Hamburger Streit gefragt – und so fand das Kulturkampfmittel Einfamilienhaus den Weg in die Bundespolitik, wo ihm offenbar eine große Karriere bevorsteht.

Beim Einfamilienhaus geht es um das Sein und die Gefühle

Mit echter Politik hat dieses Scharmützel zunächst wenig zu tun – dabei wäre sie hier so wichtig. Doch ebenso wie beim SUV geht es bei Einfamilienhaus eher um das Sein und die Gefühle.

Das Einfamilienhaus ist für viele Menschen noch immer das große Versprechen der Bundesrepublik. Es ist ein Symbol für das Angekommen-Sein im Leben, für Aufstieg, bescheidenen Wohlstand, Sicherheit und Freiheit zugleich. Für viele steht es für das Ende der Nomadenjahre, man schafft ein Fundament für die Beziehung, die Kinder, die Altersvorsorge. Alle Unebenheiten und Ungereimtheiten sind jetzt zugepflastert wie die Einfahrt, der Alltag so energieeffizient wie die bodentiefen Fenstern, das Leben einbruchsicher.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Für viele erwachsen gewordene Mittelschichtkinder bedeutet der Einzug ins Einfamilienhaus die Rückkehr in die Kindheit. Sie sind großgeworden auf der Spielstraße und jetzt zurück auf der Spielstraße. In der Pandemie haben sich viele daran erinnert (plötzlich mit dem Nachwuchs eingepfercht in die Großstadtetagenwohnung, die coolen Elterncafés geschlossen) wie einfach früher alles war, als die Kinder einfach am Feldrand spielten, ganz ohne Playdates. Für viele Mittelschichtfamilien hat die Pandemie die Vorstellung von Freiheit verändert: Viele sehnen sich nach zehn Minuten kinderlärmfreiem Atmen mit unverstelltem Blick. Das große Versprechen der Bundesrepublik erlebt eine Renaissance. Wer könnte das verübeln?

Wofür steht das Einfamilienhaus: Für die Freiheit am Hochbeet? Oder lächerliche Pseudo-Autarkie?

Gleichzeitig ist es ebenso leicht, über die Lebensform Einfamilienhaus die Nase zu rümpfen, über die Einförmigkeit dieser bürgerlichen Freiheit, die glasierten blauen Dachziegel, die Pseudo-Autarkie der Hochbeete, den Retro-Bulli im Carport (= die Illusion, dass man hier jederzeit wieder wegkann). Die Kritik und das Verzweifeln an diesem Leben und seiner Ästhetik hat eine eigene Kunstform hervorgebracht.

Der Sänger Bernd Begemann hat ein Lied über die Deutsche Siedlung geschrieben, die er statistisch korrekt zwischen Hochspannungsmasten, Bundesstraße und Waldrand verortet. Darin heißt es: „Der Wind in unserer Siedlung hat einen eigenen Geruch / man kann ihn lesen wie ein Buch / es riecht nach gewaschenen Autos / nach Bratkartoffeln und enttäuschter Hoffnung / nach frisch ausgepackten Möbeln / und nach sexuellen Tragödien.“ Der Titel ist „Deutsche Hymne ohne Refrain“. Zu Recht.

Beste Voraussetzungen, ein Kulturkämpfchen vom Maschendrahtzaun zu brechen

Das Einfamilienhaus ist Sinnbild der deutschen Normalität, 31 Prozent der Deutschen leben so. Fast jeder hat eine Beziehung zu dieser Lebensform. Wir kennen sie alle, weil wir so leben oder weil wir gern so leben wollen oder weil wir auf keinen Fall so leben wollen. Kurz: Das Einfamilienhaus stellt schon immer eine hochemotionale Seinsfrage und gerät nun in den Fokus der nachhaltigen Gesellschaftstransformation. Beste Voraussetzungen also, einen Kulturkämpfchen vom Maschendrahtzaun zu brechen. Strategisch mag das sinnvoll erscheinen. In der Sache aber ist es fahrlässig.

In Wahrheit gibt es den Antagonismus nicht, den die Union jetzt fabriziert

Denn in Wahrheit gibt es den Antagonismus nicht, den die Union jetzt ausmachen will – und wer das Hofreiter-Interview des Anstoßes in Gänze liest, findet darin wenig Rigorismus, aber eine ganze Menge vernünftiger Argumente.

Das Einfamilienhaus ist nicht per se schlecht, das sagt auch Hofreiter nicht. Es kann ein gut per ÖPNV angebundenes Passivhaus sein, das eine entvölkerte Brandenburger Ortschaft wiederbelebt. Es kann aber auch im Nirdendwo einstöckig einen Acker zubauen. Tatsächlich verbraucht der Einzelne mehr Fläche, mehr Baustoffe, und oft mehr Energie, wenn er im Einfamilienhaus lebt. Er oder sie hat, vielleicht, einen weiteren Weg zur Arbeit, den er, wenn der öffentliche Nahverkehr fehlt, oft mit dem Auto zurücklegen muss.

Das Einfamilienhaus kann ein Passivhaus mit Bahnanbindung sein - oder sinnlos im Nichts stehen

Die Aufgabe von Politik ist es, Alternativen aufzuzeigen und sinnvolles Wohnen zu fördern – für jeden Ort das Richtige. Es gilt also, nachhaltige und soziale Formen familiengerechten Wohnens zu fördern und Alternativen zum Haus auf dem Acker aufzuzeigen: Baugebiete gleich mit neuen Bus- und Bahnlinien zusammen zu planen. Stadtnah Gebäude zu genehmigen, die mehrstöckig sind, aber umbaute Höfe oder Spielstraßen umschließen, um sichere Plätze für Kinder zu schaffen. Ortschaften am Stadtrand mit schnellen Internetverbindungen zu versorgen und Homeoffice zu fördern, damit die Fahrt zur Arbeit vielleicht gar nicht erst nötig ist. Innerstädtische Modellprojekte zu fördern.

Das ist auch eine soziale Frage. Weiterhin ist Bauen in Großstädten für große Unternehmen so attraktiv und renditeträchtig, dass es ein Leichtes wäre, ihnen große Innenhöfe, Sozialwohnungsanteile und große Grünflächen abzutrotzen. Dafür bräuchte es eine kluge, ressortübergreifende Politik, ein gutes Netzwerk zwischen Bürgermeisterinnen in Umlandkommunen und Politikern in den Städten, ökologisch und sozial sinnvolle Förderprogramme. Den Kulturkampf zu führen ist natürlich einfacher.

Zur Startseite