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Eigensinnig. Aiwanger verärgert auch die eigenen Parteifreunde.

© Peter Kneffel,dpa

Die Freien Wähler wollen in den Bundestag: Aiwangers Kalkül mit der Impfskepsis

Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger ist eine Belastung für Ministerpräsident Söder geworden. Doch der kann die Koalition jetzt nicht platzen lassen.

In Bayern ist Hubert Aiwanger mit seinen ablehnenden Aussagen zum Impfen zu einer großen Belastung für die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern (FW) geworden. Nun sorgt der FW-Chef und Wirtschaftsminister auch bundespolitisch mehr und mehr für Aufregung. Ganz verschiedene Politiker bringt er in ein Dilemma. Wie umgehen mit dem Mann, der sich mit Blick auf die Teilnahme an der Bundestagswahl deutlich in Richtung von Corona-„Skeptikern“ begibt?

In einem Interview hatte Aiwanger in der vergangenen Woche so ziemlich alle Register gezogen, um sich als Gegner der Corona-Politik sowohl im Freistaat als auch im Bund zu profilieren. So sprach er von einer „Jagd“ auf Ungeimpfte. Die „Minderheit“ werde „in eine Richtung frisiert“. Er wendete sich gegen die „Einheitsspritze für alle“. Auch werde er „als Werbeträger“ zur Impfung bedrängt, dies erwarte das „politische Establishment“.

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) konterte rasch: Aiwanger glaube, „sich bei rechten Gruppen und Querdenkern anbiedern zu können“, damit verlasse er „die bürgerliche Mitte und nimmt am Ende selbst Schaden“. Denn die Bevölkerungsgruppen, nach denen der stellvertretende Ministerpräsident fischt, würden am Ende das Original wählen, nämlich die AfD. Söder stützt sich auf eigene Erfahrung, als er im Landtagswahlkampf 2018 kurzfristig mit nahezu fremdenfeindlichen Parolen die AfD einfangen wollte, aber viele Wähler in der Mitte verschreckte.

Auch die Wirtschaft stellt sich gegen den Minister

Söder mahnt und rügt seinen Stellvertreter beinahe jeden zweiten Tag. Ihn aber zu feuern und die Koalition platzen zu lassen, ist jetzt vor der heißen Wahlkampfphase nahezu unmöglich. Es gäbe auch kaum eine Alternative. Mit der SPD wäre das Regieren undenkbar, gelten die Sozialdemokraten im Freistaat doch als Verliererpartei. Die Grünen würden prinzipiell wohl mitmachen, doch wäre ihr Preis gerade jetzt sehr hoch.

Auch Teile der Wirtschaft stellen sich offen gegen den Minister, der für sie zuständig ist. So kritisiert der Bayern-Ableger des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft: „Aiwangers Kampagne steht nicht nur in krassem Widerspruch zu allen medizinischen Erkenntnissen.“ Sie ignoriere auch „völlig die wirtschaftlichen Gefahren einer neuen Verschärfung der Corona-Krise“.

Gegenwärtig stehen die FW im Bund bei drei Prozent. Aiwanger setzt darauf, bis zur Wahl im September auf fünf zu kommen. Wenn er bundesweit bekannt ist, wird er eher gewählt, so sein Kalkül. Aiwanger-Prozente gehen hauptsächlich auf Kosten von CDU/CSU. Dehalb betont Söder immer wieder, wer die FW wähle, mache eine zufällige Ampelkoalition aus Grünen, SPD und FDP wahrscheinlicher.

Die Basis willl nicht in Richtung Querdenker

Die Freien Wähler waren einmal ein vielversprechendes Projekt von Hubert Aiwanger. Aus bürgerlicher und ländlicher Perspektive griff er die CSU und damit das „politische Establishment“ an. Die FW als die wahren und redlichen Vertreter der konservativen Bevölkerung, und zwar ohne CSU-Amigo-Filz – das kam an und brachte die Christsozialen um die absolute Mehrheit.

Auf allen Ebenen sind die Freien Wähler nun in der Zwickmühle, denn in Richtung Querdenker wollen sie sich nicht ziehen lassen. Aus der Landtagsfraktion verlautete am Freitag vom Vorsitzenden Florian Streibl: „Wir sehen in der Impfung weiterhin den zentralen Baustein im Kampf gegen die Pandemie.“ An der FW-Basis äußert sich der Unmut deutlich lauter. Die Kreistagsfraktion in Starnberg etwa meint in einem Schreiben, dass es eines Wirtschaftsministers „unwürdig“ sei, „die notwendige Durchimpfung der Bevölkerung zu diskreditieren“. Aiwangers „abenteuerliche Argumentation“ entspreche „nicht der Identität der Freien Wähler“ und würde „nur noch als peinlich empfunden“.

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