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Was ist Gemeinnutz? Gemeinnützige Vereine hängen am Steuerrecht, das ist die falsche Adresse. Es bedarf einer verfassungspolitischen Antwort.

© picture alliance / dpa

Die Frage nach der Gemeinnützigkeit: Vereine und Wirtschaftsverbände nicht unterschiedlich behandeln!

Gemeinnützige Vereine, die sich politisch äußern, riskieren ihren Steuervorteil. Absurd! Wir brauchen dringend eine Debatte darüber. Ein Gastbeitrag.

Der Pulverdampf nach dem „Attac“-Urteil des Bundesfinanzhofs ist verraucht. Dem Verein wurde im Februar die Gemeinnützigkeit aberkannt. Die Reaktionen gingen von Empörung in der Öffentlichkeit, Verunsicherung in gemeinnützigen Organisationen bis zu Achselzucken bei den Finanzministern, die überwiegend keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehen. Letzteres ist nur nachvollziehbar, wenn man als Maßstab lediglich die Abgabenordnung und ihre Ausführungserlasse nimmt. Es fehlt der verfassungspolitische Blick.

Dabei ist die Frage maßgeblich, wie der Steuergesetzgeber und die Finanzverwaltung politische Aktivitäten gemeinnütziger Organisationen beurteilen sollen. Die Abgabenordnung setzt solche Wertungen um, bietet aber keine Wertentscheidungen an. Die enge Auslegung des Zwecks der „allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens“ durch den Bundesfinanzhof wirft für drei Gruppen von Organisationen die Frage auf, ob sie ihre Tätigkeit wie bisher fortführen können: für Organisationen, die sich auf einen gemeinnützigen Zweck berufen, aber nicht mehr abschätzen können, wie viel tagespolitische Einmischung künftig ein Risiko für die Gemeinnützigkeit ist.

Es geht um Teilhabe

Für Organisationen, die sich auf einen gemeinnützigen Zweck berufen, sich aber politisch zu anderen Themen äußern. Und für Vereine, die sich bei einer Vielfalt von Themen an der politischen Willensbildung beteiligen. Der Gesetzgeber muss die Frage beantworten, ob er hier eine liberalisierende Klarstellung will, die den Spielraum der politischen Betätigung sichert.

Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt sind das Recht der Parteien auf Chancengleichheit und das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung. Daraus folgen Transparenzpflichten für die Finanzierung der Parteien. Die steuerliche Behandlung von Berufs- und Wirtschaftsverbänden und gemeinnützigen Organisationen darf nicht zu einer Umgehung dieser Regelungen führen. Das Gemeinnützigkeitsrecht muss so reformiert werden, dass eine Umgehung der Regeln für die Parteien durch Zwischenschaltung angeblich gemeinnütziger Organisationen verhindert wird. Auf der anderen Seite ist die Vereinigungsfreiheit ein Grundrecht. Das Grundgesetz räumt Parteien die Mitwirkung an der politischen Willensbildung ein, aber kein Monopol darauf. Es gibt einen Satz im Attac-Urteil, der das nicht ausreichend würdigt: „Zudem ist es rechtsfehlerhaft, aus dem Verbot einer parteipolitischen Betätigung auf die Zulässigkeit anderer politischer Betätigungen zu schließen.“ Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Unzulässigkeit oder Beschränkung politischer Betätigung ist rechtfertigungsbedürftig. Nicht ihre Zulässigkeit.

Die Vereine brauchen Rechtssicherheit

Bei Berufs- und Wirtschaftsverbänden hinterfragen wir eine tagespolitische Einflussnahme nicht und räumen ihnen unabhängig davon Steuervorteile ein. Das Recht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung gebietet es, Organisationen nicht steuerrechtlich unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, ob sie sich für die Interessen einer Branche oder für ein allgemeines Ziel wie Umwelt- oder Brandschutz einsetzen. Deshalb sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass tagespolitische Einflussnahme von gemeinnützigen Verbänden im Rahmen der Verfolgung ihres Zwecks zulässig ist, soweit die parteipolitische Neutralität gewahrt wird und die Mittelverwendung nicht die Regelungen zur Parteienfinanzierung umgeht. Er sollte weiterhin klarstellen, dass gelegentliche Betätigung außerhalb des gemeinnützigen Zwecks zur selbstlosen Förderung des demokratischen Staatswesens oder anderer gemeinnütziger Zwecke für die Gemeinnützigkeit unschädlich ist. Und er sollte diskutieren, wie Rechtssicherheit für Organisationen wie den Bund der Steuerzahler geschaffen werden kann, die sich breit in politische Debatten einmischen.

In Zeiten, in denen die Zivilgesellschaft weltweit stärker unter den Druck von Regierungen gerät, wäre ein Signal aus Deutschland wichtig: Ein Signal des Vertrauens in die selbstbewusste, politische Öffentlichkeit und ein Signal der Ermutigung, sich für das Gemeinwesen einzusetzen und am demokratischen Streit mitzuwirken.

Lisa Paus, Manuela Rottmann

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