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Angeschlagen: Die Partei von FDP-Chef Christian Lindner kratzt in Umfragen an der Fünf-Prozenthürde.

© dpa

Die FDP scheitert an Corona: Gerade in Pandemiezeiten braucht es liberales Denken

Der politische Liberalismus hat viel erreicht. Auch heute ist ein liberaler Kompass mit Empathie gefragt. Nicht die starren Denkfolien der FDP. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Freiheit findet eigentlich jeder gut. Außer einigen Diktatoren und autoritären Regimen. Individuelle Freiheit ist der Kern des Liberalismus, zeitlos und universell.

Die FDP, die liberale Partei Deutschlands, und den gesamten organisierten Liberalismus finden aber nur wenige gut.

Dabei lautet deren Antwort meist: Freiheit. Leider wird dieser Begriff wie eine Keule geschwungen, und in der Praxis schrumpft er auf profane Forderungen wie Steuersenkung und Abschaffung des Soli zusammen. Das ist tragisch.

Denn liberales Denken und liberale Antworten sind gefragt. Ja, auch in Pandemiezeiten, in der es einen relativen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass dem Staat vorübergehend eine besondere Führungsrolle zukommt. In Zeiten, in denen der Protektionismus sich ausbreitet, in denen Sprechverbote verhängt werden.

Das vernünftige Abwägen von Argumenten, das Ausbalancierende - das ist liberal

Zunächst ist der Liberalismus eine humanistische Denkart, eine Geisteshaltung, das vernünftige Abwägen von Argumenten, ein Ausbalancieren: Das fehlt in unseren emotional aufgeladenen, teilweise erbarmungslos geführten gesellschaftlichen Debatten, die manchmal gar keine Debatten mehr sind, sondern in Ausgrenzung, Beschimpfung und Hass ausarten.

Gerade liberales Denken ist hier gefragt, weil es eben keiner Ideologie anhängt, weil es keine Heilsgewissheiten bietet. Man sehnt sich geradezu nach dem kühlen Kopf des Liberalen.

Erreicht hat der politische Liberalismus viel: Die Bundesrepublik ist eine liberale Demokratie, die Verfassung mit ihrer Gewaltenteilung und dem Schutz des Bürgers vor einem übermächtigen Staat ist liberal. Überflüssig ist eine liberale politische Kraft deshalb aber nicht.

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Doch auf Gebieten wie Soziales, Umwelt oder Staat reicht es nicht, alte Rezepte mantraartig hochzuhalten. Vielleicht hat die Globalisierung Nebenwirkungen, die man korrigieren möchte. Vielleicht drängt die Zeit beim Umweltschutz zu sehr. Ebenso wie bei der Gleichstellung.

Dann darf, dann muss ein freier Geist auch einmal neu denken. Ohne Angst vor Berührungsängsten. Zumal programmatische Erneuerung möglich ist, ohne liberale Prinzipien über Bord zu werden.

Freiheit ist auch Freiheit von Armut

Freiheit ist ja nicht nur die Freiheit von einem übergriffigen Staat. Freiheit ist auch die Freiheit von Armut, von Unsicherheit. Denn nur wenn elementare Bedürfnisse abgedeckt sind, kann der Mensch seine Möglichkeiten ausschöpfen und sich bestmöglich entwickeln. Daher ist es eine urliberale Idee, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Die Jungen Liberalen (Julis) knüpfen derzeit an die Idee des sozialen Aufstiegs an – denn die Essenz des Liberalismus ist ja nicht, Zahnärzte zu umgarnen, sondern dafür zu sorgen, dass jeder mit den richtigen Kompetenzen Zahnarzt werden kann. Das ist attraktiv. Soziales und Freiheit gehören zusammen. Sozialliberal eben.

Wenn der Schutz der Umwelt aus guten Gründen das beherrschende Thema einer Gesellschaft geworden ist – dann können sich die Liberalen freuen: Sie waren die Ersten, die Umweltschutz in einem Parteiprogramm verankert hatten.

FDP-Politiker der zweiten Reihe sollen nach vorn

Und da auch Liberale den Staat brauchen, damit er Rahmenbedingungen für das produktive freie Spiel der Kräfte setzt, sollten sie hier ansetzen: kein primitiver Beißreflex, kein automatisches Geschrei wegen „Verboten“. Ebenso in der Wirtschaft: Die liberale Theorie funktioniert ohne Staat nicht, er muss Monopole und Kartelle verhindern. Liberale müssen also auch dafür sorgen, dass der Staat funktioniert.

Nun muss eine politische Philosophie keine Wählerstimmen sammeln. Eine politische Partei sehr wohl. Taktische Spielchen, Schlagworte und flotte Sprüche sind hier leider zu oft die Antwort. Dabei wird der Liberalismus ramponiert, und es funktioniert ohnehin nicht.

Ein klarer liberaler Kompass gepaart mit Empathie und Offenheit ist gefragt – viele liberale Politiker der zweiten Reihe haben ihn. Es wäre ein Segen, wenn sie und damit attraktives liberales Gedankengut wieder sichtbarer würden. Nur „Mut“, möchte man rufen.

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