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Politik: Die EU soll die Türkei nicht aufnehmen - sie muss ihr ein anderes Angebot machen (Kommentar)

Die Türkei wird auf dem EU-Gipfel in Helsinki am Ende dieser Woche möglicherweise zum EU-Beitrittskandidaten werden. Keine Angst, so lautet die Beschwichtigungsformel, das hört sich dramatischer an, als es ist.

Die Türkei wird auf dem EU-Gipfel in Helsinki am Ende dieser Woche möglicherweise zum EU-Beitrittskandidaten werden. Keine Angst, so lautet die Beschwichtigungsformel, das hört sich dramatischer an, als es ist. Bevor die Türkei EU-Mitglied werden kann, dürften zwanzig oder dreißig Jahre vergehen, vielleicht mehr. Oder die Türkei kehrt von sich aus der EU wieder den Rücken, ernüchtert durch die Prosa des Brüsseler Gemeinschaftswerks. Aber warum macht die EU der Türkei dann überhaupt Hoffnungen? Die EU will zu viel auf einmal, bevor sie überhaupt weiß, was sie werden will.

Sollte nämlich der Kandidatenstatus für die Türkei mehr sein als ein symbolischer Akt von politischem Good-will, dann müsste die EU im kommenden Jahr mit Ankara genauso ernsthaft über einen Beitritt verhandeln wie mit den übrigen zwölf Beitrittskandidaten. Davon wiederum kann keine Rede sein. Der EU geht es nicht um einen Beitritt der Türkei, sondern in erster Linie um ein taktisches Ziel: In Ankara soll sich bloß nicht der Eindruck verfestigen, bei der EU handele es sich um einen "Club der Christen". Wer sich noch an die giftigen Wortwechsel zwischen der Kohl-Regierung und dem damaligen türkischen Premier Mesut Yilmaz erinnert, ahnt die emotionale Aufladung des Themas. Kohls Nachfolger Gerhard Schröder möchte die Türkei nun heranführen, einbinden, Wandel durch Annäherung praktizieren. Der Kandidatenstatus für die Türkei ist aber das falsche Mittel, um das Verhältnis zwischen EU und Türkei zu entkrampfen.

Für eine stärkere Einbindung der Türkei in einige Entscheidungsprozesse der EU gibt es natürlich gute Gründe. Auf dem Helsinki-Gipfel vollzieht sich die Ausdehnung der EU auf den Bereich der Verteidigungspolitik. Die logische Folge: Zwischen Brüssel und dem Nato-Partner Türkei wird es künftig erhöhten Abstimmungsbedarf über Umfang und Vorbereitung europäischer Verteidigungsmissionen geben. Aber längst nicht alle Nato-Staaten, die künftig an der Formulierung eines europäischen Verteidigungskonzeptes beteiligt werden müssen, sind auch zwangsläufig Mitglieder der EU - siehe Norwegen, siehe Island.

Vielleicht sabotiert ja auch Griechenland auf dem Gipfel in Helsinki per Veto die türkische Kandidatur. Damit wären die übrigen EU-Regierungschefs aus der Pflicht entlassen, ihren Schritt zu begründen.

Denn bei aller Kommuniqué-Rhetorik kommen sie nicht um die Gretchenfrage herum: Gehört die Türkei überhaupt zu Europa? Derzeit überwiegen die Gründe, die dagegen sprechen. Schließlich ändert auch die neue verteidigungspolitische Ausrichtung der EU nichts daran, dass es sich bei der EU nicht zuletzt um eine Kultur- und Wertegemeinschaft handelt. Selbstverständlich würde ein bevölkerungsreiches islamisches Land wie die Türkei die EU in ihrem Inneren verändern. Ob EU und Türkei überhaupt zusammengehören, ist erst in zweiter Linie eine Frage der Religion. Es geht vielmehr um die politischen Implikationen des Islam - und um die Frage, warum es die Demokratie in der islamischen Welt so schwer hat.

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