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Politik: Die Ersten müssen gehen

Es ist ein hochsensibles Thema, darum halten sich die Beteiligten bedeckt. Doch immerhin: In dem Skandal um den sexuellen Missbrauch von Flüchtlingskindern in Westafrika gibt es erste Konsequenzen.

Es ist ein hochsensibles Thema, darum halten sich die Beteiligten bedeckt. Doch immerhin: In dem Skandal um den sexuellen Missbrauch von Flüchtlingskindern in Westafrika gibt es erste Konsequenzen. "Einige Organisationen haben beschuldigte Mitarbeiter suspendiert", sagte Jennie Clark vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR dem Tagesspiegel. Um welche Organisationen es sich handelt und wieviele Beschuldigte ihrer Aufgaben entbunden sind, wollte die Sprecherin nicht sagen. "Die Untersuchungen sind in vollem Gange. Es ist schwierig, weil jeder Einzelfall überprüft werden muss." Daher sei auch nicht klar, wann ein Abschlussbericht der Untersuchungskommissionen vorliege. Katie Brewin von der britischen Hilfsorganisation "Save the Children" bestätigte, dass ihre Organisation im Zusammenhang mit dem Skandal den Vertrag mit einem Mitarbeiter aufgelöst und zwei freiwillige Mitarbeiter von ihren Aufgaben entbunden hat.

UNHCR und "Save the Children" hatten mit einem Bericht Ende Februar weltweit Entsetzen ausgelöst. Sechs Wochen lang hatten Ermittler insgesamt 1500 Zeugen, meist Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren, in Flüchtlingslagern in Sierra Leone, Guinea und Liberia befragt. Das Ergebnis: Etwa 70 Mitarbeiter von 40 Hilfsorganisationen sind verdächtig, Kinder sexuell missbraucht zu haben - nach dem Motto: Nahrungsmittel oder Medikamente nur gegen Sex. Auch gegen Blauhelmsoldaten wurden solche Vorwürfe erhoben. Um rechtliche Schritte einleiten zu können, müssten ausreichend Beweise gesammelt werden, erklärt Jennie Clark. Schließlich dürfe niemand unschuldig an den Pranger gestellt werden. Die Namen der betroffenen Hilfsorganisationen will das UNHCR daher erst nach Abschluss der Untersuchung veröffentlichen.

Trotz der eingeleiteten Nachforschungen und erster Verbesserungsvorschläge, wie den verstärkten Einsatz von weiblichen Mitarbeitern in den Camps, weisen Experten darauf hin, dass sich sexueller Missbrauch nie ganz eindämmen lassen wird. "In Bürgerkriegsländern wie Liberia oder Sierra Leone herrschen über Jahre Chaos und Gewalt", sagt Berthold Bös von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die in mehreren westafrikanischen Ländern Flüchtlingsprojekte betreut. Konkret bedeutet dies: Staatliche Strukturen existieren kaum noch, es entstehen rechtsfreie Räume, in denen jeder, der eine herausgehobene Stellung hat, quasi diktatorisch schalten und walten kann. "Da wird auch der Helfer, der Lebensmittel verteilt, zu einer mächtigen Figur. Die Flüchtlinge wissen doch gar nicht, was ihnen zusteht; sie sind völlig von den Helfern abhängig", sagt Uli Post von der Welthungerhilfe.

In einem solchen Umfeld ist Machtmissbrauch vorgezeichnet. "Wir sind seit langem für das Thema sensibilisiert, eine totale Kontrolle ist aber kaum möglich", sagen Bös und Post übereinstimmend. Doch hinter dem nun aufgedeckten Skandal steckt auch ein gesellschaftliches Problem: In den meisten westafrikanischen Ländern dürfen Mädchen offiziell schon mit 14 Jahren verheiratet werden - ein Großteil der Männer hält sexuelle Beziehungen zu sehr jungen Mädchen daher nicht für verwerflich. Und auch sexuelle Nötigung sei ein weit verbreitetes Phänomen, sagt Berthold Bös. So würden an den Schulen sehr viele Mädchen von ihren Lehrern missbraucht. "Ein Unrechtsbewusstsein gibt es bei den Männern kaum."

Die GTZ hat vor zwei Jahren einen Mitarbeiter wegen sexueller Missbrauchsvorwürfe entlassen. Bei einem zweiten Fall habe sich jedoch herausgestellt, dass eine Mitarbeiterin einen Kollegen belastet hatte, um ihn loszuwerden. "Doch es reicht nicht, aus einzelnen Vorfällen Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen das Übel grundsätzlicher angehen und langfristig die Abhängigkeit der Frauen beseitigen", sagt Bös. Ein erster Schritt sei, Frauen in Flüchtlingslagern die Möglichkeit zu geben, selbst Lebensmittel anzubauen.

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