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Psychische Erkrankungen gelten auch als häufigste Ursache für Frühverrentungen.

© dpa/Julian Straenschulte

Die erschöpfte Gesellschaft: Den ausgelaugten Menschen kommt keine Greta zu Hilfe

Klimaschutz ist auch dank Aktivisten wie Greta Thunberg eine politische Aufgabe geworden. Um die Grenzen des Menschen gibt es dagegen kaum Sorge. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Dass die Natur nicht unbegrenzt nutzbar ist, ohne Schaden zu nehmen, dürfte sich im Laufe des vergangenen Jahres als Erkenntnis durchgesetzt haben. Zumindest war die Debatte darüber, wo die Grenze zwischen vertretbarer Nutzung und zerstörerischer Ausbeutung verläuft, ein zentrales Thema des Landes. Wird der Druck auf die natürlichen Systeme zu hoch, fehlt ihnen die Zeit zur Erholung, zur Rekonvaleszenz, und es droht der Kollaps. Ein Crash, dem dann mit herkömmlichen Methoden nicht mehr beizukommen wäre.

Soweit zur Lage der Natur. Und wie steht es um den Menschen selbst? In obiger Problemlage tritt er vor allem als nimmermüder Unhold auf, der in seinem Streben nach Profit tagein, tagaus eine Spur der Verwüstung über den Planeten zieht. Und wie sieht es mit seiner Nutzbarmachung aus, mit den natürlichen Grenzen des Menschen?

Auch die scheinen bald erreicht zu sein, wie immer wieder neue Zahlen aus der Gesundheitsbranche belegen, sei es zu Depressionen oder Burnout oder wie zuletzt der Report der Barmer Krankenkasse zu Schlafproblemen.

Wie vielerorts der Natur fehlt auch vielen Menschen die Zeit für Regeneration, und die anhaltende Inanspruchnahme bringt ihn an seine Kipppunkte. Anders als bei der Natur, die inzwischen vom Gesetzgeber als politisches Handlungsfeld erkannt wurde, das – wenn auch mit höchst unterschiedlich bewertetem Erfolg – beackert wird, hat sich um den Zustand der Menschen bisher noch keine vergleichbar fundamentale Sorge etabliert.

Mehr noch: Während das kapitalistische Grundprinzip und das andauernde Wachstum im Kontext des Klimaschutzes in die Kritik geraten ist, gilt es im Umgang mit dem Menschen weiterhin recht unbarmherzig und unhinterfragt: Arbeitszeiten werden weiter entgrenzt, der Leistungsdruck steigt. Und nirgends eine Menschen-Greta in Sicht.

Anders als Pflanzen und Tieren können Menschen in eigener Sache aktiv werden

Nun zeigt die Vergangenheit, dass auch andere arbeitsverändernde Revolutionen zunächst bei den betroffenen Menschen Stressleiden ausgelöst haben, die sich dann irgendwann erledigten. Als mit der Erfindung und Ausbreitung der Elektrizität der natürliche Tag-Nacht-Rhythmus aufgehoben war, weil Menschen auch nachts noch im Hellen arbeiten konnten, diagnostizierte der Mediziner Heinrich Kisch eine sich ausbreitende Überforderung, deren Beschreibung sich wie ein Vorläufer zum heutigen Burnout liest.

„Die Zeit, in welcher die Dampfkraft das All beherrscht und jegliche Arbeit sich mit überstürzender Hast vollzieht, stellt auch die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der menschlichen Maschine“, schrieb er 1887 über die grassierende „Nervenschwäche“ und mahnte als Gegenmittel an, der „Bewegung im Freien, zweckentsprechender Gymnastik, genügende Zeit zu widmen, die Nacht aber der vollen Ruhe, ausreichend langem Schlafe zu bestimmen“.

Letzteres aber wird für eine zunehmende Zahl von Menschen, vor allem für jene in den Städten, zum Problem, was in den Worten von Kisch bedeutet, „was Wunder, dass die Maschine frühzeitig abgenutzt, dass die Nervenkraft leicht erschöpft wird“.

Die Klimaschützer von heute weisen zu Recht auf die warnenden Prognosen aus den 1970er Jahren hin, auf die Politik und Wirtschaft achselzuckend reagierten, so dass keine Vorsorgemaßnahmen, keine Kurskorrekturen stattfanden, die auf Schonung des Systems hinausgelaufen wären. Man machte weiter wie gehabt und dachte, es würde schon nicht so schlimm werden. Wurde es aber.

Wenn sich das nun auf den Umgang des Menschen auch mit seinesgleichen übertragen ließe, dann heißt das nicht weniger, als dass auch hier nicht auf institutionelles Vorsorgen zu hoffen ist, auf ein sanftes Umlenken zum Zwecke der Entlastung und Schonung des menschlichen Kräftehaushalts. Anders als Pflanzen und Tiere und meteorologische Gesetze können Menschen aber in eigener Sache aktiv werden.

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