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Reicht das? Karl Lauterbach ist in der Corona-Krise zum Berater von Kanzlerin Angela Merkel aufgestiegen.

© imago images/Jens Schicke

Exklusiv

„Die dritte Welle wird unterschätzt“: Lauterbach fordert sofortigen Corona-Gipfel – und harten Lockdown

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt voraus: Der härtere Lockdown wird ohnehin kommen – ihn jetzt zu beschließen, rette viele Menschenleben.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat Bund und Länder dazu aufgefordert, wegen der stark steigenden Corona-Infektionszahlen umgehend einen neuen Corona-Gipfel einzuberufen und einen harten Lockdown zu beschließen. „Wir müssen rasch nochmal neu verhandeln“, sagte Lauterbach in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“.

„Ohne einen scharfen Lockdown wird es nicht gehen“, betonte Lauterbach und verteidigte seine Forderung nach bundesweiten Ausgangssperren. „Ausgangsbeschränkungen ab 20 Uhr für zwei Wochen würden wirken – wir haben es in Frankreich, Großbritannien und Portugal gesehen.“ Je früher man entscheide, desto mehr Menschenleben würden gerettet.

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Um parallel zu einem härteren Lockdown die Infektionsrisiken gerade am Arbeitsplatz zu senken, pocht er auf eine Verordnung für eine sofortige Testpflicht für Betriebe und verpflichtendes Homeoffice, die Arbeitgeber müssten auch ihren Anteil endlich bringen. „Mich überrascht auch, dass die Gewerkschaften nicht mehr tun, um ihre Arbeitnehmer im Betrieb zu schützen, weil die Betriebe ein erhebliches Risiko darstellen“, sagte Lauterbach.

Bisher ist die nächste Bund-Länder-Runde erst für den 12. April geplant. In Länderkreisen wurden dem Tagesspiegel Überlegungen für ein früheres Treffen bestätigt. Demnach sei das auch bereits bei der kurzen Videoschalte am Mittwoch angesprochen worden, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Pläne für einen verschärften Oster-Lockdown zurückgezogen hatte, es gebe aber noch keinen Termin. Merkel hat dies vorgeschlagen, weil die Ministerpräsidenten sich gegen härtere Maßnahmen wie bundesweite Ausgangssperren gestellt hatten.

[„Wir müssen deutlich unter 100.000 Toten bleiben“: Abonnenten von T+ lesen hier das komplette Interview mit SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.]

„Es wird allgemein im politischen Berlin zu wenig über die Gefahren gesprochen“, kritisierte der Epidemiologe Lauterbach, der Merkel und die SPD-Ministerpräsidenten in der Pandemie berät. „Es wird viel zu wenig über die Stärke der dritten Welle gesprochen, welche Altersgruppen das betrifft und wie gefährlich die Mutationen für die mittleren Altersgruppen sind.“ Vor allem aber werde zu wenig über Langzeitfolgen kommuniziert – „das betrifft ja bis zu zehn Prozent der Infizierten, also aktuell bis zu 250.000 Menschen“.

Aber das Wort der Wissenschaft habe leider wegen des Öffnungsdrucks an Gewicht verloren hat und das in einer Phase, wo sie mehr denn je gebraucht werde. Dahinter liege der Fehlglaube vieler Politiker, dass sich die Lage bald durch das bessere Wetter, die Impfungen und flächendeckende Tests von selbst erledigen könnte.

„Die dritte Welle wird politisch und medizinisch unterschätzt. Man steigt aus dem Boot und will den Rest bis zum Land schwimmen – dabei überschätzt man aber, wie gut man schwimmen kann“, sagte Lauterbach.

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Angesichts der steigenden Zahl an Corona-Infektionen in Deutschland wächst auch von anderer Seite der Druck auf Merkel und die Ministerpräsidenten, doch noch einmal härtere Einschränkungen zu erwägen. „Es gibt sehr deutliche Signale, dass diese Welle noch schlimmer werden kann als die ersten beiden Wellen“, sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag in Berlin.

Zu den Neuinfektionen sagte Wieler: „Das können dann auch 100 000 pro Tag werden.“ Wieler machte deutlich, dass er aus infektionsmedizinischer Sicht schärfere Auflagen für nötig hält: „Wir hatten einen Lockdown, der diesen Namen verdient, letztes Jahr im Frühjahr.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte: „Wenn das ungebremst weitergeht, laufen wir Gefahr, dass unser Gesundheitssystem im Laufe des April an seine Belastungsgrenze kommt.“ Auch Mediziner betonen, dass schon in wenigen Wochen die Krankenhäuser an ihre Grenzen kommen könnten, weil jetzt nicht mehr die geimpften alten Bürger auf den Intensivstationen landen, sondern vor allem 50- bis 60-Jährige, die in der Regel länger dort liegen.

Spahn sagte, Umfragen zeigten, es gebe in der Bevölkerung einen steigenden Anteil, der sich härtere Maßnahmen wünsche. Nach dem Politbarometer von ZDF und Tagesspiegel ist das bei 36 Prozent der Befragten der Fall; ein Plus von 18 Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat. Für 31 Prozent sind die Maßnahmen „gerade richtig“, 26 Prozent halten sie für übertrieben.

Spahn bereitet Bürger auf „Tortur“ vor

Auch zahlreiche Virologen pochen auf mindestens zweiwöchige Einschränkungen mit strikten Ausgangssperren, da die Kontakte im privaten Bereich als größter Pandemietreiber gelten. Der Gesundheitsminister appellierte an die Bundesländer, die vereinbarte Notbremse bei hohem Infektionsgeschehen konsequent anzuwenden und äußerte sich angesichts des steigenden Infektionsgeschehens kritisch zu den in einigen Ländern geplanten Modellregionen. Die Bürger bat er, sich an Ostern sowie davor und danach idealerweise nur draußen mit anderen zu treffen. Das Eindämmen von Ansteckungen bleibe auch bei anziehenden Impfungen wichtig. „Je höher die Inzidenz, desto weniger hilft das Impfen, um die Zahlen zu drücken.“

Dieses Osterfest sei noch nicht wieder so zu gestalten wie gewohnt, sagte Spahn. Dafür seien die Infektionszahlen zu hoch. Deutschland sei wahrscheinlich „im letzten Teil dieses Pandemie-Marathons“ angekommen. Das Ziel sei in Sicht, aber eben noch ein ganzes Stück weg. „Gerade im letzten Teil des Marathons wirkt nicht selten jeder weitere Schritt wie eine Tortur.“ So gehe es vielen in dieser Phase.

Die von Bund und Ländern vereinbarte Notbremse sieht vor, Öffnungen zurückzunehmen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region oder einem Land an drei aufeinander folgenden Tagen auf über 100 steigt. Diese Zahl der neuen Fälle pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen stieg am bundesweit auf 125. Am Sonntag stellt sich Merkel in der ARD bei „Anne Will“ ihrem Krisenmanagement, vor allem die immer noch fehlenden flächendeckenden Schnelltests, die mangelhafte Impfstoffbeschaffung und zuletzt chaotische Verhandlungen werden ihr angelastet.

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