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Irakische Fluggäste kehren aus dem Iran zurück.

© Haidar HAMDANI / AFP

Die dritte große Krise des Jahrhunderts?: Die Coronavirus-Pandemie kann nur global bekämpft werden

Covid-19 erfordert Kooperation auf höchster Ebene. Leider kreisen Politiker wie Trump, Macron und Merkel derzeit vor allem um sich selbst. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es gab einmal eine Zeit, als weltweit die Einsicht reifte, dass globale Probleme einer globalen Lösung bedürfen. Kein Land kann allein die Klimakrise bewältigen. Die Folgen der digitalen Revolution betreffen alle Menschen. Hunger, Elend und Krieg lösen Migration aus. Und dass ein Zusammenbruch der Finanzmärkte verheerende Kettenreaktionen in Gang setzt, wurde im Jahr 2008 offenkundig. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu einer Hypotheken-, Finanz-, Banken- und Wirtschaftskrise, die niemand in dem Ausmaß prognostiziert hatte. „Wir haben in den Abgrund geschaut“, sagte Finanzminister Peer Steinbrück.

Damals resultierte aus dem Schock der Wille zum gemeinsamen Handeln.

[Wichtige Entwicklungen und aktuelle Zahlen zu Covid-19 lesen Sie hier in unserem Newsblog zur Ausbreitung des Coronavirus.]

Im November 2008 versammelten sich in Washington, zum ersten Mal auf Ebene der Regierungschefs, die G-20-Staaten zu einem Weltfinanzgipfel.

Bei der Folgekonferenz im April 2009 in London beschlossen sie ein Programm in Höhe von 1,1 Billionen US-Dollar – das sind 1100 Milliarden - zur Ankurbelung der Weltkonjunktur. Sie bekannten sich zu den Prinzipien des freien Marktes, dem Protektionismus wurde eine Absage erteilt.

Heute herrschen andere Regeln. Der Nationalismus feiert eine Renaissance. Multilaterale Vereinbarungen werden aufgekündigt, Handelskriege geführt. Jeder für sich, lautet die Devise. Abschottung und nationale Egoismen sollen ersetzen, was man früher „vertrauensbildende Maßnahmen“ genannt hat. Eklatant wird das im Umgang mit dem Coronavirus.

In Deutschland mindestens 100.000 Tote?

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der Finanzkrise von 2008 könnte eine von Covid-19 verursachte Pandemie zur dritten großen Erschütterung in diesem Jahrhundert führen.

Viele Zahlen sind unsicher, aber allgemein wird davon ausgegangen, dass ohne massive Eingriffe, die die Ausbreitung begrenzen, in einem betroffenen Land die Ansteckungsrate zwischen 25 und 70 Prozent liegt. Etwa fünf Prozent der Infizierten müssen medizinisch betreut werden, an der Erkrankung sterben zwischen 0,5 und 3 Prozent. Das würde, heruntergerechnet auf Deutschland, mindestens 100.000 Tote bedeuten.

Wie viel dramatischer könnte die Lage etwa in Afrika werden? China ist Afrikas wichtigster Handelspartner, die Grenzen auf dem Kontinent sind durchlässig, häufiges Händewaschen ist bei knappem Wasser und oft fehlender Seife ein frommer Wunsch, die Laborkapazitäten sind äußerst begrenzt.

Karachi, Pakistan: Ein Mann verkauft am Straßenrand Mundschutze.
Karachi, Pakistan: Ein Mann verkauft am Straßenrand Mundschutze.

© dpa

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hilft zwar mit Geld und Expertise, an internationalen Flughäfen wird die Körpertemperatur der Passagiere gemessen. Auch wenn keiner weiß, wie sich das Virus in wärmeren Ländern verhält, wäre es fahrlässig, nicht jetzt bereits ein Notfallprogramm zu erarbeiten. Auf mögliche Katastrophen muss die Welt sich vorbereiten, bevor sie geschehen.

Umsatzeinbußen, Versorgungsengpässe, steigende Arbeitslosigkeit

Der Glaube, alle Verantwortung auf die WHO abwälzen zu können, wäre naiv. Deren Mittel sind beschränkt. Außerdem umfasst die mit dem Coronavirus verbundene Krise nicht allein die weltweiten Gesundheitssysteme, sondern auch die Wirtschaft der jeweiligen Länder. Das heißt Umsatzeinbußen, Versorgungsengpässe, steigende Arbeitslosigkeit.

Wer versucht, sein Heil dagegen in ausschließlich nationalen Maßnahmen zu finden, wird schnell merken, wie aussichtslos das ist. Die Weltwirtschaft ist verflochten. Das galt 2008, und es gilt heute.

In Deutschland kritisieren wir Hamsterkäufer, die ihre Individualinteressen über die der Gemeinschaft stellen. Ebenso berechtigt ist es, diesen Vorwurf an Nationen zu richten, die das Wohl der Menschheit außer Acht lassen. Das Coronavirus kennt keine Grenzen. Entsprechend grenzüberschreitend müssen die Antworten darauf sein.

Das aber setzt eine Kooperation auf höchster Ebene voraus. Die Lenker der Welt müssen ihre Strategien koordinieren. Sie müssen vermeiden helfen, dass es Verlierer ersten und zweiten Grades gibt. Leider kreisen Donald Trump, Emmanuel Macron, Boris Johnson und Angela Merkel derzeit vor allem um sich selbst. Die Dimensionen dieser Krise scheint keiner von ihnen verstanden zu haben. Es gab einmal eine Zeit, als weltweit die Einsicht reifte, dass globale Probleme einer globalen Lösung bedürfen. So lang ist sie noch gar nicht her. Zur Wehmut gesellt sich die Sehnsucht nach dieser Zeit.

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