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Nach dem gewaltsamen Tod von Georg Floyd in den USA wird auch hierzulande über Polizeigewalt gesprochen. Das ist falsch, findet unser Autor.

© dpa

Die Doppelmoral der Debatte über Polizeigewalt: „Freund und Helfer“ oder „Rassist und Feind“?

Beamte gehen zu hart vor, Kriminelle spielen die Rassismuskarte: Die komplexe Realität eignet sich nicht für simple Schuldzuweisungen an die Polizei. Ein Gastbeitrag.

Ahmad Mansour ist ein deutsch-israelischer Psychologe und Autor. Die von ihm gegründete Initiative MIND prevention realisiert Projekte zur Förderung der Demokratie, gegen Extremismus, religiösen Fundamentalismus, Antisemitismus und Unterdrückung im Namen der Ehre. Zu diesen Themen hat der Islamismus-Experte mehrere Bestseller geschrieben, darunter „Klartext zur Integration“ (2018) und „Generation Allah“ (2015).

Der Mord an dem Schwarzen George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis (USA) bewegt die ganze Welt. Und er wirft auch in Deutschland die Frage auf: Gibt es Rassismus bei unserer Polizei?

Ich arbeite seit Jahren als Dozent für interkulturelles Training an der Polizeiakademie Berlin. Bei dieser Tätigkeit habe ich Kontakt mit zahlreichen Polizeischülern, und wir diskutieren sehr viel über Identität, Religion, Diskriminierung und Rassismus. Diese Themen sind für die polizeiliche Arbeit in einer vielfältigen Gesellschaft sehr wichtig – genauso wie das Training der polizeilichen Arbeit selbst.

Zunächst einmal ist festzuhalten: Jede Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Sie setzt sich aus sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen, mit individuellen Biographien, sozialem Umfeld, Religionszugehörigkeit usw.

In den vergangenen Jahren ist unsere Polizei deutlich „multikultureller“ geworden. Immer mehr Menschen im Polizeidienst haben einen Migrationshintergrund. Unterschiedlichkeit, auf Neudeutsch Diversity, ist auch im Polizeidienst ein wichtiges Thema. Es tut der Polizeiarbeit gut, wenn Menschen mit den verschiedensten Erfahrungen gemeinsam am gleichen Ziel arbeiten: der inneren Sicherheit.

Umso wichtiger ist eine gute Auswahl der Bewerber: Das Auswahlverfahren soll Menschen erkennen, die undemokratische Haltungen vertreten. Das können Rechtsradikale, Islamisten, türkische Nationalisten wie die Grauen Wölfe sein, aber auch linke Extremisten. Gemeinsam ist allen, dass sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht anerkennen, sie unterminieren oder sogar beseitigen wollen. Personen, die unser Grundgesetz nicht anerkennen, muss der Weg in den Polizeidienst versperrt werden. Und auch im Polizeidienst selbst muss es Kontrollinstanzen geben, die mögliche Extremisten in den Reihen der Polizei erkennen und konsequent gegen sie vorgehen.

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Keine Frage: Es gab und gibt Fälle, in denen auch deutsche Polizisten unverhältnismäßig hart gegen nicht-weiße Menschen vorgingen. Diese Fälle dürfen nicht beschönigt, bagatellisiert oder gar totgeschwiegen werden. Wer exekutive Gewalt in einem Rechtsstaat ausüben darf, verfügt über ein Privileg, dessen Missbrauch hart bestraft werden muss. Nur so erhalten wir das Vertrauen in unseren Rechtsstaat, unsere Demokratie und letztlich unsere Freiheit. Denn welche Konsequenz folgt aus erodierendem Vertrauen? Genau, Selbstjustiz.

Richtig zu handeln ist aber in der Praxis oft knifflig. Schwierige Situationen üben wir an der Polizeiakademie in unserem interkulturellen Training. Zum Beispiel: Wie soll die Polizei eine Kontrolle in einem Park durchführen, wenn man weiß, dass die Drogendealer dort meistens afrikanischer Herkunft sind?

Wo beginnt Racial Profiling?

Inwieweit ist es legitim, dieses Wissen in der polizeilichen Praxis zu berücksichtigen und speziell Menschen mit dunkler Hautfarbe zu kontrollieren, und wo beginnt das „Racial Profiling“, also das Vorgehen gegen Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe? Ein anderer Fall: Wie soll man auf einen Autofahrer reagieren, der bei einer Routinekontrolle angibt, er könne aufgrund seiner Kultur oder Religion nicht mit einer Frau in Uniform kooperieren?

Hinzu kommt: Nicht wenige Kriminelle spielen ganz gezielt die “Rassismuskarte“. Sie spielen sich als Opfer einer rassistischen Verfolgung auf, um die Polizisten zu verunsichern, deren Arbeitsbelastung durch zusätzliche Anträge und Anhörungen zu erhöhen und so letztlich von ihrer Straftat abzulenken.  

Auf solche Situationen muss man Polizeibeamte vorbereiten. Sie dürfen nicht aus der Angst heraus, das Falsche zu tun, so verunsichert sein, dass sie am Ende doch falsch handeln.

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Zu der Debatte gehört auch die andere Seite der Wahrheit: Fast 20 deutsche Polizistinnen und Polizisten werden Tag für Tag im Dienst verletzt. Langgediente Polizeibeamte berichten von einer erschreckenden Respektlosigkeit, die ihnen im Alltag begegne und die immer schlimmer werde. Polizisten werden beschimpft, beleidigt und bei der Ausübung ihres Dienstes gefilmt. Drohungen sind an der Tagesordnung, selbst gegen die Familien der Beamten.

Hier zeigt sich eine Doppelmoral: Wer Gewalt durch Polizeibeamte verurteilt, der muss auch diese Menschen als Opfer wahrnehmen, die meist in Schichtarbeit täglich Gesundheit und Leben riskieren, um Recht und Ordnung zu schützen.

Wer "Bulle" sagt, mag sich durch den Fall Floyd bestätigt sehen

So mancher in Deutschland, der Polizisten pauschal als „Bullen“ ablehnt, fühlt sich durch den sadistischen Mord von Minneapolis in seinen Vorurteilen und Feindbildern bestätigt. Doch der Fall George Floyd taugt nicht als Argument hierzulande. Es ist falsch, die Debatte über Rassismus auf dem Rücken der deutschen Polizei auszutragen. Schon die reguläre Polizeiarbeit ist vielen dieser „Polizisten sind Rassisten“-Rufer ein Dorn im Auge. Der Vorwurf ist schlichtweg falsch, aber leider typisch für diese Art von Debatten.                                                                             

Keine Institution, keine Behörde ist frei von Fehlern. Auch Polizisten sind nur Menschen und können sich im Einzelfall falsch verhalten. Einen Systemfehler gibt es bei der deutschen Polizei aber nicht. Im Gegenteil: Wir haben eine der besten Polizeien der Welt, deren Arbeit strikt am Prinzip der Rechtsstaatlichkeit orientiert ist.

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