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Thüringens damalige Ministerpräsidentin Lieberknecht (CDU) begrüßt den damaligen Fraktionschef der Linken, Ramelow (Archivbild von 2014)

© dpa/Martin Schutt

Update

Die CDU und ihr gespaltenes Verhältnis zur Linken: Alarmstufe Rot im Konrad-Adenauer-Haus

Thüringens Ex-Ministerpräsidentin Lieberknecht will eine „verlässliche Partnerschaft“ mit der Linkspartei. Doch die Bundes-CDU ist strikt dagegen.

Von Matthias Meisner

Im Konrad-Adenauer-Haus will das niemand hören: Eine parlamentarische Regierungsmehrheit sei „verlässlich nur zwischen CDU und Linker möglich“, sagt Beinahe-Übergangsministerpräsidentin Christine Lieberknecht am Mittwoch. Und mehr: Es gebe keine Alternative zu einer „verlässlichen Partnerschaft“ mit der Linken, ob man sie Projektregierung oder anders nenne. Das seien „realpolitische Sachzwänge, Bundesbeschlüsse hin oder her“. Mit anderen Worten: Aus Sicht der CDU-Politikerin und ehemaligen Ministerpräsidentin ist sogar eine schwarz-dunkelrote Koalition denkbar. Wenn Anderes nicht möglich sei, „dann gibt es keine Alternative“, sagt sie.

Was Lieberknecht fordert, ist ein Bruch des im Dezember 2018 gefassten Hamburger CDU-Parteitagsbeschlusses, in dem es heißt: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“ Mantraartig wiederholen CDU-Spitzenpolitiker seither dieses Diktum. Es gebe „keine Basis, auf der man irgendwelche Gespräche (mit der Linken) führen kann“, sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nach der thüringischen Landtagswahl im Oktober. In einer aktuellen Stunde im Bundestag vergangene Woche fragte er rhetorisch: „Sollen wir die Mauertoten noch mal nachzählen?“

Die verantwortlichen CDU-Spitzenfunktionäre rücken von dieser Linie nicht ab - und übrigens auch keiner der Nachfolge-Kandidaten der scheidenden Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Aus der CDU-Zentrale gab es am Mittwoch zu den Wortmeldungen von Lieberknecht zunächst keinen Kommentar.

Elf-Seiten-Papier der CDU in Tonlage des Kalten Krieges

Nach dem Erfurter Dammbruch - der Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten mit Stimmen auch von AfD und CDU - hatte die Bundes-CDU ihre Haltung zur Linkspartei und zur AfD in einem Elf-Seiten-Papier zusammengefasst. Die Linke sei als Rechtsnachfolgerin der SED mitverantwortlich „für die totalitäre Diktatur in der DDR mit Unterdrückung, Planwirtschaft und dem Schießbefehl an der Berliner Mauer“.

Sie habe sich „von diesem Unrecht mehr schlecht als recht distanziert“. Die CDU bescheinigt der Linken, sie vertrete „ideologische Heilslehren“ und habe ein „totalitäres Politikverständnis“. Und knüpfe an „sozialistische und kommunistische Geschichtstraditionen“ an.

Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring im Oktober 2019 bei der Schlussveranstaltung des thüringischen CDU-Landtagswahlkampfs.
Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring im Oktober 2019 bei der Schlussveranstaltung des thüringischen CDU-Landtagswahlkampfs.

© Ralph Orlowski/Reuters

Ausführlich wird in dem an Kalte-Kriegs-Zeiten erinnernden Papier aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert. Und dabei unter anderem erwähnt, dass Bodo Ramelow wegen seiner Kontakte zur DKP jahrelang vom Geheimdienst beobachtet worden sei.

Für Präsidium, Parteivorstand und die übergroße Mehrheit der 400.000 Mitglieder wäre demnach eine Zusammenarbeit auch mit der Linken „ein Angriff auf unsere Identität und ein Verrat an unseren christdemokratischen Werten“, schlussfolgern die Autoren. Zwar heißt es: „Gewisse Berührungspunkte lassen sich im parlamentarischen Alltag nicht vermeiden.“ Aber: Eine Wahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU-Abgeordneten wird ausdrücklich „ausgeschlossen“. Der klarste Weg seien Neuwahlen, den Übergang dahin solle eine „von allen Seiten respektierte Person“ organisieren.

Diese Variante ist seit Mittwoch vom Tisch. Denn die von Ramelow vorgeschlagene und in der CDU - zumindest in Teilen - respektierte Kandidatin Lieberknecht hat abgesagt. Und das wiederum, weil die Landes-CDU die von der Bundespartei geforderten Neuwahlen nicht will, auf keinen Fall vor der Sommerpause. Die Christdemokraten fürchten eine weitere krachende Wahlniederlage, nachdem sie bereits am 27. Oktober kräftig eingebüßt hatten und nur noch drittstärkste Kraft im Landtag sind.

Funktionäre der Thüringen-CDU bitten, den Hamburger Parteitagsbeschluss selbst auslegen zu dürfen. Der scheidende CDU-Landes- und Fraktionschef Mike Mohring findet schade, dass es zwischen Rot-Rot-Grün und der CDU keine Einigung über das Procedere für den Weg aus der Regierungskrise gab. „Ich bedauere das sehr, denn ich habe in der Fraktion ausdrücklich für Christine Lieberknecht als Ministerpräsidentin einer Regierung des Übergangs geworben“, sagt er dem Tagesspiegel. Im neuen „Spiegel“ hatte Mohring mit Blick auf den Unvereinbarkeitsbeschluss gefordert: „Man muss die Auslegung dieses Beschlusses einer Partei vor Ort überlassen.“

Ähnlich argumentiert auch der frühere thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus, ebenfalls CDU. Und sein Ex-Ministerpräsidentenkollege Bernhard Vogel (CDU) lässt sich vom „Spiegel“ mit den Worten zitieren: „Eine Koalition der CDU mit den Linken ist nicht möglich. Die Fraktion muss nun aber selbst entscheiden, ob sie Ramelow aktiv wählen würde. Eine Wahl Ramelows würde der CDU sicher schwer fallen.“ Sie wäre nur gerechtfertigt „im Sinne des Landes und wenn eine Mitwirkung der AfD dadurch verhindert werden könnte“, sagte Vogel. 

„Für das kleinere Übel entscheiden“

Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), wirbt in einem Gastbeitrag für die „Jüdische Allgemeine“ dafür, dass ihre Partei das Verhältnis zur Linkspartei überdenkt. Prien, Sprecherin des Jüdischen Forums in der CDU, schrieb, sie meine damit nicht, dass wir demnächst mit der Linkspartei koalieren. „Aber wir müssen Wege finden, mit dem Dilemma umzugehen, das wir derzeit vor allem in ostdeutschen Bundesländern erleben.“ Neue Antworten müssen aus Sicht der CDU-Politikerin entwickelt werden, wenn CDU, SPD, Grüne und FDP weniger als die Hälfte der Mandate hätten. Da müssen wir neue Antworten entwickeln. „Wenn wir vor der Wahl stehen, gemeinsam mit der AfD einen bürgerlichen Kandidaten zu wählen oder durch unsere Enthaltung Bodo Ramelow die Wahl zu ermöglichen? Dann sollten wir uns in solch einem Fall zukünftig für das kleinere Übel entscheiden.“

Aus der CDU-Bundeszentrale gibt es keine Signale dafür, dass der Parteitagsbeschluss nun nach der weiteren Komplizierung in Thüringen wenigstens mit Blick auf den Freistaat gelockert werden könnte. Kommentatoren raten dazu: Im Leitartikel der „FAZ“ hieß es am Mittwoch, alle Beteiligten müssten „aus dem Erfurter Dilemma lernen, auch neue Wege und Koalitionen zu wagen“. Denn es sei keineswegs ausgeschlossen, „dass es nach künftigen Wahlen, insbesondere im Osten der Republik, ganz ähnliche Konstellationen geben könnte“.

„Gleichheitszeichen ,Höcke = Ramelow' unverschämt“

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, gibt der CDU wegen ihrer prinzipiellen Gleichsetzung von AfD und Linkspartei Mitschuld an der verfahrenen Situation, wie er im Gespräch mit der „Jüdischen Allgemeine“ erläutert: Das bislang praktizierte Gleichheitszeichen „Ramelow ist gleich Höcke“ müsse entfernt werden: „Da gibt es kein Gleichheitszeichen! Ich finde das unverschämt und unmoralisch.“

Der neue Ost-Beauftragte der Bundesregierung, der sächsische CDU-Politiker Marco Wanderwitz, ein scharfer Kritiker der AfD, wirbt für die Beibehaltung des Unvereinbarkeitsbeschlusses auch Richtung Linkspartei. Wanderwitz, der erst wegen des Thüringen-Desasters ins Amt kam, sagte dem Tagesspiegel vor dem Lieberknecht-Rückzieher, es gebe den Beschluss aus guten Gründen, „bei der Linken wegen der Vergangenheit - Stichwort Unrechtsstaat - und wegen der Gegenwart - Stichwort linksradikale Tendenzen“. An die Adresse von Ramelow sagt Wanderwitz: „Wenn man keine Mehrheit hat, kann man nicht Ministerpräsident sein. Kopf durch die Wand ist da keine Lösung.“ Den Rückzieher von Lieberknecht will der Sachse nicht kommentieren.

Wie es nun in Thüringen weitergeht? Linke, SPD und Grüne wollen einen neuen Anlauf starten, um den früheren Ministerpräsidenten Ramelow ins Amt zu bringen. Als Chef einer Minderheitsregierung, wie es von Anfang an geplant war. Die soll aber möglichst eng mit der oppositionellen CDU kooperieren. „Der Ball liegt nun bei der CDU“, sagt Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow dem Tagesspiegel: „Es gibt nur zwei Wege. Entweder die CDU macht den Weg frei für unverzügliche Neuwahlen oder sie unterstützt Ramelow aktiv bei der Ministerpräsidentenwahl mit einer anschließenden Tolerierung von Rot-Rot-Grün.“ Ramelow selbst versichert, die „angestrebte Koalition von Linken, SPD und Grünen“ stehe zu einer schnellen Regierungsbildung bereit und sei „gewillt, mit der CDU aktiv an tragfähigen Lösungen bis zur Neuwahl zu arbeiten“.

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