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Erklärungsbedarf: Friedrich Merz (r.) hat beim Parteitag auch seine eigenen Anhänger enttäuscht.

© AFP/Odd Andersen

Die CDU nach dem Parteitag: Trauer und Wut bei den Merz-Anhängern

Die Enttäuschung der Merz-Anhänger sitzt tief – Einigkeit herzustellen bleibt die große Aufgabe der neuen Parteiführung. Reicht Ziemiak als Friedensangebot?

Von Robert Birnbaum

Wolfgang Reinhart steht Samstagfrüh vor einer Kamera und beschwört den Zusammenhalt. Hinter dem CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag nimmt der Bundesparteitag mit der Beratung verschiedener Anträge seinen Lauf, als ob es das Beben am Vortag nicht gegeben hätte. Die Erschütterung wirkt aber nach, und die Sorge ist begründet, dass in der Partei ein Riss bleibt.

Gerade aus Reinharts Landesverband werden reihenweise spontane Parteiaustritte gemeldet. Auch er selbst war enttäuscht über das Scheitern seines Favoriten Friedrich Merz. Aber aus der Sicht des Spitzenfunktionärs ist der Parteiaustritt nun mal keine gute Idee.

Die Enttäuschung draußen im Land hat viel mit den Erlöserhoffnungen zu tun, die Merz bei vielen Konservativen ausgelöst hatte. Ein Delegierter zeigt auf dem Smartphone den Austrittsbrief eines Frustrierten herum. Er habe auf einen Kurswechsel gehofft, schreibt der Mann – angesehener Jurist, Mitglied seit Jahrzehnten, lange im Stadtrat. Aber jetzt sehe er keine Zukunft mehr: Schluss, Aus, Parteibuch anliegend.

Wie hoch diese Welle wird, ist noch nicht abzusehen; erst recht nicht, wie viele es sich nach dem Gespräch mit dem lokalen Abgeordneten noch mal überlegen, wenn der erste Zorn verraucht ist. Aber der erste Zorn ist groß. Nach dem knappen Sieg von Annegret Kramp-Karrenbauer kursieren in den Hamburger Messehallen wüste Räuberpistolen. Die Saarländer, schimpft einer, hätten während der Rede ihrer Chefin „strategische Klatscher“ über den ganzen Saal verteilt.

Die Theorie krankt allerdings etwas daran, dass der Saar-Verband nur 34 Delegierte stellt, die Kandidatin inbegriffen. Auch die Dolchstoßlegende, dass Kramp-Karrenbauer sich die Stimmen vieler Nordrhein-Westfalen politisch gekauft habe, wirkt unplausibel. Dort hatte Jens Spahn im ersten Wahlgang viele Stimmen bekommen, von denen im zweiten offenbar viele zu Kramp-Karrenbauer wanderten. Aber mehrere Delegierte versichern hinterher, sie hätten dem Landsmann Spahn in dem absehbar noch nicht entscheidenden Wahlgang ein gutes Abschneiden sichern wollen, ohne auf seiner oder Merz’ Seite zu stehen.

Spahn fährt als großer Gewinner aus Hamburg heim

An der Stelle muss kurz eingeschoben werden, dass Spahn als großer Gewinner aus Hamburg heimfährt. Sein Einsatz wird allseits gelobt. Seine Rede kam als kluge Positionierung im Raum zwischen den zwei anderen an. Das mit Abstand beste Wahlergebnis zum Präsidium belohnte ihn. Am Samstag redet er lange auf dem Podium mit der neuen Chefin. „Wenn AKK nicht reüssiert, ist Spahn am Zug“, sagt ein Hesse. In jedem Fall hat der Wettbewerb den 38-Jährigen vom Wadenbeißer zum ernst zu nehmenden Faktor in der Partei werden lassen.

Die Merz-Fans tröstet das nicht. Sie sind sauer über das Ergebnis und doppelt sauer auf den eigenen Favoriten. Der Auftritt des Ex-Fraktionschefs war schlicht schlecht. Die abgelesene Rede im Stil des Vortrags vor einer Aktionärsversammlung enttäuschte alle Erwartungen. „Er hatte es in der Hand“, urteilt einer, der Merz lange verbunden ist. Die fehlenden 17 Stimmen hätte er locker bekommen: „Er hat es verbockt.“ Und seine Berater und Redenschreiber von Gauly Advisors gleich mit. „Das sind Wirtschaftsleute“, sagt der Mann, „die haben keine Ahnung davon, wie eine Partei tickt!“

Der Zorn derer, die sich nach den langen Merkel-Jahren schon wieder als Unterlegene fühlen, bricht sich beim Parteitag gleich in Beschlüssen Bahn. Gegen Bedenken der Parteispitze werden milliardenschwere Forderungen des Wirtschaftsflügels abgesegnet – raus aus dem Solidarzuschlag, weg mit der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten. Kramp-Karrenbauers personelles Friedensangebot, den JU-Chef Paul Ziemiak zum Generalsekretär zu machen, verfehlt bei vielen sein Ziel. „Dieser Ehrgeizling!“, giftet ein Delegierter. Und ein anderer kommentiert sarkastisch: „Beim Vorwärtsfahren gleich die erste Beule.“

Wenn überhaupt jemand die Frustrierten einfangen kann, dann seine prominenten Befürworter – oder Merz selbst. In der neuen Parteiführung überlegt man schon, wie der 63-Jährige sichtbar am neuen Anfang beteiligt werden kann. Eine baden-württembergische „Initiative für Friedrich Merz“ hat da schon wieder eine Idee: Merz müsse Minister werden!

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