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Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz.

© Bert Bostelmann

Die CDU nach dem Parteitag: "Das Ergebnis spiegelt die Spaltung der Partei"

Der Historiker Andreas Rödder ist selbst in der CDU aktiv. Ein Gespräch über Herausforderungen für die neue Parteichefin und die Bilanz der Ära Merkel.

Herr Rödder, der Wechsel an der Spitze der CDU ist vollzogen, es ist zweifellos ein historischer Einschnitt. Tritt Angela Merkel nun auch als Kanzlerin zügig ab?

Das weiß sie allein. Ich gehe aber davon aus, dass Angela Merkel im nächsten Jahr zurücktritt. Ich habe auch ihre Ankündigung vom 29. Oktober so verstanden.

Dann könnte Annegret Kramp-Karrenbauer 2019 Kanzlerin werden. Sie ist darauf wohl auch vorbereitet. Wie muss man die neue CDU-Chefin einordnen?

Kramp-Karrenbauer kommt ganz aus der Tradition der katholischen Arbeitnehmerbewegung. Sie gehört dem sozialpolitischen Flügel der CDU an, während sie innen- und gesellschaftspolitisch eher konservativ orientiert ist. Das heißt, dass sie deutlich

christdemokratischer aufgestellt und erheblich tiefer in der Partei und ihren Traditionen verwurzelt ist als Merkel. Und sie ist auch, wie sie im Saarland gezeigt hat, deutlich stärker in der Lage, die CDU in ihrer Breite zu integrieren. Was ihr hingegen fehlt, ist die weltläufige Internationalität und die strategische Perspektive, wie sie Friedrich Merz auszeichnet.

Was bedeutet es für die CDU, dass Friedrich Merz und Jens Spahn verloren haben?

Zunächst ist es eben diese weltgewandte Strategiefähigkeit von Merz, die den Delegierten weniger wichtig war als die bodenständige Verwurzelung von "unserer Annegret", wie es oft hieß. Zugleich spiegelt das Wahlergebnis die Spaltung der Partei in Anhänger und Gegner Merkels, die sich in den letzten Jahren zunehmend vertieft hat.

Wird sich diese Spaltung angesichts des knappen Ergebnisses vertiefen?

Für die Kritiker Merkels ist mit der Niederlage von Merz die Hoffnung geschwunden, dass eine CDU nach Merkel wieder eine stärker profilierte liberal-konservative Partei werden würde. Kramp-Karrenbauer muss diese Enttäuschung adressieren und diese Enttäuschten integrieren. Anderenfalls würde ich tatsächlich nicht ausschließen, dass es zu Spaltungstendenzen kommen könnte.

Andererseits liegt dann aber auch Verantwortung bei Merz. Könnte das nicht auf eine ähnliche Arbeitsteilung hinauslaufen wie einst bei Konrad Adenauer und Ludwig Erhard?

Die CDU stand stets vor der Aufgabe, ihre Flügel abzubilden. Zumindest in den Anfangsjahren der Republik gelang das dem Duo Adenauer und Erhard auch. Helmut Kohl hat es anders gemacht, als es ihm gelang, so völlig unterschiedliche politische Charaktere wie Norbert Blüm, Heiner Geißler oder Rita Süssmuth einerseits, Alfred Dregger oder Manfred Kanther andererseits, unter seiner Führung einzubinden. Unter Merkel hat das zuletzt weniger gut geklappt, das gehört zu ihren Schwächen. Will Kramp-Karrenbauer die CDU als Volkspartei in die Zukunft führen, muss sie hier ansetzen.

Und Merz?

Er hat darauf verzichtet, für ein Parteiamt zu kandidieren. Hier ist nun eine Leerstelle, die gefüllt werden muss.

Es könnte ja auch ein Kabinettsposten sein. Wäre ein Bundeswirtschaftsminister Merz denkbar?

Darüber zu spekulieren, ist jetzt zu früh.

Wie stark hat Merkel die CDU geprägt? Oder hat sie Prägung vermissen lassen? Ist ihr Stil moderner Konservatismus?

Die Modernisierung der CDU, von der oft die Rede ist, war auf gesellschaftspolitischer Ebene vor allem eine Anpassung an die ursprünglich rot-grünen Leitbilder von Diversität, Gleichstellung und Antidiskriminierung. Dabei ist eine behutsame Anpassung durchaus konservativ. Merkels abrupte Wenden in der Energiepolitik, bei der Wehrpflicht und der Ehe für alle sowie ein Hang zur Unbedingtheit, vor allem in der Flüchtlingspolitik, waren es hingegen nicht. Gerade die Flüchtlingspolitik von 2015/16 hat das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung in den Rechtsstaat beschädigt. Zudem hat die Linksverschiebung der CDU das Parteiensystem verändert, indem sie der SPD die Luft zum Atmen genommen hat, während sie auf der rechten Seite die Repräsentationslücke eröffnete, in die dann die AfD eingeströmt ist.

Wie ist Merkel in der Geschichte der Bundesrepublik und ihrer Kanzler zu verorten?

Eine historische Figur ist sie ja allein schon dadurch, dass sie die erste Kanzlerin ist. Und sie hatte eine lange Kanzlerschaft. Allerdings war es keine, mit der eine wirkliche Richtungsentscheidung verbunden war. So wie bei Adenauer und der Westbindung, bei Willy Brandt mit der Ostpolitik und bei Kohl mit der deutschen Einheit und der Vertiefung der europäischen Staatengemeinschaft in der EU.

Gibt es dennoch eine „Ära Merkel“?

Ihre Regierungszeit waren Jahre des ökonomischen Erfolgs, der internationalen Krisen und tiefer gesellschaftlicher Veränderungen. Die Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung hat Merkel von der Regierung Gerhard Schröders geerbt. Die politischen Krisen haben vor allem Managementfähigkeiten erfordert. Und den gesellschaftlichen Veränderungen hat Merkel ihre Politik und die CDU angepasst. Erfolgreich war sie vor allem als Krisenmanagerin, etwa in der Weltfinanzkrise von 2008 oder in der Ukraine-Krise von 2014. Und was sie persönlich auszeichnet, ist ihre unaufgeregte Coolness - ganz im Gegensatz zu aufgeregten und eitlen Männern wie Schröder, Silvio Berlusconi, Nicolas Sarkozy oder Donald Trump.

Andreas Rödder, Jahrgang 1967, ist Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz. 2011 und 2016 gehörte in Rheinland-Pfalz zum Wahlkampfteam der CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner.

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