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Labour-Chef Jeremy Corbyn beim Parteitag in Liverpool.

© Oli Scarff/AFP

Update

Die Brexit-Frage: Labour geht auf EU-Kurs - ein bisschen

Der Schwenk der Labour-Partei macht ein zweites Brexit-Referendum etwas wahrscheinlicher. Aber darauf wetten sollte man noch nicht. Eine Analyse.

Als sich zu Beginn des Monats der frühere britische Außenminister Boris Johnson wortreich zu den Brexit-Verhandlungen zu Wort meldete und der Regierungschefin Theresa May vorwarf, sie würde bei den Gesprächen mit der EU die „weiße Fahne“ hissen, da reagierten auch die Buchmacher. Bei Ladbrokes schrumpfte die Gewinnquote für diejenigen, die darauf setzen, dass Johnson demnächst britischer Premierminister wird.

May hat einen schwierigen Parteitag vor sich

Die Wettquoten für Mays Verbleib im Amt dürften sich voraussichtlich noch einmal ändern, wenn der Parteitag der regierenden Konservativen in Birmingham Anfang Oktober vorbei ist. Bei dem Treffen der Tories muss May ihren Brexit-Plan verteidigen, der einen Mittelweg zwischen einem klassischen Freihandelsvertrag und einem vollständigen Verbleib im EU-Binnenmarkt darstellt. Sowohl bei den „Remainers“ als auch bei den Brexiteers stößt der Plan auf Widerstand: Die einen befürchten, dass damit eine gütliche Einigung mit der EU in Frage gestellt wird. Die anderen finden, dass Mays sogenannter Chequers-Plan einen harten Schnitt im Verhältnis zur EU unmöglich macht.

Drei Szenarien für den Herbst

Sechs Monate vor dem Brexit am 29. März 2019 gibt es nun drei Szenarien für die weitere Entwicklung: Zum einen könnte es im Herbst eine Einigung zwischen der EU und Großbritannien über die Austrittsvertrag und die politische Erklärung zu den künftigen wirtschaftlichen Beziehungen geben, die anschließend vom Unterhaus gebilligt wird. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass das Parlament die Zustimmung zu einem Deal verweigert. Und die dritte Option – das Worst-Case-Szenario – heißt „No Deal“: Es kommt überhaupt keine Vereinbarung zu Stande.

Schlüsselrolle der Labour-Partei im Parlament

Wie groß die Wahrscheinlichkeit für Szenario eins oder Szenario zwei ist, hängt von der größten Oppositionspartei ab – Labour. Bei ihrem Treffen in Liverpool hat die vom EU-Skeptiker Jeremy Corbyn geführte Partei die Chancen für eine Zustimmung des Parlaments zu einer Vereinbarung mit der EU verringert. Labour, das wurde in der englischen Hafenstadt noch einmal deutlich, will einer Vereinbarung nicht zustimmen, die nicht den Anforderungen der Oppositionspartei entspricht. Dazu zählt der Verbleib Großbritanniens im EU-Binnenmarkt.

Allerdings will Corbyn auch keinen allzu EU-freundlichen Kurs fahren. Er weiß, dass zwar etwa zwei Drittel der Parteianhänger gegen den Brexit sind. Ein Drittel befürwortet aber weiterhin den Austritt aus der Europäischen Union. Wenn Corbyn konsequent darauf hinarbeiten würde, ein zweites Referendum abzuhalten und das Brexit-Votum vom Juni 2016 wieder rückgängig zu machen, dann könnte er die Unterstützung der Wähler im ärmeren Norden Englands verlieren. Die haben 2016 mehrheitlich für den Brexit gestimmt.

Corbyn will Neuwahlen

Deshalb setzt Corbyn seine Energie in erster Linie dafür ein, May zu Neuwahlen zu zwingen. Ganz ignorieren kann er die starke Strömung in seiner Partei, die ein zweites EU-Referendum befürwortet, aber auch nicht. Deshalb kam beim Parteitag am Dienstagabend unter den Delegierten ein Kompromiss zustande, dem zufolge ein Hintertürchen für ein zweites EU-Referendum offen gehalten werden soll.

Kommt es nun tatsächlich zu einer Wiederholung des Referendums von 2016? Die Chancen haben sich seit dem Parteitag von Labour leicht erhöht. Aber darauf wetten sollte man vorerst noch nicht.

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