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25.000 Kämpfer sollen die Kassam-Brigaden, der militärische Arm der Hamas, unter Waffen haben.

© Said Khatib/AFP

Die Akte Hamas: Was die Hamas mit dem „Marsch der Millionen“ bezweckt

Für Freitag ruft die Hamas am Gazastreifen zum „Marsch der Millionen“ auf. Der Protest richtet sich gegen Israel. Wer die Hamas ist und – was die Terrorgruppe vorhat.

Die Waffenruhe am Gazastreifen hält – noch. Bis vor Kurzem hatten militante Palästinenser Dutzende Mörsergranaten und Raketen auf Israel abgefeuert. Jerusalem reagierte mit Luftschlägen auf militärische Ziele. Doch am heutigen Freitag könnte die Situation wieder eskalieren.

Mit einem „Eine-Million-Marsch-für-Al-Kuds (Jerusalem)“ soll an die Niederlage der Araber im Sechstagekrieg 1967 erinnert werden. Sollten dabei wieder Demonstranten auf den Grenzzaun zumarschieren oder Brandbomben werfen, ist nicht ausgeschlossen, dass es Tote geben wird. Israels Armee will wie bisher Scharfschützen einsetzen, um die Grenze zu sichern.

Was bezweckt die Hamas mit den Protesten?

Ziel der Islamisten ist es, dass die Blockade der Ägypter und der Israelis gelockert wird. Denn der Küstenstreifen leidet seit Jahren unter der restriktiven Grenzpolitik der beiden Nachbarn. Warenlieferungen sind nur eingeschränkt möglich, die Gazaner sind mehr oder weniger eingesperrt.

Doch die triste Lage der Menschen führt nicht nur zu Zorn auf Ägypten und Israel, sondern auch zu Unmut über die herrschende Hamas.

„In den vergangenen Wochen reihte sich die Organisation in die Protestbewegung ein, um sich selbst als Organisation darzustellen, die friedlich gegen die Blockade kämpft. Das ist opportunistisch, zeigt aber auch, dass die Hamas den strategischen Mehrwert erkannt hat, als Teil der Proteste wahrgenommen zu werden“, sagt Marc Frings, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Der Hamas ist es damit ebenfalls gelungen, die Massen zu mobilisieren. „Ohne ihre logistische Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, so viele Menschen an die Grenze zu bringen.“

Wer sind die Demonstranten?

Die Israelis sind sich sicher: Bei den Demonstranten am Grenzzaun zu Gaza handelt es sich um Terroristen. Sie sehen sich durch die Worte des Hamas- Sprechers Salah Bardawil bestätigt. Der gab zu, dass 50 der mehr als 60 am 14.Mai getöteten Palästinenser Hamas-Mitglieder waren. Gleichzeitig betonen Vertreter der Hamas aber, die Proteste seien friedlich verlaufen und hätten Rückhalt in der Bevölkerung. Das zeigt: Die Hamas versucht, zweigleisig zu fahren, die Proteste einerseits als Volksaufstand zu definieren, gleichzeitig jedoch Vorwürfe zu entkräften, man hätte bewusst Zivilisten geopfert.

Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Hamas zum einen billigend in Kauf nimmt, dass Menschen ums Leben kommen. Immerhin hat Israels Armee mehrfach erklärt, sie werde Heranstürmende mit Waffengewalt aufhalten.

Zum anderen nutzen die Islamisten die Armut in dem bitterarmen Küstenstreifen aus. So soll die Hamas Geld an Demonstranten gezahlt haben, umgerechnet zwischen 170 und 250 Euro bei Verletzungen und bis zu 2500 Euro für die Hinterbliebenen im Todesfall. Doch nicht alle nehmen Geld oder sind Hamas-Mitglieder. Die Initiatoren der Proteste hatten eine friedliche Aktion im Sinn, um auf die Lage der Menschen in Gaza aufmerksam zu machen.

Wie reagiert Israel?

Israel will auch an diesem Freitag wieder Scharfschützen auf jene schießen lassen, die den Grenzzaun durchbrechen wollen oder Molotowcocktails für Angriffe nutzen. Außerdem hat die Armee angekündigt, brennende Drachen nicht länger hinzunehmen.

Diese, teilweise ausgestattet mit Benzindosen, haben bereits nicht nur Hunderte Hektar Getreidefelder und Wälder zerstört, sondern sie kommen den Dörfern entlang des Gazastreifens gefährlich nahe. Das soll künftig verhindert werden – auch mit Waffengewalt.

Welche Ziele verfolgt die Hamas?

Die militante Organisation wurde Ende 1987 als palästinensischer Ableger der islamistischen Muslimbruderschaft gegründet – zum Beginn der ersten Intifada, also des Aufstandes gegen die Besatzungsmacht Israel. Ihr Name zeugt vom Selbstverständnis.

„Hamas“ steht im Arabischen für Eifer und Engagement. Das Wort ist aber zudem eine Abkürzung für „Bewegung des islamischen Widerstands“. Gemeint ist damit bewaffneter Widerstand gegen „das zionistische Projekt“, der Attentate einschließt. So haben die Extremisten der Hamas in der Vergangenheit immer wieder verheerende Selbstmordattentate in Israel verübt.

Die radikale Bewegung steht deshalb auf den Terrorlisten der USA und der Europäischen Union. Der jüdische Staat beantwortete die Attacken mit Angriffen auf Stellungen der Islamisten und zeitweise mit gezielten Tötungen von führenden Aktivisten.

Am 14. Mai eskalierten die Proteste am Gazastreifen.
Am 14. Mai eskalierten die Proteste am Gazastreifen.

© Mohammed Abed/AFP

Ideologische Grundlage der Hamas ist ihre Charta aus dem Jahr 1988. Dort wird in fanatischem Ton Israels Existenzrecht verneint, Gewalt gegen den jüdischen Staat als legitim bezeichnet. Ziel ist es, Israel durch einen „heiligen Krieg“ zu zerstören, die „Befreiung“ Palästinas sei für jeden Muslim „höchste Pflicht“.

Die Charta bezieht sich mehrfach auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, ein antisemitisches Pamphlet. In einem Hamas-Flugblatt aus dem Jahr 1990 heißt es: „Jeder Jude ist ein Siedler, und es ist unsere Pflicht, ihn zu töten.“

Vor gut einem Jahr gab sich dann die Hamas nach außen etwas gemäßigter. Damals wurde ein Papier vorgestellt, in dem davon die Rede ist, es werde ein Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 erwogen. Beobachter werten das als taktisches Manöver, um sich gerade im Westen lieb Kind zu machen. Am obersten Ziel wollen die Islamisten jedoch festhalten: Israels Zerstörung.

Wie ist die Hamas organisiert?

Offiziell besteht die Organisation aus drei Teilen, die allerdings de facto nicht voneinander abgegrenzt sind. Es gibt ein Hilfswerk, das sich um die Nöte der Menschen kümmert, eine Partei und die Kassam-Brigaden. Diese militärische Einheit soll bis zu 25000 Kämpfer unter Waffen haben, mit denen in den vergangenen Jahren drei Mal gegen Israel Krieg geführt wurde.

An der Spitze der gesamten Hamas steht seit einiger Zeit Ismail Hanija, der jahrelang die Islamisten in Gaza führte. Diesen Job hat Jahia Sinwar übernommen, ein Hardliner unter den Radikalen. Er war Mitglied der Kassam-Brigaden und saß mehr als 23 Jahre in israelischer Haft.

Woher bekommt die Hamas ihr Geld?

Aus vielen Quellen. Das sind zum Beispiel Spenden von Mitgliedern und Sympathisanten. Außerdem werden im Gazastreifen Steuern und Gebühren erhoben. Der Großteil der Finanzmittel stammt aber von auswärtigen Gönnern. Anfangs waren das Saudi-Arabien und Syrien. Doch mittlerweile haben sich diese Staaten mit der Hamas überworfen.

Zunächst füllte Katar die Lücke – bis vor einem Jahr, als einige Golfmonarchien und Ägypten eine Blockade gegen das Emirat verhängten. Eine der Forderungen lautete, mit den Muslimbrüdern und der Hamas zu brechen. Es scheint, dass sich Katar tatsächlich zurückzieht.

Für den Iran ist das eine günstige Gelegenheit, wieder als verbündeter Geldgeber einzuspringen. Dabei stört es die schiitische Führung in Teheran wenig, dass die Hamas einen sunnitischen Hintergrund hat. Es geht vorrangig darum, gegen Israel womöglich eine neue Front aufbauen zu können.

Das zur Verfügung stehende Geld nutzt die Hamas mitnichten, um das Leben der Menschen in Gaza zu verbessern. Die Radikalen rüsten lieber auf und bauen aufwendige Tunnel, um auf israelischem Territorium Terrorakte zu verüben. Um das Wohl der Menschen kümmern sich vor allem die UN.

Wie stabil ist die Herrschaft?

Seit mehr als zehn Jahren ist die Hamas im Gazastreifen an der Macht. Bei Wahlen in den Palästinensergebieten war sie 2006 als Sieger hervorgegangen. Doch zu einer geplanten Regierung der nationalen Einheit mit der Fatah kam es nicht. Vielmehr gab es in Gaza einen Bruderkrieg, die Fatah wurde aus dem Küstenstreifen vertrieben.

Seitdem herrscht die Hamas mit harter Hand und Gewalt, Grundlage ist die Scharia. Von freien Wahlen hält sie nichts. Auf militärischem Weg wird es allerdings vermutlich ebenfalls keine Änderung der Verhältnisse geben. selbst wenn das von nationalistischen Politikern in Israel gefordert wird. Der permanente Beschuss müsse, so argumentieren die Hardliner, zur Folge haben, dass der Küstenstreifen wieder besetzt wird.

Der Chef lässt sich feiern: Ismail Hanija, Anführer der Hamas, zu Besuch in Gaza.
Der Chef lässt sich feiern: Ismail Hanija, Anführer der Hamas, zu Besuch in Gaza.

© Mahmud Hams/AFP

Doch Premier Benjamin Netanjahu hält ebenso wie führende Militärs wenig davon, wieder die Verantwortung für Gaza zu übernehmen. Auch deshalb gibt es kein Interesse an einem neuen Krieg. Dann schon lieber mit der Hamas irgendwie zurechtkommen. Bei der weiß man wenigstens, wie sie „tickt“.

Außerdem besteht das Risiko, dass noch radikalere Gruppen der Hamas als Herrscher folgen könnten. Bislang sieht es zwar nicht danach aus, dass Terrororganisationen wie der von Gaza aus operierende „Islamische Dschihad“ oder dem „Islamischen Staat“ nahestehende Salafisten die Hamas beerben.

Dennoch sind derartige Gruppen sehr wohl eine Konkurrenz für die Herrschenden. Denn es gibt den Vorwurf, die Hamas agiere zu moderat, habe den „Freiheitskampf der Palästinenser“ längst verraten. Kein Wunder, dass die Machthaber rigoros gegen dies Art Opposition vorgehen. Vor einem Jahr legten Hamas-Kämpfer die Moschee einer IS-nahen Gruppe in Schutt und Asche – als Warnung.

Anmerkung: In der ersten Fassung des Textes wurde für die heutige Protestaktion der falsche Namen verwendet: "Marsch der Millionen für Gaza". Es muss aber heißen: "Eine-Million-Marsch-
für-Al-Kuds (Jerusalem)"

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