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Ein ukrainischer Soldat steht an der Trennlinie zu pro-russischen Rebellen in der Region Donezk.

© dpa/Andriy Dubchak/AP

Deutschlands früherer Botschafter in Russland: „Der direkte Dialog ist ungeheuer wichtig“

Die USA und Russland verhandeln über den Ukraine-Konflikt. Welche Ziele Moskau verfolgt und warum Berlin auch ein Spitzentreffen planen sollte. Ein Interview.

Von Hans Monath

Rüdiger von Fritsch (68) war von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Moskau. Heute ist er Partner des Beratungsunternehmens „Berlin Global Advisors“.

Herr von Fritsch, die Vorzeichen für die Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Genf waren düster. Kann die Welt trotzdem auf einen Erfolg hoffen?
Das hängt ganz von der russischen Führung ab. Sie wird abwägen müssen: Kann ich angesichts dessen, was nach den Gesprächen in Aussicht steht – aber auch angesichts der enormen, an der Heimatfront aufgebauten Erwartungshaltung – „Sieg“ erklären?

Und: Sollte ich mich entschließen, militärisch aggressiv zu handeln - würde die Schädigung, die ich durch die westliche Reaktion würde hinnehmen müssen, so groß sein, dass meine Machtbasis zu Hause bedroht wird? Denn darauf zielt ja die angekündigte Reaktion des Westens, sollte Russland sich nicht zurücknehmen.

Die USA und die NATO pochen auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen – auch im Hinblick auf einen möglichen NATO-Beitritt. Russland verlangt aber eine Garantie, dass sich die Nato nicht nach Osten ausdehnt. Wie könnte da eine Lösung aussehen?
Wir können in der Tat unmöglich anderen Staaten das souveräne Recht absprechen, seine Interessen und seine Sicherheit zu schützen, sich in freier Entscheidung Bündnissen anzuschließen. Dieses Selbstbestimmungsrecht hat Russland mit verabredet! Es geht ja auch längst nicht mehr nur um die Ukraine oder Belarus, Moskau hat inzwischen auch drohende Äußerungen in Richtung Finnland und Schweden nachgeschoben.

Die NATO kann allerdings ihre Beschlusslage von 2008 noch einmal bekräftigen – an der sich übrigens seither nichts geändert hat! Warum glaubt Russland eigentlich jetzt plötzlich, die internationale Ordnung ändern zu müssen? Georgien und die Ukraine haben seinerzeit eine prinzipielle Beitrittsperspektive erhalten, die jedoch zugleich faktisch ausgesetzt wurde.

Und wir sollten, bilateral, im NATO-Russland-Rat und in der OSZE über Sicherheitsfragen sprechen: über Abrüstung und Rüstungskontrolle, Truppenstationierungen, gegenseitige Inspektionen und andere vertrauensbildende Maßnahmen. Grundsätzliche, miteinander verabredete Regeln, die erfolgreich das friedliche Miteinander gewähren, dürfen wir dabei allerdings nicht zur Disposition stellen.

Und wir sollten miteinander über die großen Fragen sprechen, die keiner von uns allein lösen kann: Klimawandel und Migration, Terrorismus und Pandemien. Hier können alle Seiten nur gewinnen.

Der Diplomat Rüdiger von Fritsch war deutscher Botschafter in Moskau und ist heute Partner des geostrategischen Beratungsunternehmens "Berlin Global Advisors".
Der Diplomat Rüdiger von Fritsch war deutscher Botschafter in Moskau und ist heute Partner des geostrategischen Beratungsunternehmens "Berlin Global Advisors".

© Promo

Was ist das Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin in diesem Konflikt?
Die russische Führung will an den „Tisch von Jalta“ zurückkehren oder gar ins 19. Jahrhundert: die „Großen“ setzen sich zusammen und bestimmen, welche der „Kleinen“ Staaten minderen Rechts sind. Man würde gerne Pufferzonen und Einflusssphären verabreden.

Dahinter verbirgt sich ganz offensichtlich eine auch in Moskau so wahrgenommene Position zunehmender eigener Schwäche. Die großen Fragen werden zwischen Washington und Peking verhandelt, bei Innovation, technologischem Fortschritt und wirtschaftlichem Erfolg fällt Russland zurück. Gerade auch gegenüber dem vermeintlichen strategischen Partner China, der allerorten immer mehr die Muskeln anspannt.

Der inzwischen größten Volkswirtschaft der Erde steht Russland mit einer Wirtschaftskraft gegenüber, die so groß ist wie die des Staates New York, kleiner als die Italiens.

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Natürlich gibt es in Moskau auch Träume, das alte russische Reich irgendwie zu restituieren. Aber die Entwicklung in Kasachstan zeigt ja gerade, wo die Grenzen dafür liegen: „Russland wird immer mehr zum unbezahlten Wachmann in der zentralasiatischen Firma, in der China Geld verdient“ hat es ein kundiger russischer Gesprächspartner einmal treffend auf den Punkt gebracht.

Wie hoch muss der Preis sein, den ihm der Westen androht, damit Putin die Ukraine nicht militärisch angreift?
Der russischen Führung muss klar sein, dass die Schädigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen so massiv wäre, dass mittelfristig die Ressourcen fehlen, ein Regime aufrecht zu erhalten, das sich immer mehr nur zweier Herrschaftsinstrumente bedient: Geld und Repression. Die ebenso ent- wie geschlossene Ansage aus westlichen Hauptstädten lässt keinen Zweifel daran, dass der Kreml dies befürchten müsste.

Hier ist die Achilles-Ferse der russischen Führung: Sie ist auf die übergroßen Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas angewiesen, um die Situation im Land unter Kontrolle zu halten. Trotz aller beharrlichen Mahnungen und Anweisungen des Präsidenten an die Regierung gelingt es der russischen Führung eben nicht, die enormen strukturellen Defizite des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells zu beheben.

Belarus und jetzt Kasachstan sind die Wetterleuchten, die zeigen, wohin es führen kann, wenn eine autokratische Führung es weder schafft, loszulassen noch ihr Land erfolgreich in die Zukunft zu führen.

Er stellt den Westen auf die Probe: Will Wladimir Putin die Ukraine angreifen, was er bestreitet, oder den Westen nur unter Druck setzen?
Er stellt den Westen auf die Probe: Will Wladimir Putin die Ukraine angreifen, was er bestreitet, oder den Westen nur unter Druck setzen?

© imago images/ITAR-TASS

Was sagt es über den Einfluss und die Handlungsfähigkeit der EU aus, dass in Genf kein Vertreter Europas mit am Tisch sitzt?
Das sollten wir nicht überbewerten. Nach den Gesprächen in Genf wird es solche ja auch im NATO-Russland-Rat und in der OSZE geben. Und die Abstimmung zwischen den USA und den Europäern ist in diesen Tagen besonders eng; Die Ansage der USA, nichts über die Köpfe der Europäer hinweg zu entscheiden, ist unzweideutig.

Allerdings muss den Europäern klar sein, dass dies für die gegenwärtige amerikanische Administration gilt. Niemand weiß, wer nach den nächsten Präsidentschaftswahlen im Weißen Haus sitzen wird. Die Europäer sind daher gut beraten, ihre Hausaufgaben zu machen und zu einer geschlossenen, eigenständigen und handlungsfähigen Außen- und Sicherheitspolitik zu finden.

Ist es notwendig und nützlich, dass sich die Bundesregierung neben den verschiedenen Gesprächsformaten um ein Spitzentreffen von Olaf Scholz und Wladimir Putin bemüht?
Unbedingt. Der direkte Dialog der Bundesregierung mit der russischen Führung ist ungeheuer wichtig. Denn aus Sicht Moskaus hat in der EU am ehesten Deutschland das Sagen, ob uns diese Haltung nun gefällt oder nicht. Das müssen wir nutzen – in der beharrlichen Ansage, dass auch wir nur einer von 27 Mitgliedsstaaten der EU sind, und dass das letzte, was die übrigen Partner brauchen, deutsch-russische Verabredungen über ihre Köpfe hinweg oder gar nur Intransparenz sind.

Doch nicht nur Spitzentreffen sind wichtig: Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Bemühen, alle guten Brücken zu diesem großen und eben auch großartigen Land zu nutzen, die wir über so lange Zeit miteinander aufgebaut haben: zwischen der Zivilgesellschaft, so schwierig dies inzwischen geworden ist und im Kulturbereich, in der Wissenschaft und im Handelsaustausch, soweit Russland dies zulässt.

Wir dürfen – ohne uns zum Narren zu machen – nicht müde werden, Moskau aufzuzeigen, dass es zu einem gedeihlichen Miteinander in Europa – und dazu gehört Russland – keine Alternative gibt. Dafür müssen wir nicht gute Freunde werden. Aber gerade auch im Hinblick auf die Herausforderung durch China muss der russischen Führung klar sein, dass Europa längerfristig die beste Option auch für Russland ist.

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