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Die Ampel hat eine ambitionierte Europapolitik im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

© Michael Kappeler/ picture alliance/dpa

Deutschlands Europapolitik: Den Bekenntnissen müssen Taten folgen

Während der französischen EU-Präsidentschaft, muss die Ampel die Ernsthaftigkeit ihrer europapolitischen Ziele beweisen. Ein Gastbeitrag.

- Hans-Gert Pöttering gehörte von 1979 – 2014 dem Europäischen Parlament an und war dessen Präsident (2007-2009).

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bekennt sich die Ampelkoalition zu einer ambitionierten Europapolitik und „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“. Das ist sehr zu begrüßen. Werden der Rhetorik Taten folgen, die den Realitäten und politischen Notwendigkeiten Europas – oftmals besser: der Europäischen Union (EU) – gerecht werden? Das bleibt zu hoffen, aber schon heute werden Widersprüche zwischen der formulierten politischen Ambition und den tatsächlichen Gegebenheiten deutlich. Der Koalitionsvertrag verpflichtet sich dazu, dass „die deutschen Interessen im Lichte europäischer Interessen definiert“ werden und die deutsche „besondere Verantwortung in einem dienenden Verständnis für die EU als Ganzes“ wahrgenommen werden soll.

Pulverfass Nordstream 2

Die fortdauernde Debatte über Nordstream II legt dabei allerdings Widersprüche offen. Nordstream I und II bleiben die wohl offenkundigsten Beispiele dafür, dass deutsches Handeln in der Vergangenheit die Interessen und die psychologischen Bedingungen unserer östlichen EU-Partner – Polen, Estland, Lettland und Litauen etc. sowie vor allem der nicht der EU angehörenden Ukraine – nicht berücksichtigt hat und diese Politik heute fortgesetzt wird. Nordstream war immer auch – neben wirtschaftlichen Aspekten – ein politisches Projekt und wird als solches von unseren östlichen EU-Partnern verstanden.

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Wenn – im Gegensatz zu Außenministerin Baerbock – Bundeskanzler Scholz weiterhin von einem „privatwirtschaftlichen Vorhaben“ spricht, bleiben damit weiterhin die Befindlichkeiten unserer östlichen Nachbarn unberücksichtigt. Insbesondere für die so wichtigen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen ist dies von großem Schaden. Alles hängt mit allem zusammen. Wie glaubwürdig ist die (notwendige) deutsche Kritik an den verfassungsmäßigen Entwicklungen in Polen, wenn Deutschland rechthaberisch an seiner Position in Bezug auf Nordstream als „privatwirtschaftlichem Vorhaben“ festhält?

Es wäre ein Zeichen von Stärke, wenn die Bundesregierung die Fehler mangelnder Kommunikation und Konsultation mit unseren östlichen Nachbarn eingesteht, die in Zukunft nicht wiederholt werden dürfen. Die europäische Einigung kann nur gelingen, wenn die Solidarität zwischen den EU-Staaten höher geschätzt wird als vermeintliche nationale Interessen, die uns mit Drittstaaten verbinden.

Europa muss militärisch souveräner werden; und Deutschland seinen Teil leisten

Der Koalitionsvertrag plädiert für eine „demokratisch gefestigtere, handlungsfähigere und strategisch souveränere Europäische Union (als) Grundlage für unseren Frieden, Wohlstand und Freiheit“ und wird dabei erfreulicherweise konkret: Die Zusammenarbeit nationaler Armeen im Hinblick auf Ausbildung, Fähigkeiten, Einsätze und Ausrüstung soll verstärkt werden mit gemeinsamen Kommandostrukturen und einem zivil-militärischen Hauptquartier. Ein begrüßenswertes Ziel, das allerdings einen deutlich höheren deutschen Verteidigungshaushalt erfordert.

Davon ist allerdings nicht die Rede. Die in der NATO vereinbarten 2% Verteidigungsausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt sollten insbesondere zur Stärkung der europäischen Säule der NATO eingesetzt werden. Damit würde einerseits den berechtigten amerikanischen Forderungen, andererseits dem Anliegen einer stärkeren europäischen Verteidigung Rechnung getragen. Aber zur Erhöhung des Verteidigungshaushalts schweigt die Koalition.

Es ist in deutschem und europäischem Interesse, die USA im Rahmen der NATO weiter an Europa zu binden. Sollten die USA sich jedoch unter einer neuen Administration aus ihrem europäischen Engagement zurückziehen, muss Europa vorbereitet sein. Die französische EU-Präsidentschaft sollte mit ihren Initiativen für ein souveränes Europa unterstützt werden. Es wird für Deutschland einen finanziellen Preis haben. Auch hier gilt: Den wichtigen Bekenntnissen des Koalitionsvertrages müssen Taten folgen. Unsere Streitkräfte, die Bundeswehr, verdienen größere Unterstützung - ideell und materiell.

„Das Leid an den Außengrenzen beenden“

Die Koalition will einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik, „irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen“ sowie das „Leid an den Außengrenzen beenden“. Dies ist ein ebenso richtiger wie herausfordernder Anspruch. Die französische Präsidentschaft will dieses Anliegen – so auch den Schutz der Außengrenzen – zu einem Schwerpunkt machen. Sie verdient dabei alle Unterstützung durch Deutschland. Handelt es sich hierbei nämlich nicht nur um entscheidende Interessen der EU, sondern um ihre fundamentalen Werte.

In einer Welt, die durch autoritäre (Russland) und totalitäre (China) Staaten herausgefordert wird, kann unsere europäische Werteordnung nur bestehen, wenn die Europäische Union gestärkt wird, um sie so in die Lage zu versetzen, durch eine Doppelstrategie von Kooperations- und Verteidigungsbereitschaft handlungsfähiger und zu einem glaubwürdigen Akteur zu werden.

Dazu muss vor allem die Europäische Union ihr eigenes Recht achten als die (!) Grundlage für Stärke nach Innen und Außen. Deutschland ist keine Weltmacht, aber das größte Land der Europäischen Union. Deutschland hat damit eine große Verantwortung – nicht dominierend, aber Zukunft gestaltend mit allen unseren Partnern in der EU bzw. denjenigen, die dazu bereit sind.

Hans-Gert Pöttering

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