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Beim G-7-Gipfel im Juni 2021 noch beste Partner: Die Präsidenten Joe Biden und Emmanuel Macron

© AFP/Leon Neal

Deutschland und seine Allianzen: Weltpolitik muss auch in Wahlzeiten gemacht werden

Die zwei wichtigsten Bündnisse sind in der Krise. Aber in Wahlzeiten meldet sich Deutschland aus der Weltpolitik ab. Das darf nicht so bleiben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht? Nach der Devise kommt keine konstruktive Politik zustande, weder in Europa noch global.

Deutschland braucht Allianzen mit Gleichgesinnten, mit Freunden, wenn es Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in einer zunehmend konfrontativen Welt bewahren möchte. Doch nun bringt der Konflikt um U-Boot-Geschäfte mit Australien die beiden wichtigsten Verbündeten Deutschlands gegeneinander auf: Frankreich und die USA.

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Muss die Bundesregierung sich jetzt entscheiden, wer der wichtigere Freund ist: Emmanuel Macron oder Joe Biden? Kann sie mäßigend einwirken, vielleicht sogar vermitteln?

So wünschenswert das wäre: Wer ist dazu bereit? In einem Moment, in dem es um die Stützpfeiler deutscher Zukunftssicherung geht, steht das Land so unsortiert und kopflos da wie selten. Und wiederholt Fehler aus der Wahlzeit 2017.

Doppelte Entfremdung: von Biden und von Macron

Die Spitzenkandidaten zeigen keine Lust, sich mit Biden oder Macron zu befassen samt der Frage, wer verlässlicher ist, die USA oder Frankreich? (Die Moderator:innen der publikumswirksamen Trielle übrigens auch nicht.)

Da ist eine doppelte Entfremdung zu spüren. Biden ist nicht durch die Bank der Anti-Trump, den sich die Deutschen erhofft haben. Er trifft Entscheidungen, ohne die Europäer zu konsultieren, vom Abzug aus Afghanistan bis zum U-Boot-Geschäft mit Australien. Er behält Trumps Sanktionen teils bei und geht hart mit Migranten um. In vielen Feldern gilt „America first“ weiter.

Auch sie traten im Juni noch als Verbündete auf: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Australiens Premier Scott Morrison in Paris.
Auch sie traten im Juni noch als Verbündete auf: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Australiens Premier Scott Morrison in Paris.

© Pascal Rossignol/REUTERS

Macrons Stern strahlt auch nicht mehr so hell wie 2017, als er mit einer proeuropäischen Rhetorik die Wahl gewann und nach François Hollands enttäuschender Amtszeit Aufbruchstimmung entfachte. Die Hoffnung damals: Er werde das notorisch reformunwillige Frankreich auf Zukunft trimmen und Europas Handlungsfähigkeit gemeinsam mit Deutschland stärken, damit es ein liberales Gegengewicht zu Trump sowie zu den Autokraten in China und Russland bilden kann.

Gleicher Fehler wie 2017: Berlin ignoriert Paris

Doch Deutschland gab über Monate keine Antwort auf Macrons Europarede. Genau wie heute drehte sich damals alles um die nächste Koalition. Der Protest der Gelbwesten verschob dann Macrons Fokus von „EU first“ zu „France first“. Skeptiker hatten bereits zuvor geargwöhnt, sein Ziel sei nicht eine stärkere EU, sondern französische Dominanz in ihr.

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Biden und Macron sind also beide keine Partner nach Wunsch. Deutschland muss dennoch das Gespräch mit ihnen suchen, auch wenn Wahlzeiten das erschweren. Zu viel steht auf dem Spiel.

Wenn Konflikte eskalieren, fallen diplomatische Hüllen. Macron schlägt einen Kurs ein, der deutsche Interessen nicht nur ignoriert, sondern gefährdet. Er verlangt europäische Autonomie in der Sicherheitspolitik und meint eine Alternative zur Nato; den USA könne man unter Biden so wenig trauen wie unter Trump. Das geplante Handelsabkommen der EU mit Australien will er verhindern, als Strafe.

Kein Handelsvertrag mit Australien? So bestraft die EU sich selbst

Das ist kontraproduktiv. Deutschland und die große Mehrheit der EU-Partner sehen in der Nato ihre Sicherheitsgarantie. Ein globales System aus Verträgen, die Handels- und Wertefragen wie Arbeits- und Produktionsbedingungen festschreiben, gehört zu ihrer Strategie, um fairen Wettbewerb durchzusetzen, auch in Asien, auch gegen China. Würde die EU auf Macrons Druck Australien ausnehmen, bestrafte sie sich selbst.

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Was tun? Deutschland kann kein Entweder-oder bei Macron und Biden zulassen. Es braucht beide Verbündete, Frankreich und die USA. Das sollte die Regierung laut sagen. Sie darf auch den Fehler von 2017 nicht wiederholen: Wahl und Koalitionssuche als Ausrede nehmen, warum die Welt warten muss. Das kann dauern, damals bis ins folgende Frühjahr.

Die Bundesregierung kann handeln, auch nach der Wahl

Die Welt wartet nicht. Deutschland hat auch nach der Wahl eine Regierung, die Interessen vertreten und Schaden abwenden kann – bis die Nachfolger vereidigt sind.

Die Generalversammlung der UN ist eine Gelegenheit, Brücken zu bauen. Biden tritt am Dienstag auf. Die übrigen Streitbeteiligten sind hochrangig vertreten, Deutschland durch Bundespräsident und Außenminister. Ran an die Arbeit.

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