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Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr würden im Fall der Fälle mit Atombomben bestückt.

© Karl-Josef Hildenbrand dpa/lby

Deutschland und die Bombe: Wenn sogar Grüne neue Atomraketen fordern

Angesichts von Putins Angriffskrieg erhält die Debatte über die nukleare Bewaffnung Europas neuen Schwung. Es kommt zu überraschenden Allianzen. Eine Analyse.

Die Zeiten sind danach, dass Fragen gestellt werden, von denen die Fachleute nicht dachten, dass sie so schnell aktuell werden. Eine hat CDU-Chef Friedrich Merz unlängst aufgeworfen: Braucht Europa angesichts der Bedrohungslage auf der Basis französischer Vorschläge „eine gemeinsame nukleare Kapazität“ als Lebensversicherung?

Hintergrund sind Drohungen von Kremlherrscher Wladimir Putin, im Ukrainekrieg notfalls Atomwaffen einzusetzen. Dazu kommt aber auch die Sorge der Transatlantiker, darunter Merz, dass ein künftiger US-Präsident, womöglich Donald Trump, die Nato-Mitgliedschaft wieder infrage stellt – und damit Sicherheitsgarantien auch für Deutschland.

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Dass Merz bei Weitem nicht allein ist, zeigt sich an den Worten des neuen Präsidenten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber von der CSU. Der sagte jetzt in einem Interview mit dem ARD-Magazin „Panorama“, die Europäische Union stehe „nackt in einer Welt von Stürmen“. Die Europäer könnten sich ohne Partner von außen gar nicht verteidigen. „Und das heißt, wir müssen jetzt auch über die nukleare Option reden.“

Die Forderungen – unter anderen erhoben vom neuen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und früheren Merkel-Sicherheitsberater Christoph Heusgen – lauten, für die Sicherheit und im Hinblick auf den nuklearen Schutzschirm dringend mit Frankreich zu sprechen. Präsident Emmanuel Macron zufolge könnte das Atomprogramm ausgeweitet werden, wenn die Partner das wollen. Zum Hintergrund: Frankreich ist seit dem Brexit das einzige Land in der EU mit Atomwaffen.

Deutschland selbst hat keine, soll auch keine haben. Im Zuge der Wiedervereinigung hat es im Regelungsvertrag auf Besitz, Herstellung und Verfügung von Atombomben verzichtet. Laut Umfrage im Auftrag von „Panorama“ sind 71 Prozent der Deutschen dafür, dass das so bleibt. Aber: Eine „nukleare Teilhabe“, wie sie mit den USA vereinbart ist, soll es schon geben.

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52 Prozent der Deutschen insgesamt, aber sogar 64 Prozent der Grünen, die ihre Wurzeln im Pazifismus haben, sind dafür. Damit liegen sie vor Anhängern von Union und FDP mit je 61 Prozent. Und die Grünen treten auch noch für eine Aufstockung der US-Atomwaffen hierzulande ein.

Die aktuelle Zahl wird zwar geheimgehalten, aber es sollen 20 Bomben vom Typ B61 in Büchel in der Eifel lagern und bis 2024 modernisiert werden. Trägerflugzeuge der Bundesluftwaffe sichern die nukleare Teilhabe: Seit Mitte der 80er Jahre sind dafür 36 Kampfjets vom alten Typ „Tornado“ vorgesehen, demnächst sollen sie ersetzt werden durch neu anzuschaffende amerikanische F-35.

Früher gab es außer im rheinland-pfälzischen Büchel Atomwaffen in Ramstein, Nörvenich und Memmingen. Dort sind sie abgezogen. In ganz Europa sollen es noch 180 Atomwaffen dieses Typs sein, von denen eine das 13-fache an Sprengkraft der Hiroshima-Bombe hat. Die kostete seinerzeit nach Abwurf im August 1945 innerhalb von vier Monaten 140.000 Menschen das Leben.

Deutschland und die Bombe, ein explosives Thema. SPD, Grüne und FDP, die Ampel-Parteien, hatten immerhin „Deutschland frei von Atomwaffen“ als Ziel in ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Jetzt wollen sie unter dem Eindruck des Ukrainekriegs die deutsche Rolle in der nuklearen Abschreckung der Nato doch wieder stärken. Und da hatte sich noch nicht einmal die Frage nach der „gemeinsamen europäischen nuklearen Kapazität“ so dringend gestellt.

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